(The Animal) Mit dem Hut in der Hand

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Published in: Süddeutsche Zeitung


 

Ergebenster Diener: Bückling, Kratzfuß, Knicks, Kotau – und andere Arten, wie der Mensch zum Tier wird

Noch zu Hitlers Zeiten wurden die Söhne bürgerlicher Häuser dazu erzogen, höflich „den Diener“ zu machen. Dazu schlugen sie mit militärischem Knall die Hacken zusammen. Die Verbeugung ist wahrhaft höflich, denn sie war ursprünglich der Gruß der Untertanen bei Hofe. Vor der Obrigkeit beugte man tief den Nacken, machte den „Bückling“ oder den „Kratzfuß“ (wobei der Fuß scharrend nach hinten gezogen wurde) zum Zeichen der Demut, das heißt der Selbsterniedrigung: Kurzum, man machte sich niedriger und kleiner. „Zu Diensten“ war in Wort und Schrift zu älteren Zeiten der Ausdruck, mit welchem der Untertan seine Bereitschaft erklärte, Befehlen zu folgen und folgsam zu sein.
Im alten China, das bis ins 20. Jahrhundert andauerte, machten die Untertanen vor den Mandarinen viele Kotaus und drückten dabei die Stirn auf den Boden. Es gab auch gestaffelte Verbeugungen nur drei-viertel oder, etwas tiefer, vier fünftel. Im Abendland fordert die Unterwerfungsgeste zudem, den Hut zu ziehen, das Attribut zivilisierter männlicher Würde, und den Kopf und damit auch den Nacken zu entblößen – ganz ähnlich wie das schwächere Tier dem Sieger den Hals zum tödlichen Biss bietet. Und um zu zeigen, dass sie auf der Statusskala ganz unten rangieren, sitzen die Bettler wie die Vierbeiner auf dem nackten Boden im Schmutz, den umgekehrten Hut vor sich.
Wenn sich der große Pavarotti nach der Vorstellung auf der Bühne verbeugt, erkennt er damit das Publikum als obersten Richter an, dessen Urteil er sich unterwirft. Während es bei den Künstlern Brauch ist, sich tief zu verbeugen, kennzeichnet es den „Herrn“ oder Gentleman im Alltag, bloß eine knappe Verbeugung zu machen respektive diese nur anzudeuten. Die Herren geben damit zu erkennen, dass sie Herren sind. Sie haben es buchstäblich nicht nötig.
Doch kann einer tiefe Verbeugung auch als eine ironische interpretiert werden und gilt dann so viel wie keine Verbeugung. Immer noch üblich ist es bei uns, sich vor Frauen (Damen) leicht zu verbeugen, womit der Herr anerkennt, sich den Bedürfnissen der Dame zu unterwerfen. Damit zusammenhängt, dass er sich selbstverständlich bückt, um zum Beispiel ihr Taschentuch aufzuheben, denn einer Dame ist nicht zuzumuten, dass sie ihr Haupt dem schmutzigen Boden nähert, auf den man mit Füßen tritt.
Anders das Mädchen: es knickst artig – ihre Weise, sich dem Staub zu nähern. Indes muss die Putzfrau, bei uns der niedrigste Beruf, runter auf den Boden. Wahrscheinlich darum wird immer wieder erwähnt, dass des Bundeskanzlers Mutter Putzfrau gewesen sei. Die Implikation ist: Welch eine Karriere! Auch der Müllmann hat mit Schmutz zu tun, arbeitet aber hoch aufgerichtet wie ein Homo erectus. Man mag gegen die groben Umgangsformen der Nordamerikaner Einwände haben: Verbeugen tun sie sich vor Menschen nicht. Ihnen fehlt die höfische Tradition. Sie treten jedermann im Bewusstsein der Gleichheit hoch erhobenen Hauptes entgegen.
Mit Beschimpfungen wie „du Sau!“, „die Kuh“, „das Schwein“ hat die Verbeugung gemein, dass sie den Menschen zum Tier, zum Vierbeiner macht. Denn die tiefste Verbeugung endet – wie einst in China – auf Händen und Füßen. Das verächtlichste Tier ist im Christentum die Schlange nicht nur als Verkörperung des Teufels, der Eva den Apfel einredete, sondern weil sie nicht einmal Beine hat und durch den Schmutz kriechen muss. „Kriecherisch“ zu sein ist das Gegenteil der Unbeugsamkeit. Hoch aufgerichtet zu gehen ist eine Körperhaltung, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Bei den Tieren, die sich aufrichten können, bedeutet diese Körperhaltung höchste Angriffsbereitschaft.
Nach der Verbeugung und der Beschimpfung ist eine dritte Art, zum Tier zu werden, Pelz zu tragen. Das ist für einen Eskimo, der nichts Besseres hat, unerlässlich. In unseren Breiten aber ist der Winterpelz im Grunde überflüssig – denn es gibt leichtere und ebenso warme Materialien – und genau darum tauglich als Statussymbol. Aber natürlich schüttelt der Pelz seine Herkunft nicht ab. Wer einen Pelz trägt, erinnert darum selbstverständlich auch an den Bär, Luchs, Fuchs oder Nerz. Ja, er sieht ja tatsächlich aus wie ein Tier.

Erotisierend im Pelz
„Second life“ hat darum die Künstlerin Olga Chernysheva ihre auf der venezianischen Kunst-Biennale im russischen Pavillon ausgestellten Fotos genannt, auf denen Personen im Pelz zu sehen sind, die sie von hinten auf der Rolltreppe der U-Bahn aufgenommen hat. Es ist in diesem Zusammenhang beachtenswert, dass es meist die Männer sind, welche Frauen einen Pelz schenken. Frauen im Pelz gefallen den Männern. Eine nackte Frau im Pelz gilt als hocherotisch. Viel erotischer als im Bademantel. Auch Rubens malte seine junge nackte Frau im Pelz und gab dem Gemälde den hübschen Titel „Das Pelzchen“ (Wien). Gerade der Gegensatz von menschlicher Nacktheit und tierischem Pelz wirkt erotisierend. Denn wenn Frauen im Pelz an Tiere erinnern, liegt der Gedanke nahe, dass sie – nach Vorstellung der Altvorderen – als scheues Wild auch gehörig gejagt werden mussten, wenn nicht um den Tisch, dann wenigstens mit anzüglichen Worten, bis sie sich – die Augen niederschlagend – ergaben. Keine Frage: Der Pelz macht die Frau zum Tier und das um so anschaulicher, wenn sie dazu, wie in der Werbung, ein Raubtierlächeln aufsetzt. Dann darf auch der Mann zum Tier werden – denn sie hat ihn ja herausgefordert – und die „Sau rauslassen“. Nicht ohne Grund heißt der so genannte Eingriff seiner Beinkleider „Stall“.
Eine andere Nuance war die Mode, sich einen vierpfotigen Blaufuchs oder Marder samt Kopf mit glühenden Glasaugen um den Hals zu werfen. Dass nicht die Frau Jägerin der wärmenden Trophäe sein konnte, verstand sich von selbst. Der Mann war es, der ihr die schöne Beute um den Hals geschlungen hat, er ist der große Jäger. War die Frau hier zwar nicht wie ein Tier, so war sie doch nahe dran. Bemerkenswert, dass die Herren in unseren Breiten selten Pelz tragen – allenfalls Nerz nach innen, was Bedeutung nur als Status hat, als understatement. Männer überlegen sich genau, ob sie sich zum Tier erniedrigen. Die Frau im Pelz sieht nur aus wie ein Tier, aber sie ist keines. Es ist ein Spiel. Doch das Spiel hört auf bei den Resten des eigenen Pelzes, bei den eigenen Haaren. Die zu entfernen, die Achseln zu rasieren, die Beine zu depilieren, ist neuer Brauch und in den USA geradezu Vorschrift. Nur auf dem Kopf˘ ist das Offentragen der Haare heute erlaubt. Früher trugen die Frauen Kopftücher und Häubchen, um ihr Haar und damit das Tierische zu verbergen – wie heutzutage noch immer in den islamischen Ländern. Der Bart der Männer dagegen gilt als Zeichen der Würde, also als genaues Gegenteil des Tierischen.
Doch nicht immer und überall galt das. Die Europäer waren für Asiaten haarige Halbtiere. „Den Einheimischen (die Rede ist von Japan im 17. Jahrhundert) imponierte an den Fremden vor allem die starke Behaarung . . . In den Gesichtern der europäischen Handelsleute und˘ Matrosen sprossen unterhalb des Mundes und der Nase zerzauste Bärte. Auch auf den Armen und der Brust und bei manchen sogar auf dem Rücken kräuselte sich das Haarfell . . .“ Mit Erstaunen und Abscheu wurde auch registriert, welch große Rolle Hunde im Leben der Europäer spielten. Die Intimität zwischen den „Rothaarigen“ und Hunden ließ auf eine bestialische Verwandtschaft schließen. Im Volk hielt sich der Glaube, dass die Männer aus dem Westen ein Bein heben müssten, wenn sie urinierten, und dass in ihren Hosen buschige Schwänze steckten. (Frank Böckelmann: Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen, Frankfurt 1998)