(The skin)

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Published in: taz - die Tageszeitung


 

Von Kopf bis Fuß (1): Die Haut
Da kommt keiner raus

Sieht man von Schnecken, Würmern, Grottenolmen und ekelhaften Nackthunden ab, sind wir die einzigen Lebewesen, die von bloßer Haut umschlossen sind. Die Verletzlichkeit hält uns unsere Oberfläche stets bewusst. Sie erscheint uns als Grenze unserer Identität und gibt uns ein klares Bewusstsein einer Außenwelt. Daher finden wir es höchst unangenehm, wenn uns jemand „auf die Pelle rückt.“
Für uns ist die Haut die empfindliche Scheide zwischen innen und außen und mitverantwortlich dafür, dass wir die sinnliche Unterscheidung von Ich und Welt treffen, die mit der geistigen Konstituierung von Subjekt und Objekt einhergeht. Die Haut verhüllt das Innere des Körpers, nicht nur die Organe, sondern auch die Seele. Von da entsteht die Vorstellung der Enthüllung, das heißt einer verdeckten Wahrheit, die erst durch ihre Entdeckung ans Tageslicht gefördert wird: etwa eine Krankheit durch das Öffnen des Körpers.
Das Sezieren des menschlichen Körpers war lange verboten, weil die Kirche nicht zuließ, dass die gottgegebene Ganzheit des Menschen durchbrochen wurde. In dem berühmten Sezierraum der medizinischen Fakultät von Padua war der Seziertisch drehbar eingerichtet, sodass die herein stürzenden päpstlichen Büttel anstelle des vermuteten menschlichen Leichnams einen toten Hund auf dem Tisch vorfanden.
Die Häutung ist mit der Vorstellung eines Identitätswechsels verbunden, der seinen furchtbarsten Ausdruck in dem Mythos von der Schindung des Marsyas gefunden hat. Weil der animalische Satyr den Gott Apoll im Musizieren herausgefordert hat, lässt dieser ihm die Haut abziehen. Der Mythos gilt als Symbol schmerzhafter Läuterung, als Abstreifen des Sinnlichen. Aber die Schindung war auch in Wirklichkeit eine Strafe, besonders furchtbar darum, weil sie dem Verurteilten nicht nur das Leben, sondern auch seine Identität nahm.
Wenn ein Mensch vor Wut aus der Haut fährt, gerät er „außer sich“, ist er nicht mehr er selbst. In der Anatomie hießen die Körperöffnungen „Leibespforten“, die nicht nur Ausgang, sondern auch Eingang sind. Aber auch die Farbe der Haut hat größte soziale Bedeutung: Rassen werden nach der Hautfarbe unterschieden, was in den Wissenschaften heute als ideologisches Konstrukt kritisiert wird, weil eine derartige Unterscheidung allein nach dem Kriterium der Oberfläche abgelehnt wird. Sie ist buchstäblich oberflächlich.
Die gängige Interpretation der Haut unterliegt allerdings Veränderungen: Weiße Haut galt in müßigen Feudal-gesellschaften als edel, heute indiziert Bräune dagegen Gesundheit, gutes Aussehen Wohlhabenheit. Um diesen Eindruck zu erzielen, gibt es inzwischen an jeder Ecke Bräunungsstudios.
Falten wiederum zeigen das Altern an. Darum wird die Haut geliftet. Lesbarkeit wurde der Haut in gewissem Umfang schon immer zugeschrieben, etwa wenn Erröten als Scham und Erbleichen als Erschrecken interpretiert wird. Muttermale wurden früher als Resultat eines Fehltritts der Mutter angesehen. Und der römische Legionär zeigte stolz seine Narben auf der Brust. Auf dem Rücken eine Narbe zu haben, galt als Beweis der Feigheit. Da die Haut als Ausdruck des Inneren galt, lag es nahe, sie zu maskieren. Heute wird die Haut durch Tätowierung für soziale Botschaften funktionalisiert: Das war und ist gewöhnlich eher die Aufgabe der „zweiten Haut“, so wie wir aufgrund unserer Nacktheit gezwungen sind, Kleidung zu tragen. Sie kann nicht nur unseren Sozialstatus signalisieren, sondern erotisierende Entblößungen ermöglichen. Doch sind die Zeiten, da die entblößte Fessel eines Damenbeins die Männer um den Verstand brachte, endgültig vorbei.
Dass die Haut erotisch hochsensibel sein kann, wusste man schon in der Antike, als Gott Zephir den einsamen Frauen zärtlich den bloßen Busen fächelte. Garstige und unzufriedene Denker wiederum behaupteten, die Haut sei ein Sack und ein Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gebe. Aus dem des Hirns aber auch nicht.