(Purity) Flecken auf der weißen Weste

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Published in: Süddeutsche Zeitung


 

Von der reinen Wahrheit und dem die Ordnung störenden Schmutz

Du Ferkel, die frisch gereinigte Bluse!“ Solch ein Ausruf kann sich nur auf einen Fleck beziehen. Bloß, was ist an Flecken so furchtbar? Flecken sind zunächst ja nur Veränderungen: Ein Stoff, der zuvor gleichartig (homogen) schien, sieht nun heterogen aus.
Der Fleck ist eine Störung. Zuerst nur ganz blau, nun auch braun drauf, das da ursprünglich nicht hingehört. Das könnte man ja auch als den Anfang eines Musters interpretieren.
Ein Hauptmerkmal des Flecks ist, dass man ihn sieht. Der Fleck kann nur Oberflächen verunzieren. Und weil andere den Fleck sehen können, erhält er eine soziale Bedeutung. Als Oberflächenphänomen gehört der Fleck zu den Zeichen, die auf der Haut, der Kleidung, der Fassade abgelesen werden. Er ist ein Indikator.
Der Blutfleck ist das Indiz einer Verletzung. Es folgt˘zum Beispiel die Frage: „Was ist das? Wo warst du?“ Und man muss erklären, dass man im Garten des Nachbarn war, wo es Kirschen gibt, dass aber der Hund des Nachbarn angeschossen kam, so dass man schnell über den Zaun springen musste. Und dabei hat man sich diese Wunde geholt, hier. Und die Hose ist auch zerrissen. Wenn man selbst keine Wunden als Beleg vorweisen kann, können Blutflecken natürlich auch einen Mord bedeuten. Blut weist selten auf etwas Gutes hin. Oder? Auf dem Balkan war es Sitte, das von Blutflecken gezeichnete Bettlaken als Beweis der vollzogenen hochzeitsnächtlichen Defloration aus dem Fenster zu hängen; als Beweis dafür, dass die junge Frau eine reine Jungfrau gewesen war. Balkanische Sitten eben. Aus demselben Grund wurden Flecken im Bett Heinrichs des VIII. von England den jubelnden Höflingen als Beweis für die Potenz des Fürsten demonstriert, die Dynastie zu sichern. In beiden Fällen sind die Flecken Grund zur Freude.
Der Ausdruck homogen beziehungsweise das umgangssprachliche rein, besagen, eine Substanz, ein Material, ein Ding oder auch etwas Gedachtes ist durch und durch dasselbe: Die reine Wahrheit ist etwas, das, in welchen Kontext man es auch stellt, mit sich identisch bleibt; die reineLehre ist eine Theorie, die nicht von praktischen Interessen durchsetzt ist; reines Wasser bedeutet nur Wasser – ohne Whisky. Und reiner Unsinn ist nichts als Unsinn; Unsinn pur. Sprachpuristen träumen von reinem Deutsch – ohne Anglizismen.
Aus der Mode gekommen ist lauter. Die lautere Wahrheit und ein lauterer Charakter sind nur noch im gehobenen Feuilletonstil zu gebrauchen. Lauter Unsinn ist bloß Unsinn; Unsinn, der nicht bemäntelt ist, nackt daherkommt und darum sofort als solcher erkennbar ist. Und wenn einer sich geläutert hat, so ist er nicht nur mit sich selbst im Reinen, sondern auch nach einigen Fehltritten wieder anständig geworden, und zwar durch und durch.
Reinheit ist ein positiver Begriff. In den Naturwissenschaften werden, um wissenschaftlich zu arbeiten, Elemente aus Verbindungen sowie Substanzen aus Mischungen isoliert, gedankliche Zusammenhänge analytisch auseinander genommen und möglichst in reine, nicht mehr reduzierbare Bestandteile, „Elemente“ zerlegt, mit denen neue Zusammenhänge hergestellt werden können. Aber im Alltagsverstand mischt sich alles wie nur irgendein Stück Welt, in der ja stets ein großes Durcheinander herrscht. Jean Dubuffet, der große französische Künstler, der einst das Durcheinander programmatisch in die Kunst eingeführt hat, sprach sich vehement gegen die Reinheit aus. Aller Begrifflichkeit wirft er vor, die lebendigen, darum stets fließenden, vielgestaltigen Zusammenhänge zu zerreißen und zu fixieren, um auf Definitionen Herrschaftssysteme zu errichten. „Typisch für die Kultur ist, dass sie die Schmetterlinge nicht fliegen lassen kann. Sie ruht nicht eher, als bis sie aufgespießt und etikettiert sind.“ ˘Man solle nicht versuchen, „den Wind vom Baum zu trennen“, sagte er. Als Künstler.
Bedeuten rein, lauter und pur zunächst nur so viel wie homogen, so bringt die Gleichsetzung mit der Bedeutung des stets mitschwingenden Wortes sauber einen scharfen Akzent hinein. Er wird als Wertung verstanden. Sein Gegenteil heißt schmutzig, wobei als selbstverständlich gilt, dass es sich dabei um etwas Schlechtes handelt. Die negative Wertung hat Folgen: Denn verwendet man rein im Sinne von sauber, dann wird Heterogenität notwendigerweise etwas Schmutziges, Bedrohliches, das es zu bereinigen gilt. Allem Rassismus und aller Fremdenfeindlichkeit liegt diese Vorstellung von Reinheit zu Grunde – die Reinrassigkeit beziehungsweise die Reinkultur. Die tatsächliche Heterogenität der Gesellschaft erscheint als Unsauberkeit. Das Fremde, das Andere wird als dreckig definiert. Säuberungen sind folglich das, was Rassisten wünschen und durchführen, wenn man sie lässt.
Flecken erzählen vom Leben. Der Tomatenfleck auf der Krawatte, er zeugt davon, dass einer italienisch gegessen hat, der Weinfleck auf dem Hosenbein von einem vielleicht nicht mehr ganz nüchternen Fest . . . lauter schöne, durchaus achtbare Tätigkeiten. Trotzdem werden Flecken verfolgt. Denn ein Fleck verrät eine Abweichung, eine Anormalität, etwas, das gegen die Ordnung, die guten Sitten verstößt. Der Fleck indiziert eine schlechte Tat. Und wer Flecken in der Öffentlichkeit zeigt oder macht, gilt wenigstens als ungeschickt, vertrottelt, barbarisch, wenn nicht als asozial.
Flecken signalisieren ein tendenziell subversives Verhalten. Von einem unordentlichen Äußeren, der Oberfläche,˘ wird auf ein unordentliches Innere geschlossen. Schweißflecken unter den Achseln auf der Bluse verraten Anstrengung, rote Flecken im Gesicht eine Krankheit. Sogar dem geronnenen Rest eines Mouton Rothschild wird Unsauberkeit angehängt, obwohl der Wein mehr kostet als die Hose. (Gibt es eigentlich Goldflecken?)
Während Unreinheit nur eine Abweichung ist, die Unordnung indiziert, ist Unsauberkeit per se etwas Schlechtes, Unsoziales. Die oft wie verrückt erscheinende Sauberkeit und der Schreck über Flecken sind Ausdruck kollektiver Erfahrungen von Pest, Tuberkulose und Cholera, Seuchen, die noch im 19. Jahrhundert verheerend und tödlich waren. Die bürgerliche Furcht bei der Einstellung eines Dienstmädchens war stets, es könnte unsauber sein, da es ja einer Schicht entstammte, in der man mit den Händen arbeitet. Man fürchtete sich vor Ansteckung. Ein schmuddliger Punk, der eine gezähmte weiße Ratte mit rosa Schwanz in seinem Jackenärmel herumträgt und sie sich hin und wieder um den Kragen laufen lässt, ist ein echter Bürgerschreck. Hat er sich doch ausgerechnet mit dem Tier angefreundet, das von aller Welt gehasst wird, weil es Krankheiten überträgt. Mag seine kleine Ratte sauberer sein als jeder Hund, so bleibt sie doch ein starkes Symbol. Macht Angst.