The House in Art

Me and my igloo. The house in art:
An exhibition in Hamburg turns the exterior inwards and the interior outwards.

 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Ich und mein Iglu. Das Haus in der Kunst:
Eine Ausstellung in Hamburg kehrt das Äußere nach innen und das Innere nach außen

Anthropologisch gesehen ist das Haus ein fundamentales Faktum und darum auch eine Basismetapher unseres Denkens. Darüber hinaus ist es aber auch ein aktuelles Thema – angesichts zunehmender Obdachlosigkeit und der neuen Völkerwanderungen von Flüchtlingen, Wanderarbeitern und Touristen sowie vor dem Hintergrund unserer automobilen Gesellschaft, die mit Hotel, Wohnmobil und Wohncontainer längst Behausung plus Mobilität verbindet. „Obdachlosigkeit ist degradierender als Arbeitslosigkeit“, schreibt Ludwig Seyfahrt vielversprechend im Katalog. Tadashi Kawamatas Hüttendörfer und Schlafkartons oder die herumstehenden Wohnwagen von Guillaume Bijl nehmen Bezug auf diese weltweiten Probleme. Erstaunlich darum, dass gerade sie fehlen.
Themen-Ausstellungen sind nicht unproblematisch, da sie nahe legen, die meist komplexen Exponate nur unter einem Aspekt zu sehen. Den Anspruch formuliert Zdenek Felix, Direktor der Hamburger Deichtorhallen, so: „Es geht um die Frage, wie Künstlerinnen und Künstler sich in den letzten drei Jahrzehnten mit den ästhetischen, funktionalen, gesellschaftlichen, kontextuellen und nicht zuletzt auch ökologischen Aspekten von Haus und Behausung in ihren Werken auseinander setzen.“
Es geht dabei aber weder um das Wohnen, ein Thema, das hier 1997 unter dem Titel „Home Sweet Home“ vorgestellt worden ist, noch um Architektur aus Sicht der Kunst, wie 1999 in der Villa Merkel in Esslingen, noch vornehmlich um gesellschaftliche Aspekte der Behausung, wie man erwarten könnte. Geboten wird ein Potpourri: eine computergenerierte, schulterhohe Kirche (Julian Opie), eine Windmühle (Andreas Slominsky), Parkhausskelette als Metallskulptur (Rita McBride), bemalte Kinderhäuser (Andreas Schulze), backsteingroße Betonhäuschen (Hubert Kiecol) und sogar Vogelhäuschen. Zum Thema passt auch das Iglu von Mario Merz, die archaische Behausung von Nomaden in Halbkugelform, die das Schutzbedürfnis des Menschen mit der kosmologisch begründeten Geometrie in Einklang bringt.
Die Häuser auf den Fotos von Bernd und Hilla Becher sind einander so ähnlich und so verschieden, wie die Menschen, die in ihnen wohnen. Zu Recht hat man diese Fotos Portraits genannt, die das Verhältnis von Mensch und Haus offenbaren. Ihr Schüler Andreas Gursky zeigt in dem Foto einer breiten Rasterfassade massenhaftes Wohnen (Wohnblock Montparnasse) und im Foto eines chinesischen Bankhochhauses massenhaftes Arbeiten. Es geht um den Rückzug des einsamen Individuums in einen Funktionsraum, in dem es gerade noch arbeiten und masturbieren kann. Es geht um die minimalen Lebensbedingungen. Bei Zittel: „Flucht-Vehikel“.
Absalons Cellule, die an die Schlafkapseln in Tokio erinnert, bemisst sich am körperlichen Aktionsradius des Künstlers und gleicht doch einem Grabgewölbe. Die auf Bierkästen postierte Überlebenshütte des Ateliers van Lieshout mit einem lächerlich großen Schornstein, primitivstem Hausrat und betulich in eine Tonne geführtem Regenrohr eignet sich zum Vegetieren eines Schrats im Abseits. Zittels Wohnmobil, ein Schild private auf dem Nierentisch, hat Bibliothek, Telefon und Fax. Ihre Arbeit heißt Work Station. Sie ist die Einzige, die die Situation der mobilen Arbeitsmonade ins Bewusstsein rückt. Schon klassisch und zweifellos in ihrer Kraft überragend sind die Arbeiten des 1978 jung verstorbenen Gordon Matta-Clark, berühmt geworden durch das Zersägen und Durchbohren ganzer Häuser, deren Teile er ausstellte: Zu den beeindruckendsten Arbeiten der Hamburger Ausstellung gehört Bingo, ein Wandfragment, das zuvor im Westfälischen Landesmuseum in Münster zu sehen war. Die sieben Meter lange Skulptur: die Außenseite eine mit roten Schindeln bedeckten Hausmauern, die Innenseite eine Wand mit Sims, Treppenwange und abgeschnittener Tür- und Fensterleibung. Ein lapidares Stück Innen und Außen, zugleich Hauptthema der Architektur.
Per Video ist die berühmte Arbeit von Rachel Whiteread mitzuerleben: die innere Armierung und äußere Einrüstung eines Abbruchhauses, das die Künstlerin 1993 mit Beton ausgießen ließ. Dann wurden Dach und Mauern abgeschlagen, und zurück blieb der blockhafte Abguss der Innenräume mit Abdrucken von Simsen, Treppen und Kamin. Monumentalisiert wird – vergleicht man die Außenmauern mit einem Kleid – das Futter. Ebenfalls das Innere nach außen und das Äußere nach innen holt Dan Graham, indem er Mauern durch Glas transparent macht und Wände verspiegelt. Er umspielt so Frank Lloyd Wrights Idee der Transparenz als Kriterium einer demokratischen Architektur. Von Graham sind kleine ausgeklügelte Arbeiten zu sehen.
Explizit politisch arbeitet Martha Rosler aus New York. Ihre Foto-Collage „Bringing War Home“ (1967–1972) lässt den Vietnamkrieg ins Wohnzimmer ein, wo man vom Lehnstuhl aus das Treiben der Panzer im Garten beobachten kann oder muss. Schutz bietet das Haus nicht mehr, die Welt kann überall hereinbrechen.

Deichtorhallen Hamburg, bis 17.September 2000.