Art behind the Iron Curtain

Ploughshares for Hippos
"Admission free" in Vienna proves that art behind the Iron Curtain was up to date

 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Pflugscharen zu Nilpferden
“Eintritt frei“ in Wien beweist, dass Kunst hinter dem Eisernen Vorhang auf der Höhe der Zeit war

Ausdrücke wie „Osterweiterung“ und „Integration“ haben einen diskriminierenden Beigeschmackt, meint Christine Kintisch – so, als bedürften die östlichen Länder und Künstler noch der Kultivierung. Dass die Kunst der sechziger und siebziger Jahre auch in Bratislava, Budapest, Ljubljana und Prag rebellisch war, belegt die von ihr kuratierte Ausstellung „Eintritt frei“ der BAWAG Foundation in Wien. „Letztlich stehen sie wie ihre Künstlerkollegen im Westen vor den gleichen Problemen – wie etwa der Unterscheidung zwischen Wahrheit, Realität und Hyperrealität.“ Vielleicht nicht nur, denn bei vielen Ostkünstlern schlagen die unbefriedigenden Lebensbedingungen trotz transnationaler Perspektiven auf die Kunst doch merkbar durch, wie auf der letzten Praguebiennale nicht zu übersehen war.

Baustellen ohne westliches Vorbild
Die Metapher der Baustelle taucht immer wieder auf: So sitzt die Sekretärin der Foundation sitzt hinter einer Mauer aus Farbeimern versteckt – einer vordergründigen Arbeit Marcus Geigers (Jahrgang 1957). 1991 hat er einem russischen Panzer einen Strampelanzug angezogen und 2000 den wichtigsten Platz von Ljubliana rosa gefärbt. Geiger und die Aktionistin Valie Export mit Körperkonfigurationen (1972–76) und eine Masturbationsszene vertreten zum Vergleich das Westniveau. Und was es im Osten heute so gibt, soll wohl der Prager Kristof Kintera zeigen mit Arbeiten aus dem letzten Jahr zeigen: Eine versoffene Stimme pöbelt aus einer Einkaufstüte, dazu winkt eine Gurke.
Auf der Höhe ihrer Zeit waren die Konzeptkunst-Arbeiten des slowakischen Künstlers Julius Koller (geb. 1939) aus den Jahren 1968 und 1969: ein Bild mit der Aufschrift „Obraz“ (Bild), Reihungen von Fragezeichen à la Peter Roehr und ein über den Rahmen reichender Raster weißer Punkte, ein „Antipicture“. Man wusste zwar von der Gleichzeitigkeit rebellischer Kunst in jenen heroischen Jahren, glaubte aber, dass es Pop Art, Concept Art und Aktionismus nur im Westen gäbe. Doch scheinen der mehr oder weniger subversive Aktionismus und Konzeptualismus unter dem kommunistischen Regime eigenständig zu sein – wie mehrere kleine Filme im Rahmen des „Tragbaren Museums“ des Ungarn Tamas St.Auby zeigen, wo auf einem U-förmigen groben Tischmöbel allerlei Dokumente, Fotos und Objekte von Künstlerfreunden aus den sechziger und siebziger Jahren ausgelegt sind.
Man findet etwa von György Orsos Die Kunst Breschnews: Ein Text beschreibt, wie der sowjetische Präsident Spatzen füttert, erfolglos versucht, sich mit ihnen anzufreunden, und sich verärgert von ihnen abwendet. Laszlo Vegh (1939), der zur ungarischen Avantgarde zählt, veröffentlichte 1965 ein Hochwassermanifest, in dem er listige Forderungen erhob, die eine Änderung der Gesellschaft implizieren: „Statt mit Traktoren muss mit Nilpferden gepflügt werden – An der Fassade jedes öffentlichen Gebäudes ist ein fünfarmiger Seestern anzubringen – Für Pferderennen sind Seepferdchen in der Hortobágy zu züchten – Wassermänner in den Staatsapparat!“ Ein mit Unterschriften versehenes Foto von Tibor Hajas zeigt eine Mauer: „Wir erklären, dass diese Mauer nicht existiert.“
Poetischen Aktionismus zeigt der in Prag geborene Jiri Kovanda (geb.1953): 1976 durchquert er Prag und begeht dabei minimale Normenverstöße. Er schreibt: „Meine Gesten und Bewegungen sind so, dass keiner der Passanten bemerkt, dass er einer Performance beiwohnt.“ Er bewegt sich also genau auf der Grenze zwischen repressivem Alltag und Kunst. Bei einer anderen Performance trägt er mit den Händen Wasser einige Meter flussabwärts und übergibt es wieder dem Fluss. Ebenso zart und lakonisch ist Wheat and Rope (1969) von Milenko Matanovic der Gruppe OHO aus Ljubljana. Nichts als dies: Eine über ein Weizenfeld gespannte Schnur biegt die Halme leicht zur Seite. Die österreichischen Kuratoren Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer wollen ab dem 3. Juni in der Galerie der HGB Leipzig mit Arbeiten von Koller, Kovanda und OHO noch einmal gründlicher zeigen, dass sie nicht reaktiv, sondern parallel zur westlichen Kunst entstanden sind.

Wien, BAWAG Foundation, bis 19.Juni 2004.