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Published in: Frankfurter Rundschau
Ein Kreuzer pro Überquerung. Der Eiserne Steg führt höchst anmutig über den Fluss
Die Fußgängerbrücke von Frankfurt nach Dribbdebach, zweifellos eine von Little Big Citys wenigen wirklichen Sehenswürdigkeiten, heißt in einem für Frankfurt heute unüblich gewordenen understatement nur "Steg" – "Eiserner Steg" – weil man sonst womöglich an Holz denken könnte.
Der Steg gehört zu den ausgefachten Hängebrücken aus der großen Zeit der Brückenbaukunst, die aufgrund der Entwicklung von Eisenbahn und Stahlkonstruktion im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt erreichte. 1868-69 durch eine Bürgergesellschaft finanziert, zahlte man bei der Überquerung des Stegs einen Kreutzer. Er wurde – wie viele Brücken – noch kurz vor Kriegsende gesprengt. Schon 1946 war er wieder aufgebaut.
Vom Steg herab wird heute viel fotografiert, der Steg selber selten. Little Big City ist an vielen Orten gestaltlos, der Eiserne Steg aber hat einen Körper, eine Gestalt, denn er hat mit seinem akzentuierten Aufgang und seinem akzentuierten Abgang Anfang und Ende. Er ist schlank und zart. Anmutig führt er den Fußgänger über den Fluss. Geradezu zerbrechlich wird der Steg in seiner Taille – der schmalen Mitte. Von hier in den Main zu schauen, macht die gefährliche Höhe bewusst. Würde man hinunterzuspringen wagen?
Heute werden überall Brücken gebaut, die man als Brücken nicht empfindet: sie sind so breit, dass ihre Höhe über dem Fluss oder dem Abgrund nicht mehr wahrnehmbar ist. Oder sie sind wie gewisse Autobahnbrücken nur eine Fortführung der Straße, ohne Anfang und Ende, reine Zweckbauten aus einem Katalog von Bausystemen. Brückenbau ist dem Tiefbau zugeordnet, das Ressort nicht der Architekten, sondern der Ingenieure, die von den Kommunen gehalten sind, möglichst kostensparend zu bauen. Die Brücken, sie sind nicht mehr erfindungsreiche, solitäre Stahlkonstruktionen, sondern anspruchslose Standardbauten aus Stahlbeton, dazu häufig seitlich verblendet, um den Blick des Fahrers nicht abzulenken. Sie haben eine Tendenz zur Röhre – ganz wie Autobahnen und ICE-Strecken mit Lärmschutzwänden. Es sind für schnellen Durchfluss kalkulierte Überbrückungen, Brücken sind es nicht.
Verkehrssysteme sind heute rücksichtslos gegen ihre Umgebung, Brücken waren ein Stück Inszenierung der Stadt. Auf dem Eisernen Steg ist der Übergang noch erlebbar, das Loslösen vom einen Ufer, das gewisse Schweben über dem Fluss, das Ankommen auf dem anderen Ufer, ein Erlebnis, das die Brückenbauer früher durch turmartige Tore verstärkten: man wurde sich bewusst, über den Fluss zu gehen, etwas, das man heute höchstens in Spuren erleben kann, wenn die gespannte Brücke unter der Belastung vibriert.
Die Alternative ist die Fähre, die wir neulich benutzt haben, als der Eiserne Steg wegen der Reparatur seines Bodenbelags gesperrt war. Nichts gegen die Fähre, die sich dem Fluss anvertrauen muss, aber kühn ist sie nicht. Das Sagen hat letztlich der Fluss. Stets werden dagegen die großen Brückenbauten "kühn" genannt – im Bewusstsein, mit einem großen Satz oder auch wie im Dreisprung über den Fluss zu gelangen. Andere Brücken erinnern an die feinen, horizontalen Fäden der Spinnen im Altweibersommer.
Gute Brücken haben etwas Triumphales, nie sehen sie selbstverständlich aus. An der Konstruktion lassen sie noch die gemeisterte Schwierigkeit erkennen, auf die andere Seite zu kommen. Die Architektin Marie Thères Deutsch hat den Platz unter den Platanen am Sachsenhäuser Ufer als rechten Ort für ein Café erkannt: genau neben der einen Wurzel der Brücke. Von dort blickt man an schönen Tagen auf den Steg nach Little Big City hinüber und kann, wenn man ein wenig übertreiben möchte, sich Brooklyn Bridge vorstellen – natürlich: bei uns ist alles viel kleiner. Und das ist auch gut so. Warum übrigens gibt es den Eisernen Steg nicht als Krawattennadel?
Frankfurter Rundschau v. 28.12.2002, S.30, Ausgabe: S Stadt