Warum Onkel Dagobert damals einen Roy Lichtenstein kaufte

Look: Die reichste Ente der Welt sitzt in ihrem Geldspeicher auf einem Berg von Talern. Das Kinn auf die über dem Stockknauf gefalteten Hände gestützt, betrachtet Uncle Scrooge zufrieden ein Bild im Goldrahmen: endlich wieder ein Stück gegenständliche Malerei!
Onkel Dagobert hatte mit den Sachen von Jackson Pollock, Willern DeKooning, Franz Kline, Clifford Still nie etwas anfangen können. Die Abstrakten Expressionisten, erklärte ihm im Sommer 1965 John Rublowsky, der gerade sein Buch über Pop Art herausgebracht hatte, schufen „Welten, die ganz in sich selbst ruhten und zu keiner äußeren Realität einen Bezug hatten“. Unverschämtheit: die „abstrakte“ Kunst hatte also nicht nur dem breiten Publikum, sondern auch solch hervorragenden Männern wie Dagobert Duck die Tür gewiesen: wie hätte er beurteilen können, ob das, was die Maler malten, überhaupt stimmte? Ob es wahr war? Ob sie ihn nicht belogen und nasführten? Der un-gegenständlichen Kunst war es gelungen, sich dem kontrollierenden Vergleich mit der Alltagswirklichkeit zu entziehen. Sollten Männer wie Duck, die die Welt kannten, irgendwo nicht mehr mitreden können? Zu Rublowsky, der ihn mehrmals interviewte, sagte er deshalb: „Es waren undemokratische Umtriebe. Nun ist es endlich vorbei mit der Flucht vor der Wirklichkeit!“ Als Multi-Trillionär konnte der alte Duck nicht vermeiden, hin und wieder in Kreisen zu verkehren, die in Ducks' City tonangebend waren. Da saß er dann in einem 44. Stock mißmutig in einem Ledersofa bei einem Glas Mineralwasser und hörte sich das Gerede von Leuten an, die ihm keinen Taler einbrachten. Einmal entdeckte er einen, den er kannte, Robert C. Scull, der in Ducks' City eine Menge Taxis laufen hatte und im Versicherungsgeschäft war. „Hallo, Bob“, schrie Dagobert mit seiner durchdringenden Stimme, „was machst du denn hier zwischen diesen … ehern … ehern … ?“ Scull unterhielt sich gerade mit einem Mann, der nach Ducks Einschätzung Italiener sein mußte. Nun kamen die beiden auf das Sofa zu, auf dem die Ente saß. „Hallo, Dag, alter Knabe“, sagte Scull, „das ist Leo, Leo Castelli.“ Der Italiener war kaum größer als der alte Duck selber. Castelli erzählte ihm er habe in seiner Galerie einen Maler, der „Hot Dogs“ so comicmäßig heiß male, daß Mr. Duck sich daran die Finger verbrennen würde. So kam es, daß Uncle Scrooge mit Roy Lichtenstein bekannt wurde. Er lud den berühmten Pop Artisten in seinen Geldspeicher zu einem Glas Cola ein und bestellte bei ihm schließlich das oben abgebildete Gemälde. Das Bild gleicht der Realität so sehr, daß Mr. Duck den Eindruck hatte, am Ineinanderfließen hinderte die beiden Realitätssphären nur der Rahmen. Er bekam wahrhaftig Lust, die Hände unter das Bild zu halten. Er hatte sich bei Lichtenstein ausbedungen, die Taler im Maßstab 1 zu 1 abzubilden. Das sei „realistischer“ als eine Vergrößerung. Eine Verkleinerung kam ohnehin nicht infrage. Zu kleine Taler hätten ihm starken Widerwillen bereitet. „Für Dagobert Duck ist die symbolische Realität durch eine ein-eindeutige Referenzbeziehung an die Realität der Entenwelt (die Entität) angedockt“, schrieb Rublowsky in sein Notizbuch (für das Proseminar). Der Maler brachte ihm das Bild am nächsten Tag. Uncle Scrooge lud ihn zu einer weiteren Cola ein und begann dann, die Taler nachzuzählen, die auf dem Gemälde abgebildet waren. „Es stimmt nicht“, sagte er nach einer Weile ärgerlich. Der Maler verstand ihn nicht gleich.
“Es ist gut gemalt, Roy, sieht aus wie echt, aber es ist viel weniger. Schauen Sie sich in meinem Geldspeicher um: was Sie sehen, Roy, sind ca. 254 Trillionen Taler. Das Bild, das Sie mir gemalt haben, ist also ziemlich unvollständig, schätze ich!“ Aber Lichtenstein entgegnete cool: „Können Sie alle Ihre Taler auf einmal sehen? Natürlich nicht. Ich habe nur einen Teil des Geldberges malen können. Der Ausschnitt symbolisiert das Ganze. ('Pars-pro-toto', notierte John Rublowsky, für seine Studenten). Das Übrige müssen Sie sich vorstellen.“ „Vorstellen?“ fragte der alte Duck mißtrauisch.
Duck hat sich das Bild dann an die Tresorwand gehängt. Wenn er es ansah, blickte er wie durch ein Fenster nach draußen. Das war der „Ausschnitt“, von dem Lichtenstein gesprochen hatte. Viele Leute haben Hirschbilder oder einen Vasarely überm Sofa. Viele sehen nur fern. Aber fremde Realitäten mag der Onkel nicht. Als Radikalkonkretist stellt Dagobert Duck sich nur das vor, was da ist. Und er mag nur Realitäten, die ihm selber gehören. Daß ein Ding für ein anderes gilt und dieses also symbolisiert, kommt Mr. Duck verdächtig vor. Symbole erscheinen ihm als Verkleidungen und unsolide Stellvertreter. Daß Geld selber ein Symbol ist, fällt der Ente im Traum nicht ein. Was sie so schön hart unter dem Bürzel spürt, ist Sache. Nur „was Sache ist“, will Duck wissen: hingehen, anfassen, mitnehmen. Er verachtet das „Drumrumreden“, das bloße Herumfuchteln mit Zeichen. Aber nicht nur ihm geht es so. In „Gullivers Reisen“ berichtet Swift von konkretistischen Sprachgelehrten der Akademie von Lagado, die gegen Symbole so mißtrauisch waren, daß sie sich lieber durch Sachen ausdrückten: wie ein Hausierer trug solch ein Linguist „ein großes Bündel von Dingen auf seinem Rücken mit sich herum“. Bei einem Gespräch lud er die interessierenden Gegenstände ab, schloß fest den Mund und zeigte auf sie. Die Gespräche blieben auf diese Weise immer streng sachlich. Roy Lichtenstein hätte dem alten Tykoon auch einen seiner gemalten „Hot Dogs“ verkauft. Aber das wollte Duck nicht, denn aus seiner Jugendzeit als Tellerwäscher erinnerte er sich an den Geruch der „Heißen Hunde“. Er erklärte dem Pop Artisten, T a l e r seien für ihn das einzige interessante Thema. „Wissen Sie, warum, Roy?“ Der Maler schüttelte den Kopf. Da sagte die reichste Ente der Welt: „Das Bild mit den Talern ist das Bild der Bilder, Roy. Es enthält jedes andere Bild. Sogar die Mona Lisa.“ Nach einer Weile setzte er hinzu: „Darum kaufe ich nur das eine.“ Lichtenstein erzählte die Sache auf der 42sten seinem Malerfreund Andy W .. „Der alte Duck ist ein toller Typ“, meinte Andy. Auch ich mag Geld an der Wand … Ich meine, daß man das Geld an eine Schnur binden und an die Wand hängen sollte.“ „Nur echte Dollars!“ wandte Roy ein, „meine sind gemalt“. „Ist zu umständlich“, sagte Andy. „Soll ich dir was sagen? Meine Lieblingsskulptur ist eine massive Wand mit einer Öffnung.“ „Wow!“ sagte Roy, „da wird Castelli sauer sein.“

(Andy W. München 1991. 133, 141, 92)