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Published in: taz - die Tageszeitung
Aus einem Vampirleben
Die Mücke will immer nur das eine und wartet im Dunkeln auf die passende Gelegenheit. Dann senkt sie ihren Stechrüssel in die zartesten Stellen des Körpers: Der zivilisierte Europäer vergisst sich – und geht auf Mückenjagd
Die Fliege erscheint uns tölpelhaft, weil sie mit dem Kopf gegen die Scheibe rennt, schmutzig, weil sie wahrscheinlich gerade wo gesessen hat, und naiv, wenn sie mit ihresgleichen Nachlauf um die Lampe spielt. Trotzdem tut man ungern einer Fliege was zu Leide, seitdem die Wissenschaft festgestellt hat, dass die Anzahl der Gene bei Mensch und Fliege so unterschiedlich gar nicht ist.
Die Mücke ist anders. Sie will immer nur das eine und erwartet die passende Gelegenheit im Dunkeln. Sie sucht sich bestimmte zarte Stellen des Körpers aus, in die sie ihren Stechrüssel senkt. Der Puls am inneren Handgelenk. Die Knöchel. Ja, auch mitten ins Gesicht. Ihr zielstrebiger Charakter erscheint uns darum finster und hinterhältig. Das nervende Sirren des Nachts, das sich kreisend nähert, die plötzliche Stille mit dem Verdacht, dass sie schon irgendwo saugt, verscheucht den Schlaf nachhaltig. Und wie beschämend dann, sich selbst aufs Ohr gehauen zu haben, wo man den Angreifer – fälschlich – vermutet hat.
Unerwünschtes Eindringen in den eigenen Körper wird als aggressiver Akt empfunden. Die Mücke überschreitet eine Grenze, wenn sie die Haut durchbohrt. Diese Penetration ist etwas anderes als der ehrliche Biss eines Krokodils, das brutal und dumm nach allem schnappt, was sich bewegt. Die vampiristische Culex pipiens will Blut, den Lebenssaft. Blut, Mark und Herz gelten als Sinnbilder der inneren Identität – des Kerns – was Redewendungen belegen: jemand wird bis aufs Blut gepiesackt, einem anderen das Mark aus den Knochen gesogen und wieder einem anderen schießt man ins Herz.
Die Haut empfinden wir als Begrenzung unseres Ich. Daher werden wir empfindlich, wenn uns einer „zu nahe tritt“. Der Hass auf die Mücke sitzt darum tief. Daran ändert auch der Film „Mikrokosmos“ nichts, der die Geburt einer zarten Mücke aus dem Sumpf zeigt, so schön, so voller natürlichem Pathos, dass man an die Geburt von Botticellis schaumgeborener Venus denken muss.
Ein zivilisierter Europäer wird jedenfalls selten den Kampf zwischen Mensch und Tier suchen – außer bei der Mückenjagd. Etwa in einem Hotel in Pisa, an dessen vier Meter hohen Zimmerdecken die Arno-Stecher warten. Dort sind sie auch von einem Stuhl aus nicht erreichbar. Man muss das Kopfkissen flach an die Decke werfen. Das ergibt mitunter eine Strecke von drei Mücken pro Wurf, aber Flecken auf dem Kopfkissen. Für den Hausgebrauch empfiehlt sich dagegen eine andere Liquidationsmethode, die zwar weniger befriedigend, dafür aber sauber ist. Sitzt der Feind morgens volltrunken an der Wand, startet man den Staubsauger.
Inzwischen gibt es übrigens einen kleinen elektrischen Apparat, den man in die Steckdose drückt. Er erzeugt einen sehr hohen, für uns kaum hörbaren Ton. Schon Thiervater Brehm bemerkte: „Beim Klange der Note a soll eine Zuckung einen ganzen Mückenschwarm durchbeben.“ A oder nicht a, die Mücken halten sich jedenfalls die Ohren zu. Sie zittern und zucken unter dem paralysierenden Ton und taumeln auf einknickenden Beinen zu ihren Sümpfen zurück, hoffnungslos den blutleeren Rüssel schlenkernd.