Little Big City (6): The Zoo

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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Schreiende Elefanten

Was eine Großstadt sein will, hat einen Zoo. Nach den Vorbild von London entstand der erste "zoologische Garten" Deutschlands im Berliner Thiergarten. Das Gartenprinzip gesteht den Tieren mehr Lebensraum zu als der enge Käfig der Menagerie. Während der Berliner Zoo eine staatliche Gründung (1844) war, ist der erste auf private Initiative angelegte Zoo der in Frankfurt a.M. (1858) .
Im Unterschied zu den Residenzstädten kamen die meisten gemeinnützigen Errungenschaften in Little Big City durch die Bürger selber zustande. Die alten Menagerien waren als Sammlungen exotischer Tiere ein Pendant zu den Wunderkammern gewesen. Die Fürsten pflegten ihre Gäste durch "Meraviglia" (Wunderdinge) zu überraschen: seltene Münzen, Steine, Uhren, Antiken, aber zum Schrecken der Damen auch Missgeburten in Spiritus.
Die Menagerien waren Sammlungen von "Monstern" (von lat: monstrare = zeigen), z. B. ein Nashorn, über das man sich wunderte und lachte. Schon 1443 war auf der Frankfurter Messe ein Elefant gezeigt worden. Nach der Entdeckung Amerikas wurden auch "Wilde" ausgestellt. Wilde Tiere wurden in "Zwingern" gehalten, wobei es vergnüglich war, dicht vor der gefangenen, wutschnaubenden Natur, eine Zigarre im Mund, gelassen promenieren zu können.
Auf diese Tradition geht zurück, dass die späteren Zoos oft mit Vergnügungseinrichtungen kombiniert wurden. Anders als die Feudalen, die nur für ihr Vergnügen lebten, machte das aufstrebende Bürgertum mit allem ernst. So ist der Zoo ein Verwandter der Enzyklopädien, also des Versuchs der Aufklärer um Diderot, alle Phänomene der Welt im Detail zu erfassen.Fremdartige Tiere fungierten nun nicht mehr als kuriose Geschenke, die man bei Besuchen machte, sondern wurden zu Objekten wissenschaftlicher Studien. Und da man im 18. Jahrhundert an Jean Jaques Rousseau glaubte, wurde die Volksaufklärung Programm.
Wenn die Zoos öffentlich waren, so dass jedermann Zugang hatte, so nicht nur des Vergnügens, sondern auch der Bildung wegen. Es galt die Natur zu studieren, die den Künsten und Wissenschaften Vorbild war, die sich aber auch, wie man noch heute glaubt, beherrschen und übertreffen lässt: etwa durch Maschinen, die sich schneller fortbewegen als jedes Lebewesen oder durch die Malerei, die Naturschönheiten, die in der Natur nicht gemeinsam auftreten, so zu konzentrieren vermag, dass man behaupten konnte, die Kunst sei der Natur an Schönheit überlegen.
Im 19. Jahrhundert, dem bürgerlichen Jahrhundert, begann man Sammlungen im großen Stil anzulegen: Gesteinssammlungen, Pflanzensammlungen, Kunstsammlungen. Der Zoo ist eine Art Tiermuseum. In der hohen Zeit des Kolonialismus war es leichter geworden, in Asien, Afrika und Südamerika nie gesehener Tiere habhaft zu werden. Insofern hat jede Sammlung, ob Zoo oder Museum, eine imperialistische Basis: Man zeigte in den Metropolen, was man in den exotischen Ländern zusammengeraubt oder für einen Pappenstil erworben hatte.
Der Imperialismus stellte in den Hauptstädten seine Beute nicht anders aus als die alten Römer, welche in ihren Triumphzügen die fremdartig gewandeten Gefangenen und die merkwürdigsten Tiere mitgeführt hatten. Besonders als die Darwinsche Abstammungslehre Skandal machte, war es üblich geworden, sich über die Affen lustig zu machen.
Dass der Mensch das vollkommenste aller Lebewesen sei und damit auch das schönste, ist auch von den Pferdeliebhabern und Gazellenfreunden nie ernstlich bezweifelt worden. Und mit ihm verglichen ist ein Ameisenbär einfach komisch.
Der Zoo ist noch immer eine der größten Attraktionen von Little Big City. Dass er mitten in der Stadt geblieben ist und nicht – wie nach dem Krieg geplant – an die Peripherie verlegt wurde, verdanken wir Professor Grzimek. Als 1944 auch der Zoo brannte, liefen die Elefanten schreiend durch die Stadt. Salvador Dalis brennende Giraffe ist keine Erfindung.

Frankfurter Rundschau v. 11.01.2003, S.30, Ausgabe: S Stadt