Großstadtsafari

On the road. Big City Safari
 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Unterwegs

Das Zeichen des "Gehörnten": Das erstemal sah ich die gegen den bösen Blick ausgestreckten beiden Finger der rechten Hand (den Zeigefinger und den kleinen Finger) auf einem Foto, das ich in Sizilien gemacht hatte. Es war eine ältere Frau auf einer Treppe, die mich zum Teufel wünschte. Auf anderen Fotos aus Süditalien fand ich bei der Vergrößerung auch manchmal irgendwo zwei Augen, die intensiv in die meinen (die "bösen") stachen. Da erinnerte ich mich auch des Fleischers, der mir an einem vergessenen Ort der Türkei in blutiger Schürze mit dem Hackmesser nachlief, nachdem ich ihn ungefragt bei der Arbeit aufgenommen hatte.
Inzwischen bin ich selber zum Objekt von Fotografen und Videofilmern geworden. Einmal erwischten mich mehrere Touristen aus einem vorbeifahrenden Vaporetto auf der Loggia der Ca d'Oro am Canal Grande. Auf diesen Fotos war ich bloß Accessoire des schönen Palastes. Angezielt wurde ich endlich von englischsprechenden Personen, als ich mein Fahrrad auf dem Frankfurter Römerplatz an den Gerechtigkeitsbrunnen lehnte. Seitdem weiß ich, daß fotografiert zu werden das Schicksal aller Einheimischen wird, die in einer einigermaßen fotografierbaren Stadt wohnen.
Fotografiert zu werden ist inzwischen eine gewöhnliche großstädtische Situation. Ist man nicht selber Ziel des Fotos, so wird man doch oft durch einen Streifschuss erlegt. Wie auch immer, ich bin auf einem Bild, das der Fremde sich gemacht hat und zu Hause zum Beispiel auch solchen Personen zeigen kann, mit denen ich selber auf keinen Fall zu tun haben wollte. Das Abbild meines Gesichts und meines Körpers befindet sich dann ganz in der Hand von anderen, die mit "mir" machen können, was sie wollen. Diese Verfügungsmacht über mein Abbild erregt meinen Widerwillen.
So bin ich heute mit der Sizilianerin oder dem türkischen Fleischer solidarisch, die vielleicht sogar fürchteten, ihnen würde durch das Foto ihre Seele genommen. Ungefragt das Abbild eines Menschen zu nehmen, war vor dem Aufkommen der Massenfotografie und der mit ihr verbundenen Unverschämtheit, alles sich visuell handfest aneignen zu wollen und nach Hause zu tragen, nicht möglich. Kein wirkliches Gesicht, keine wirkliche Gestalt konnte ein Maler früherer Zeit zum bloßen Bestandteil einer Atmosphäre machen, sieht man von Boshaftigkeiten ab, wie Michelangelo sie sich leistete, als er einen Kirchenmann, der ihn beim Papst anzuschwärzen suchte, in die Hölle malte (Sixtina, Rom). Zwar weiß ich als Großstädter, daß ich den Bilderschützen, die daheim belegen müssen, daß sie die richtigen Sehenswürdigkeiten persönlich besucht haben, mehr oder weniger nur als Beigabe diene, aber man kann mich vergrößern: blow up. Und das will ich nicht.
Den Touristen, die mich am Fenster der Ca d'Oro nebenher geschossen haben, wird, wenn sie ihre Fotos betrachten, ein nicht mehr ganz junger Mann auffallen, der ihnen würdevoll die Zunge herausstreckt. So habe ich es eine Zeitlang gemacht wie die Sizilianerin. Nun gehe ich weiter. Da ich weiß, daß die Fotos der Touristen ausschließlich dazu dienen, ihre Anwesenheit vor berühmten Monumenten zu belegen, biete ich ihnen meine Hilfe bei der Umsetzung ihres Anliegens an. Sehe ich sie einander gegenseitig vor einem Denkmal fotografieren, wo sie doch nichts sehnlicher wünschen, als zusammen festgehalten zu sein, oder hampelt einer in unwürdiger Haltung um den selbstsauslösenden Apparat herum, trete ich freundlich hinzu und gebe zu verstehen, daß ich sie - gemeinsam - mit dem Objekt ihrer Begierde verbinden kann. Da ich stets eine teure Kamera mit mir führe, haben sie Vertrauen. Dann knalle ich sie vor dem Denkmal ab.
Ich könnte sie knipsen, bevor das Cheese-Lächeln gefroren ist. Oder danach. Ich könnte das Bild verwackeln. Ich könnte nur ihre Füße aufnehmen oder die Ehefrau fortlassen. Doch das ist mir zu primitiv. Ich nehme ihnen nichts fort von dem, was sie erwarten. Ich setze etwas hinzu, das sie nicht erwarten. Ich lasse von links etwa einen Hund ins Bild. Oder zwei vögelnde Tauben. Oder von rechts den davon eilenden Schuh eines Kellners. Oder eine Bananenschale im Vordergrund oder andere subversive Gegenstände. Mir liegt wenig am nachträglichen Ärger der Touristen. Vermutlich werden sie den Eingriff nicht einmal bemerken. Sie denken, es sei ihr Bild. Aber es ist meins. Ich habe ein Bild komponiert, das mir gefällt. Ich.