Wie Christo Onkel Dagobert überzeugt hat

„So, Sie haben eine Brücke eingepackt, sehr merkwürdig. Und wieviel hat man Ihnen dafür bezahlt?“ „Verhüllt, Mr. McDuck.“ „Wörter", winkte Uncle Scrooge ab, blickte auf die Uhr und fragte den unsympathischen Bittsteller, was er nun eigentlich von ihm wolle. Christo sagte es ihm. „Waaaa … aa … aaas?“ kreischte die reichste Ente der Welt und sprang in der bekannten Art vom Polstersessel auf den dreimeterbreiten Schreibtisch. Doch Christo ist nicht schreckhaft. Er hat schon mit vielen hochgestellten Persönlichkeiten verhandelt. „Der monolithische Charakter …, seine Einsamkeit …“, begann er, riß sich dann aber zusammen und fuhr fort: „Das Material ist silbergrau, sehr dick, hat seidigen Charakter und wird oft in Filteranlagen verwendet. Der Stoff wird nach einem speziellen Plan gefaltet, auf dem Dach hergerichtet und Kaskaden gleich an den Seiten herunterfallen.“
Er machte eine Kunstpause, um zu sehen, wie es wirkte: Der Onkel war in seinen Sessel zurückgesunken. Dicke, kommaförmige Schweißperlen spritzten ihm vom Schädel, seine Pupillen waren geweitet, seine Augen standen eng über dem Schnabel, aus welchem schlaff die kleine Zunge hing. „Es kommen nur Berufskletterer in Frage. Niemand darf aufs Dach, der nicht Profi ist'', fuhr der Künstler ungerührt fort. „Berufskletterer auf dem Dach!“ rief der Onkel entsetzt und fuchtelte wild mit dem Stock, als seine Neffen Tick, Trick und Track hereinstürzten, um das monatliche Taschengeld abzuholen. Sie würden es, wie immer, ihrem Onkel Donald geben, der seit dem 13. März 1934 ohne Arbeit war. „Rund zweihundert Bergsteiger werden wir brauchen … Dabei wird kein einziger Nagel in das Gebäude geschlagen, keine Schraube verwendet“, erläuterte Christo das Projekt. „Bergsteiger auf dem Dach!“ heulte der Onkel auf, „Verhüllte Profis! Räuber! Gewerkschafter! Panzerknacker!“ „Aber Onkelehen, du tust ihm Unrecht! Das ist SuperChristo!“ riefen die drei kleinen, klugen Neffen unisono. Denn sie hatten den Künstler an seinem furchtbaren Akzent und seiner schäbigen Safari-Jacke erkannt. „Er schafft überall Arbeitsplätze, er wohnt im Armenviertel von Ducks' City und ist ganz selbstlos!“ „Selbstlos?“ krächzte der Alte mißtrauisch. „Der eigentliche Vorgang der Verhüllung wird nicht länger als zwei bis vier Tage in Anspruch nehmen", erklärte Christo weiter. Den Geldspeicher mit den gesparten Trillionen, in denen er sein tägliches Bad nahm, verhüllt? dachte der Onkel. Aber dann sähe er seinen Tresor, diesen Jungbrunnen, diesen Quickborn seines Alters nicht mehr! Der bahnhofsgroße Panzerschrank wäre dann so gut wie verschwunden. Er erinnerte sich an den gräßlichen Magier im Zirkus, der erst eine große Dame und dann sogar eine Rolle Taler unter seinem Tuch hatte verschwinden lassen. Fort und weg! Was man nicht mehr sehen und anfassen kann, wo ist das? fragte sich Dagobert und griff sich angstvoll an den Bürzel. Sollte er sich seine Taler etwa vorstellen, anstatt ihren Geruch einzuatmen und ihrem süßen Klingeln zu lauschen? Er war Radikalkonkretist (Gold statt Schecks). Der sensible Künstler merkte indessen, daß das Gespräch eine falsche Richtung nahm. „Jch will auf den Symbolgehalt der Dinge aufmerksam machen!“ sagte er darum beruhigend. Panzerknacker wollten immer nur das eine, beharrte der Alte uneinsichtig. Aber es gehe doch um Symbole, hielt Christo dagegen. Und es gehe doch auch um die anderen. Und seine Neffen versicherten auf Ehrenwort, Super-Christo sei kein Panzerknacker. Nun hielt Christo die Zeit für gekommen, seine Batterie von Argumenten abzufeueren: „Andere Künstler schaffen traurig stimmende Werke, depressive Sachen … Diese (meine) Projekte … sind alle fröhlich und erzeugen gute Stimmung …“ Und dann ein noch stärkeres Kaliber, das unter der Bezeichnung „Happy Artburger“ (oder auch als „the good old value") weltberühmt war: „Jch glaube, daß Kunst wie ein Ventil wirken kann … Das Werk löst so starke Empfindungen aus, daß die Menschen für eine Weile aus ihrer tagtäglichen Misere erlöst werden. Anstelle der Arbeitslosigkeit, Streiks und Ausländerprobleme, diskutieren sie über Werte …“ „Ja, über mein Geld!“ schrie Onkel Dagobert dazwischen. „Onkelchen", ließ sich da Tick hören, der während Christos Kanonade in einem Buch geblättert hatte. Er war der belesenste der drei kleinen Neffen, dieser vorbildlichen Mitglieder des ‚Fähnlein Fieselschweif', „hör doch bitte mal her: Die Schönheit der Kunst ist anders als die Wahrheit der Theorie- verträglich mit der schlechten Gegenwart: in ihr kann sie Glück gewähren. Die wahre Theorie erkennt das Elend und die Glücklosigkeit des Bestehenden. Auch wo sie den Weg zur Veränderung zeigt, spendet sie keinen mit der Gegenwart versöhnenden Trost.“ „Uff!“ machte der Onkel, „wo habt ihr das trostlose Zeug her?“ „Aus unserem Pfadfinder-Handbuch", antwortete Tick. „Vom Autor des Buchs „Die eindimensionale Ente", sagte Track.
Als Kapitalist schaltete Mr. McDuck ziemlich schnell: „Würde denn mein' Geldspeicher durch Ihre Verhüllung zu einer. .. Schönheit?“
"Würde, Schönheit, Ästhetik, Geschichte,“ bestätigte Christo. Als der Überzeugungskünstler merkte, daß der Onkel weich wurde, kartete er nach und schoß sein stärkstes Argument ab, den „Double Free Artburger“ ("Big Ego Mac"): „Meine Werke entstehen nicht, weil der Präsident einer Republik sie gerne haben will oder der Bürgermeister einer Stadt oder der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns … Niemand braucht einen verhüllten Pont Neuf … Dies sind Demonstrationen poetischer Freiheit. Um diese Freiheit, ohne Bedingungen, erhalten zu können, müssen meine Werke von mir finanziert werden. Ich bin damit der einzige Künstler der Welt, der seine Arbeiten selbst bezahlt.“ Der Onkel starrte Christo ungläubig an. „Ich lebe wirklich in der totalen künstlerischen Freiheit. Ich kann sagen, daß ich nur das mache, was ich will, wo, wann und wie ich es will", sagte der Künstler bescheiden. „Sie wollen also kein Geld von mir?“ fragte die reichste Ente der Welt begeistert. Christo schüttelte den Lockenkopf. „Jch versuche schon eine ganze Weile, Ihnen zu erklären, daß ich nicht käuflich bin", sagte er. Da strahlte der Onkel und kam hocherfreut hinter dem riesigen Schreibtisch hervorgewatschelt, um dem sympathischen Künstler die Hand zu reichen.
"Ja, wenn das so ist! Wenn sie das mit dem „fröhlichen Ventil“ umsonst machen wollen, dann also okay. Aber nur unter Polizeiaufsicht", setzte er vorsichtig hinzu. Der Künstler erhob sich. Er war mit sich zufrieden. Wieder einmal hatte er sich gegen härtesten Widerstand durchgesetzt und konnte einfach machen, was er wo wann wie wollte. „Die Gebäude gehören gewissermaßen mir", sagte er leise. „Hülle, zwei Wochen, symbolisch.“ präzisierte Dagobert Duck.

(Die Originalzitate vergleiche: „Eulenspiegel oder Revolutionär? Der Kampf und den Reichstag.“
Gespräch mit dem Verhüllungskünstler Christo, von Henno Lohmeyer und Felix Schmidt, Berlin 1993)