Brigitte Dinger

A rose of tooth
Brigitte Dinger runs the only ivory museum in the world in Erbach

 
This text exists at the moment only in German language
Published in: Frankfurter Rundschau


 

Eine Rose aus Zahn
Brigitte Dinger leitet in Erbach das einzige Elfenbeinmuseum, das es auf der Welt gibt

"Elfenbein, das ist ein lebendiges Material", sagt Brigitte Dinger, Leiterin des Deutschen Elfenbeinmuseums in Erbach. 1966 von der Kommune gegründet, ist das Museum das einzige seiner Art. "Weltweit" sagt Dinger, "ich kenne kein anderes". Ihr Haus besitze rund 2000 Objekte, die meisten aus dem 19. Jahrhundert, Arbeiten aus früherer Zeit seien unbezahlbar. Schon auf dem Ortsschild nennt sich Erbach "Elfenbeinstadt." Während die Fürsten des 18. Jahrhunderts Porzellanmanufakturen gründeten, führte Graf Franz I zu Erbach-Erbach in der kleinen Stadt die Elfenbeinschnitzerei ein, die er höchst selbst erlernt hatte, und sicherte so den einheimischen Hornschnitzern ihren Brotwerb.
"Lebendiges Material", was kann das hier heißen? Das "helfantbein" fühlt sich warm an. Stein dagegen ist kalt. Das Material ist uns nicht fremd, es ist der Zahn eines warmblütigen Tieres, eines Verwandten, auch wenn er einen langen Rüssel hat. Dinger zeigt eine japanische Arbeit, bei welcher der Schnitzer das leicht gekrümmte Zahnende in ein filigranes Netz verwandelt hat, ohne die Form des Zahns zu zerstören: eine Reverenz an die lebendige Herkunft. Sie dreht das Objekt um: "Hier an der Unterseite sehen Sie das Nervloch." In der Lebendigkeit liegt andererseits auch das Problem: Dinger muss oft feststellen, dass viele gegenüber Elfenbein starke Ressentiments haben. "Elfenbein", sagt sie, "das ist, als ob man einen Pelzmantel trägt." Das Artenschutzgesetz von 1989 verbietet die Einfuhr und Verarbeitung von Elfenbein, nur Restbestände dürfen noch verarbeitet werden, und das streng kontrolliert.
Die Materialknappheit zwang die etwa zehn Erbacher Schnitzerfamilien, sich auf Mammuts umzustellen, die man im sibirischen Eis findet. Allerdings die berühmte "Erbacher Rose", die 1873 auf der Weltausstellung einen Preis gewann, sähe "in Mammut" ein wenig hinfällig aus, denn das Material ist auf Grund seines Alters bräunlich gemasert. Auch die Nuss einer Palmenart wird heute verarbeitet. Naturschutzfundamentalisten sind prinzipiell gegen Elfenbein, denn, sagen sie, durch den Verkauf elfenbeinerner Artikel werde die Begehrlichkeit auf "Nachschub" geweckt. "Soll ich das Material, in dem die Menschheit ihre ältesten Skulpturen geschaffen hat, kriminalisieren?" fragt Dinger. Als Leiterin des Museums steht sie in einer Tradition. Sie befürwortet den Artenschutz jedoch ausdrücklich und baut auf die Wirksamkeit der CITES-Bescheinigung. Nach der "Convention of Trade of Endangered Species" muss jedes Stück Elfenbein mit Alter, Gewicht, Ort registriert sein.
Die studierte Kunsthistorikerin und "gebürtige Odenwälderin" arbeitet seit 1985 in ihrem Museum mit jetzt etwa 20 teilzeitbeschäftigten Mitarbeitern. Gibt es eine Ausstellung, auf die sie besonders stolz ist? "Ja, die Wunderwelt Arktis." 1996 gelang es ihr, aus der St.Petersburger Kunstkammer Schnitzarbeiten der arktischen Völker nach Erbach zu holen. Die kleinen Figuren der Inuit sind von intensivster Ausdruckskraft. Einige Inuit-Arbeiten sind ständige Exponate: schreckliche Mischwesen, halb Mensch, halb Fisch und ein Schuss Frosch.
Dinger hat mit vielen Sammlern Kontakt. Leihgaben erhält sie auch von den großen Museen, die eine Elfenbein-Abteilung unterhalten: Wien, München, Braunschweig. "Wir arbeiten sehr eng mit Dresden zusammen." Sie möchte ihr Museum mit einem Etat von fast einer halben Million, welche die Stadt, das Land Hessen und einige private Sponsoren aufbringen, durch einen Museumsladen ergänzen.
Immerhin 40- bis 50 000 Besucher kommen jährlich ins Haus, auch aus dem Ausland. Dass man beim Schnitzen zusehen kann, ist eine große Attraktion. In der ortsansässigen Fachschule mit etwa 13 Plätzen wird der Schnitzer-Nachwuchs herangezogen. Im Nu ist unter den geschickten Händen eines Meisters oder einer Meisterin etwa eine fingernagel-große Maus entstanden. Sogar eigene Entwürfe kann man in Auftrag geben. Die Schnitzer seien, sagt Dinger, zweifellos qualifiziert genug, um auch die Erbacher Rose in Glenz’scher Qualität herzustellen (Otto Glenz, 1865-1948, war der Altmeister der Elfenbeinschnitzkunst). Ich darf an der "Glenz-Rose" schnuppern. "Ich habe immer das Gefühl, die duftet", sagt Dinger lächelnd.

Frankfurter Rundschau vom 19.07.2001, S. 27, Ausgabe: R Region