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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Neue Litfaßsäulen

Sie hatten der Litfaßsäule, auf der ich nachsehe, ob es neue Filme gibt, ein Kondom übergezogen. Beeindruckend. Und nun machen sie aus der Litfaßsäule riesig den roten Klebstift, den ich verwende, weil die Kuverts so schlecht schmecken. (Übrigens: wenn es Kondome gibt, die nach Lakritze schmecken, warum nicht eher Kuverts?) Die Idee, das Ding, für das geworben wird, vollplastisch in Übergröße selbst auftreten zu lassen, ist nicht neu. Aber was ist heute noch neu.
Werbeleute sind der Kunst manchmal dicht auf den Fersen. Anstatt ihr Produkt und die Welt abzubilden - die selektive Abbildung der Welt war von Giotto bis zu den Schinken des sozialistischen Realismus Aufgabe und Mühsal der abendländischen Malerei - und anstatt das Ding, das sie bewerben, auf die Straße zu stellen nach Art eines Denkmals, satteln sie das Produkt auf schon Vorhandenes auf.
Sich des Vorhandenen zu bedienen statt Neues in die überfüllte Welt zu stellen, wie es Avantgardisten der Moderne bis in die 60er Jahre wollten, ist eine Haltung der Postmoderne. Man arbeitet mit dem Vorgefundenen, eine Einlassung in das, was schon da ist. Aufgegeben ist die Selbstbezüglichkeit, welche die Autonomie der Kunst auf die Spitze getrieben hatte. Kunst - wie verquer auch immer - bezieht sich wieder auf die Welt. Oder wie im Rodeo: der Stier wird wieder geritten. Oft mit den üblichen Folgen des Rodeos.
Das Kondom nach Art eines Ballons schweben zu lassen ist doof. Den Klebstift auf die Straße zu stellen ebenso. Die Litfaßsäule, die dort auf der Bockenheimer immer steht, mit dem Pariser zu verhüllen, ist witzig: weniger wegen der (Alp-)Traumgröße, als darum, daß man mir anstelle des Kinoprogramms die Botschaft gibt "Vergiß es! Das Kondom ist viel, viel wichtiger!" Und die Litfaßsäule als Klebstift: "Was soll die Werbung, hier bin ich selbst, und zwar riesig! Aber auf der für Werbung vorgesehenen Litfaßsäule!" Das Geistreiche dieser Haltung besteht darin, im Rahmen zu bleiben, aber ganz groß.