(The Dandy) Auf dem Niveau des blauen Porzellans

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Published in: Süddeutsche Zeitung


 

Zum Ende des Jahrhunderts wieder en vogue – der Dandy:
Erinnerung an eine extravagante Spezies

Der Wunsch war präzise: „Fünfhundert signierte Exemplare an Freunde, sechs für die Öffentlichkeit, eines für Amerika.“ Was Amerika anlangt, so hatte Oskar Wilde 1882 und 1883 zwei Vortragsreisen unternommen, um den Bürgern dieses Landes, denen der Begriff „Ästhetik“ gänzlich neu war, seine Theorie des Schönen nahezubringen. Er verblüffte das Publikum, das er verachtete, durch Kostümierung und rhetorische Brillanz. Seine geschliffenen Bonmots, paradoxen Aperçus und liebenswürdigen Unverschämtheiten bezauberten die Damen und entwaffneten selbst die Gegner, zumal da er seine Überlegenheit more britannico, das heißt nicht ohne Selbstironie vorführte. „Meine Schwäche ist: Ich kann anpacken, was ich will, es gelingt mir immer.“ Zum Elitären bekennen sich in unserer, dem Anspruch nach egalitären Gesellschaft inzwischen viele. Doch der Typus, in dem alle Erlesenheit zusammengefaßt und auf die Spitze getrieben ist, wird oft mit den Abarten verwechselt: jenen Gecken, Stutzern und Snobs, die auf den Boulevards und in den Cafés des 19. Jahrhunderts durch affektiertes Gehabe und überkandidelte Kleidung Aufsehen erregten. Fritz J. Raddatz nennt Oskar Wilde einen Snob. „Ein Dandy war er nicht.“ Ein Irrtum. „Wilde – das ist der letzte große Dandy seiner Zeit, ein Heros seiner Epoche. Seine Nachfolger sind spleenige junge Männer“, schreibt H. J. Schickedanz (Der Dandy, 1980). Herablassende Titel von der Art „Wer seine Schuhe auch von unten putzt“ reduzieren die Figur des Dandys auf sein elegantes bis extravagantes Äußeres. Sie bedienen ein Vorurteil.
In der Presse verstreut, zuletzt anläßlich des Todes von Ernst Jünger, taucht er nun immer häufiger auf, der Begriff, der das verpönte Elitäre repräsentiert. „Es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, auf dem hohen Niveau meines blauen Porzellans zu leben“, meinte Wilde, der in Übertreibungen schwelgte, über die er sich zugleich lustig machte. „Nur unter eleganten Leuten bin ich bei mir selbst.“ Der Dandy ist eine metropole Erscheinung und an öffentliche Orte gebunden, die heute nicht mehr existieren. Er braucht Publikum. Und den Luxus der Muße, die Wohlhabenheit voraussetzt.
In Oskar Wilde (1854 bis 1900) erblühte der Typus, den Beau Brummel (1778 bis 1840) begründet hatte, zu schillernder Pracht: Er lebte nicht nur den Dandy bis zur Neige, sondern propagierte diese erhabene Lebensart auch in Vorträgen und Schriften zur Ästhetik: „Das Ziel des Lebens ist es, zum Kunstwerk zu werden.“ Ein Ziel, das bereits Brummel verfolgte, der nach Ansicht von Barbey d’Aurevilly ein großer Künstler war. „Er gefiel durch seine Person, wie andere durch ihre Werke gefallen.“ Wie Brummel war Wilde ein Meister der geistsprühenden Konversation, in der Tradition des Rokoko, in dessen Salons einst Casanova brilliert hatte. Der war freilich kein Dandy, sondern ein Abenteurer großen Stils, der die Frauen liebte. „Das Weib ist das Gegenteil des Dandys“, schrieb Baudelaire, denn der Dandy, das ist der „Kunst gewordene Mensch“ (Otto Mann 1925). „Das Weib ist natürlich, das heißt, abscheulich“ (Baudelaire). Doch die homo-erotische Dimension charakterisiert den Dandyismus nicht durchgängig. Für Wilde war die stilvolle Sprache eine Form des Handelns, und in Bewunderung der Antike galt ihm die Kontemplation „als einzig menschenwürdige Beschäftigung“. Anders Ernst Jünger, der „Elite- Mensch“ (Spiegel): Er verherrlichte die Tat und war insofern gewiß kein „cooler Dandy“, auch wenn er noch im hohen Alter stets hübsch angezogen war.
Beau Brummel, der graziöse Günstling des ihm geistesverwandten Prinzen von Wales, des späteren Georg IV., Erfinder des Fracks und des englischen Gentlemans (sein Diktum „Gut gekleidet sein, heißt nicht auffallen“ wurde Programm), verkörperte – gut eine Generation vor dem auffallend gekleideten Wilde – die Herrschaft des guten Geschmacks über die vornehme Gesellschaft.
Sogar der König folgte seinem Urteil. Obwohl nicht von Adel, war er der dekadenten Aristokratie durch sein unangefochtenes Vorbild ein ironischer Zeremonienmeister. Der Dandyismus, wie Brummel ihn vorlebte, war weit mehr als bloße Kleiderordnung: Es handelte sich um ein Konzept streng ästhetischer Lebensführung, allerdings jenseits der moralischen Ansprüche des im Cortegiano des Quattrocento postulierten Ideals. Die Etikette, freilich lässig befolgt, band die wankende Oberschicht zusammen. „Domestiken“, so Wilde, „erkennt man an ihren perfekten Manieren.“
Die Stilisierung des Ich, die gegen das Natürliche bewußt gesetzte Künstlichkeit (Wilde: „Die erste Pflicht im Leben ist es, eine Pose einzunehmen“), die nicht preziös wirken durfte, folgt aus der Anwendung künstlerischer Kriterien auf das Leben selber. Dies ist das Prinzip allen Dandytums. Der Dandy richtete sich gegen die Nivellierungen der Massengesellschaft, gegen die Fortschrittsseligkeit und den Tatsachenfetischismus des Bürgertums, gegen den Primat der Maschinen, gegen das Mittelmaß. Er war eine rückwärtsgewandte Rebellion aristokratisch Gesinnter gegen die Trivialitäten der Demokratie, die Wilde mit dem Bonmot kommentierte: „In einer guten Demokratie sollte jeder ein Aristokrat sein.“ Angesichts des Niedergangs der Aristokratie handelte es sich schon bei Brummel um den Versuch, durch Vervollkommnung des Ich einen neuen, von Herkunft unabhängigen Adel zu schaffen. Es ging darum, sich selbst zu erziehen. Anders als die bürgerlichen Konzepte zur Gestaltung eines guten, anständigen Lebens, die stets einer auf Ökonomie hinauslaufenden Moral folgten, stellt der Dandyismus die Ästhetik programmatisch über die Ethik. „Die Läuterung und Vergeistigung der Natur ist nicht ein moralisches, sondern recht eigentlich ein ästhetisches Phänomen“ (Wilde). Etwas als schön zu empfinden, sei das Höchsterreichbare. Sowohl Brummel als auch Wilde übernahmen sich bei der Selbstinszenierung. Verschwenderisch endeten beide mit großer Contenance im Elend.

Selbstverständlich konnte die Rebellion des Dandyismus gegen die raffgierige, heuchlerische viktorianische Bourgeoisie nicht vulgär sein: Es ging nicht um das „Was“, sondern um das „Wie“, nicht um Inhalte, sondern um die Form. Inhalte, das war das rohe Leben, wie es etwa der naturalistische Roman eines Zola abbildete. Bei den Versuchen, Aufsehen und Anstoß zu erregen, handelte es sich, wie Baudelaire in seinem Essay Der Dandy bemerkt, um ein „Bedürfnis, sich eine Originalität zu bilden, die sich in den äußeren Grenzen der Konvenienz hält“.
Barbey d’Aurevilly stimmt mit Baudelaire überein: „Tout Dandy est und oseur, mais un oseur qui a du tact.“ Das „Wagnis“ des in seinem Selbstverständnis durchaus heldenhaften Dandy, des Nachfahren der Ritter und Kavaliere, der nach dem Vorbild der Stoiker („nil admirari“) in jeder Situation kaltblütige Gelassenheit zeigte, bestand keineswegs darin, die gesellschaftlichen Regeln zu brechen. Die Formung des Selbst war die Alternative zum Aufstand der Massen, denen es um Inhalte geht: Arbeit und Brot.
Den Primat der Form über den Inhalt hat Wilde immer wieder formuliert. Provokant spricht er von der Tugend des Blendens, von dem Verfall des Lügens und der Notwendigkeit, eine Maske zu tragen, dieses dem Rokoko geläufigen Mittel des Posierens. „Verhüllung, Täuschung, Verblüffung“, nach Otto Mann (1925) die „formalen Mittel dandyhafter Unterhaltungskunst“, zeigen eine „Neigung zur Mystifikation“. Die von Baudelaire vertretene französische Variante des Dandyismus fügt die décadence und den ennui, den Überdruß und die Lust an Selbstzerstörung hinzu. „Die Kunst errichtet zwischen sich und der Wirklichkeit die unübersteigbare Schranke des schönen Stils“ (Wilde). Der Stil macht die geheimnisvolle Unnahbarkeit des Dandys aus. Seine Blasiertheit war der Panzer, die Kunst des ironischen wie des beißenden Spottens das Florett. In der kühlen Miene und Haltung des Dandys spricht sich, so Baudelaire, „der unerschütterliche Vorsatz aus, sich nicht bewegen zu lassen“. Derart, in einer dem Bohemien ähnlichen Verweigerungshaltung, trotzt das Individuum der Welt in (fiktiver) Souveränität. Gerade die Leidenschaftslosigkeit des Beau Brummel ließ ihn, so Barbey, als „geborenen Herrscher“ erscheinen. Herrscher über den Geschmack. Brummel war cool.
Heute, angesichts der von Intimität durchsetzten Öffentlichkeit, kommt die Sehnsucht nach Distanz auf. Die Formlosigkeit heutigen Umgangs hat sich mit der Übernahme des american way of life verbreitet: Jeans, Rustikalität, Sportlichkeit, Lässigkeit, ewige Jugend und Demokratie gehören zu seinen Zutaten. Die Studentenrebellion und die aufstrebende Pop-Kultur der sechziger Jahre, die sich gegen den überholten Formenkanon der Elterngeneration richtete, beförderten das Bedürfnis, den Umgang stets neu zu erfinden. Höflichkeit war verdächtig, Konflikte waren erwünscht. Man wollte umstandslos und aufrichtig zur Sache kommen. Zu der infantilen Rücksichtslosigkeit, einer Spielart der von Richard Sennett konstatierten „Tyrannei der Intimität“, kommt nach der Wende das verdrossene Wir-Gefühl des untergegangenen Arbeiter-und-Bauern-Staates hinzu. Der Populismus der Politiker, die programmatische Indiskretion der Talkshows, der Dilettantismus in der Rock-Szene, die Gleichsetzung von Imitation und Kreativität, das selbstverständliche Duzen verbreiten in der auseinanderdriftenden Gesellschaft den Eindruck eines plebejischen Miteinanders. Schließlich formt sich in Zirkeln der Metropolen gegen die Plebejisierung samt Betroffenheitskult (Cora Stephan) ein elitärer Widerwille. Das Bedürfnis nach Selbststilisierung wird von zwei neuen gesellschaftlichen Tendenzen getragen, die das Zerfallen der herkömmlichen Arbeitsgesellschaft begleiten: die zunehmende Individualisierung der Lebensumstände, welche den Individuen selbständige Entscheidungen abverlangt, die zuvor durch Klasse, Familie, Geschlecht und Tradition vorgegeben waren, und die Ästhetisierung des Alltagslebens, welche bedeutet, diese Entscheidungen nach Geschmackskriterien zu treffen.
Die alte philosophische Frage „Wie soll man leben?“ wird heute oft durch rücksichtslose „Selbstverwirklichung“ beantwortet. Dem elitären Widerwillen und dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit fehlt die kommunikative Kompetenz des Dandys wie auch der öffentliche Rahmen, der die Spielregeln des Auftretens festlegt. Mit Jeans in die Oper zu gehen, ist problemlos. Da alles überall stattfinden kann – Vernissage beim Zahnarzt, Party in Abwasserkanälen, Dichterlesung im Bahnhof –, wird ein Auftritt unmöglich, der Spielregeln entspricht oder sie in Frage stellt.
Eine dem Dandy verwandte Ausprägung ist der Camp nach Schickedanz (1980), „der Dandy der Massenkultur“. In ihm scheinen Dandy und Bohemien zu konvergieren. „Ostentativ Distanz bewahrend und dem Ästhetizismus verschrieben, protestiert er gegen Mediokrität und Trivialität des bürgerlichen Lebens, gegen Arbeitszwänge und Anpassung der Massengesellschaft.“ Mit den Moden geht er nicht. „Äußerliche Originalität und Exzentrik sind lediglich Ausdruck adäquater Innerlichkeit.“ Der aus disparaten Fundstücken zusammengesetzte lakonische Mülljargon und das Styling der Egomanen im Umkreis der metropolen Kunstszene der 90er Jahre entsprechen der Tendenz in der Kunst, mit Abfall zu arbeiten. Bereits der Wildesche Dandyismus zersetzte die schöne Geschlossenheit des Stils à la Brummel durch subversive Übertreibungen. Seitdem hat sich die Vorstellung vom „Schönen“ gewandelt. Nicht, was zusammenpaßt, sondern was nicht zusammenpaßt, macht die Ästhetik der Selbstinszenierung aus. Der jugendliche Szenetyp posiert im Stil der Unvereinbarkeit oder des abgeschmacktesten Kitsches, dem süßlichen Bodensatz des alten Schönen. Gewiß steht dieser ironische Stil in der Tradition des épater les bourgeois in der Kunst. Dem Dandyismus ist er durch den Wunsch, zu verblüffen, durch Coolness und Endzeitgefühl verbunden. Der Dandyismus und seine Abarten treten in Übergangsperioden auf, in Zeiten, die halbseitig durch Hinfälligkeit objektiver Strukturen, Dekadenz und Zukunftsangst gekennzeichnet sind, merkwürdigerweise meist um die Jahrhundertwenden: um 1800 zum Übergang von der feudalabsolutistischen zur bürgerlichen Epoche, um 1900 am Ende der Belle Époque. Und jetzt als Endzeitästhetik post Tschernobyl, in Ironie, die Aggression mit Resignation mischt.