Anders sein

About Frame and Base
 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Von Rahmen und Sockel

Etwas fällt aus dem Rahmen und jemand wird vom Sockel geholt: alltägliche Redensarten, die kommen woher? Von der Kunst. Das Gemälde, sei es ein Porträt oder eine Landschaft, hat einen Rahmen, der an den Spiegel oder das Fenster erinnert, die immer schon gerahmt waren. Die gemalte Landschaft ist ein Blick nach draußen. Doch bei Bildern hat der Rahmen auch eine symbolische Bedeutung: er grenzt das Gemälde entschieden gegen die Umgebung ab.
Innerhalb des Rahmens wird der Kunst ein Eigenleben zugestanden. Hier die Kunst, dort der Alltag. So gilt Kunst – innerhalb des Rahmens – ausdrücklich als etwas anderes. Und wenn sie aus dem Rahmen fällt, ist das ein Desaster. Künstler machten einmal von sich reden, als sie auch den Rahmen bemalten oder mehr noch: über den Rahmen hinaus.
Es gibt viele Beispiele dafür, dass Malerei buchstäblich den Rahmen sprengt und – immer plastischer – in das Leben hinauswuchert. Das rahmenlose Bild beansprucht, mit dem Alltag zu tun zu haben. Es mutiert tendenziell zu einem Möbel. Kunst, die den Anspruch auf Autonomie erhebt wie die ungegenständliche Malerei, betont mit dem Rahmen ihr absolutes Anderssein. Schon in der Renaissance waren die Umrahmungen wenigstens in den Kirchen vergoldet. Der goldene Rahmen ist nichts anderes als eine Aureole: der Heiligenschein. Die frühen Heiligenscheine waren keine zart schwebenden Ringe, sondern massive Scheiben. Das Gold selbst galt als das edelste Metall, auch deshalb, weil es an das – göttliche – Sonnenlicht erinnert.
Der Sockel stammt von ital. zoccolo – so hieß ein hoher hölzerner Schuh. In Venedig waren die zoccoli 25 cm hoch. Auch in Paris trug man im 18. Jahrhundert gegen den Straßenschmutz solche Stelzen, so dass Casanova meinte, die Damen fielen vorwärts, anstatt zu gehen.
Es liegt auf der Hand, dass der Sockel der Erhöhung dient. Besonders im 19. Jahrhundert, das die industrielle Revolution und deren furchtbare soziale Folgen zu verarbeiten hatte, gab es das Bedürfnis, zu Höherem aufzuschauen. Etwa zum "Olympier", wie er heute vor den Bankentürmen an der Frankfurter Gallusanlage steht.
"Das Elsbeth hat viel Sinn für’s Höhere": Dieser Satz wollte einmal besagen, dass jenes hessische Fräulein kultiviert war. In den neuen Musentempeln erhob man sich – auf Freitreppen empor schreitend – über den Alltag im Parterre. Oben schaute man zu den goldgerahmten Gemälden und den auf Sockeln postierten Helden auf.
Überall wurden Denkmäler errichtet – auf gewaltigen Sockeln. Das Volk zum Aufschauen zu den Vorbildern zu veranlassen, war Strategie des Staates. Als Rodin von der Stadt Calais den Auftrag erhielt, die berühmten Bürger von Calais zu schaffen, wollte er die Gruppe ohne Sockel aufstellen. Auf diese Weise hätten seine Bronzen bedrohlich mitten zwischen den Bürgern gestanden. Die ehrfruchterzeugende Distanz hätte gefehlt. Die Stadtväter waren empört und zogen den Auftrag zurück.
Man erinnert sich an amerikanische Naturalisten wie Duane Hanson, dessen lebensechte Nachbildungen typischer "loser" vergangenes Jahr ausgestellt in der Frankfurter Schirn Kunsthalle – so manchen Besucher irritiert hat. Sie standen direkt neben einem auf gleichem Level, was die geistige "Erhebung" erschwerte. Man schaut nicht auf, sondern denkt daran, wie es den Leuten nebenan geht und einem selber.
Berühmt geworden ist Hansons griesgrämiger Museumswärter. Wie oft ist er gefragt worden, wo die Toiletten sind. Stände er auf einem Sockel wie die Männer von einem anderen am Main präsemnten Künstler, Stefan Balkenhol, hätte ihn niemand gefragt.