Good address
In the West End also in the cellar
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Published in: Frankfurter Rundschau
Im Westend auch im Keller
Im Frankfurter Westend sieht man erstaunt hier und dort im Souterrain junge Frauen am Computer sitzen. Und ein Fenster weiter telefoniert ein junger Chef im Ledersessel. Überall Designermöbel und alles vom Feinsten. Und das halb im Keller? Sagt man nicht, "die Geschäfte gehen in den Keller"? Die sehen von da unten ja höchstens Autoreifen und hin und wieder mal ein hübsches Bein. Kann man, wenn man so wenig von der Welt zu sehen bekommt, vielleicht besser arbeiten? Warum geht die Firma nicht in ein Loft in der Hanauer Landstraße?
"Oh, Westend, Westend!" Eine Adresse im Westend nötigt einem Japaner sogar im Sitzen eine Verbeugung ab. Die "guten" Adressen sind stets die im Westen. Warum? In den Zeiten der großen Industrie zogen die stinkenden Wolken aus den Fabrikschloten meist von Westen nach Osten. Denn bei unserem Klima haben wir in der Regel Westwind. Die Arbeiterviertel im Osten bekamen es ab. Und da ja übrigens im Osten die Sonne aufgeht, bringt sie die Arbeiter früh morgens auf die Beine. Der lange sonnige Abend dagegen gehört den Bürgern im Westen.
Mag es noch andere Gründe und auch manche Ausnahme geben, die westlichen Stadtteile sind jedenfalls sehr oft die "guten" Viertel. Inzwischen sind sie es aus Tradition, denn die Schlote existieren nicht mehr. Geblieben sind einige repräsentative Häuser aus der Jahrhundertwende. Und da es für Geschäftsleute umso wichtiger ist, als seriös und etabliert zu gelten, je weniger sie es sind, ziehen sie im Westen auch ins Souterrain, wo sie doch im Osten weit günstigere Räume zur Verfügung hätten.
Seit dem Realsozialismus erscheint der Osten überhaupt als proletarisch ("der Osten ist rot") und der Westen als bürgerlich. Offenbach war eine reine Arbeiterstadt, Frankfurt die Stadt der Kaufleute. Hat einer das Unglück, in der "Hintergasse" zu wohnen, wird er tunlichst darauf verzichten, sich eine Visitenkarte drucken zu lassen. Wenn es in gewissen Kreisen wichtig ist, eine Nobelmarke zu fahren und Budapester Schuhe zu tragen, so versteht sich die Notwendigkeit einer "guten" Adresse sofort, sowohl fürs Geschäft als auch zum Wohnen.
Denn wer die Stadt auch nur wenig kennt, weiß doch auf Anhieb, welches die guten und die schlechten Viertel sind. Die "guten" Viertel gelten als solide (wörtlich: dicht, fest), weil sie auf hohem Ausstattungsniveau eine relativ homogene, d.h. ungestörte Bürgerlichkeit erkennen lassen. Wer dort wohnt oder arbeitet, gilt als etabliert. Man darf davon ausgehen, dass eine Firma im Souterrain des Frankfurter Westends eher Geschäfte tätigt, bei denen der Publikumsverkehr gering ist. Denn welcher Geschäftspartner steigt vertrauensvoll hinab in den Keller? Und das in einer Stadt, die das "aufwärts" und "oben" mit ihren Hochhäusern überdeutlich zum Ausdruck bringt? Das Logo der Deutschen Bank: aufwärts, aber im Rahmen bleiben.