This text exists at the moment only in German language
Published in: taz - die Tageszeitung
Negation des Lichts
Ehre, wem Ehre gebührt, gerade an heißen Sommertagen – eine kleine Kulturgeschichte des Schattens
Die Sonne ist in den nördlichen Ländern kostbar, in den südlichen ist es der Schatten. Wir liegen in der geografischen Mitte und haben es mit dem Wetter mal so, mal so. Bei nahezu 40 Grad hätten es sogar die Sonnenhungrigsten nun gern ein wenig dunkler. In der Stadt bewegt man sich behutsam von Schatten zu Schatten und weicht den Sonnenpartien aus wie sonst den Pfützen.
Im Süden gibt es Schatten in den alten Laubengängen Paduas oder in den hohen Arkaden Turins. Und in den Alleen, die einst für die offenen Kutschen angelegt worden waren. Schirme heißen ombrello: kleiner Schatten.
Doch wird der Schatten, wo er mit Dunkel und Finsternis gleichgesetzt wird, etwas Schlechtes oder Trauriges. Denn er ist die Negation des Lichts, das schon bei Juden und Christen als Zeichen der Gegenwart Gottes gegolten hat und seit der Aufklärung, dem siècle des lumières oder dem illuminismo zum paradigmatischen Begriff wurde. Alle mittelalterlich düsteren Geisteswinkel sollten ausgeleuchtet werden, in welchen lemurenhaft der Aberglaube nistete.
Im negativen Sinn sagen wir: Ein Schatten fällt auf eine Sache oder jemand steht im Schatten eines anderen oder man lernt die Schattenseiten des Lebens kennen. Die Schattenseite impliziert die Existenz einer Lichtseite und besagt damit etwas über die ungerechte Verteilung der Lebenschancen. Man spricht von einer Schattenwirtschaft und meint damit die Schwarzarbeiter, die so heißen, weil sie im Dunkeln arbeiten, dort, wo man sie als solche nicht erkennt. Das gilt auch für den, der dunkle Geschäfte macht. „Schattenmenschen“ werden Einwanderer ohne Papiere genannt, die sans-papiers.
Dante erschrak, als er bemerkte, dass Vergil, der ihn durch das Totenreich geleitete, keinen Schatten warf. Denn der Schatten haftet an allen Lebewesen und Dingen. Wer keinen Schatten hat, existiert nicht als Körper. Bedrohlich kann der herannahende Schatten sein, wenn er an die ewige Finsternis erinnert oder von einem ungeheuren Gegenstand herrührt – etwa die furchtbaren Raumschiffe in Emmerichs Film „Independence Day“.
Je mehr Licht, umso schärfer wird der Schatten. Er wandert mit der Sonne, er bewegt sich. Dies gibt ihm eine mitunter unheimliche Lebendigkeit, besonders dann, wenn man nur den Schatten, nicht aber die Person oder das Ding sieht, welche den Schatten wirft. So kündigt er ein Unheil an, wie etwa auf dem Cover altmodischer Horrorromane.
Das flackernde Kerzenlicht vergangener Tage warf wilde und verzerrende Schatten an die Wand und steigerte so die Unheimlichkeit. Nicht nur die Beweglichkeit, auch die Veränderlichkeit des menschlichen Schattens, der sich bizarr auseinander und zu einem Fleck zusammenziehen kann, ist verdächtig, weil er einerseits so eng am Menschen hängt, als sei er ein Teil von ihm, und andererseits doch so selbstständig scheint.
Die schräge Abendsonne verlängert den Schatten und zieht einem die Schattenbeine lang über das Pflaster hin. Der Schatten klebt. Daher kann man nicht „über seinen Schatten springen“. Auf einem berühmten Bild von van Gogh schleppt der Maler seinen Schatten über einen heißen Weg. Man erinnert sich an Chamissos Geschichte von Peter Schlemihl, der seinen Schatten dem Teufel verkaufte. Todunglücklich wälzte er sich dann in seinem Gold wie einst der verrückte Kaiser Caligula. Es gibt düstere Charaktere, die nie lachen – hell (sic!) lachen.
Der Schatten heftet Dinge und Menschen an den Boden und verleiht ihnen sichtbar Gewicht und Volumen. Noch das Flugzeug wirft seinen Schatten auf die Erde und bleibt ihr so verhaftet. Bei Giotto, der doch dafür gerühmt wird, auf seinen Fresken den Menschen als Erster (um 1300) ihre irdische Schwere verliehen zu haben, findet sich kein einziger Schlagschatten. In der frühen, ikonografisch festgelegten Malerei hat man den Schatten als Naturphänomen ignoriert. Im Code der Bildersprache hatte er keinen Platz.
Erst mit der Entdeckung der Perspektive und der wissenschaftlichen Freude an der Abbildung der Natur wird auch dem Schatten Gerechtigkeit zuteil. Es ist die Schattierung, welche die Dinge körperhaft erscheinen lässt. Steht die Sonne im Zenit, wird die Welt flach – wie jeder Fotograf weiß.
Der Schatten gilt als schwarz – was er nicht ist. Erst spät fanden die Maler heraus, dass der Schatten farbig und verschiedenfarbig ist. Bei Vermeer gibt es Schatten in gestaffeltem Blau.
Es macht Freude, sich bei brennender Sonne im kühlen Schatten des Schattens zu erinnern und über das selbstverständlich Gewordene nachzudenken. Ist das bei aller physikalischen Erklärbarkeit doch so geheimnisvolle Phänomen ins Bewusstsein gerückt, sieht man überall Schatten, die man sonst nicht wahrnimmt, weil sie abgeleitet sind und darum als zweitrangig gelten.