This text exists at the moment only in German language
Published in: Frankfurter Rundschau
Litfaß’ Sieg
Im Dritten Mann verschwand Orson Welles – in der Rolle des verbrecherischen Harry Lime – in einer Litfaßsäule, die offenbar über einem Eingang zur Wiener Kanalisation stand. Die Polizei war hinter ihm her.
Gewöhnlich hat die von Ernst Litfaß nach Pariser und Londoner Vorbild eingeführte runde Plakatsäule keine Tür. Manche Exemplare aber möglicherweise doch, etwa in Berlin, denn Druckereibesitzer Litfaß hatte die Lizenz zum Aufstellen seiner 150 "Annociersäulen" 1854 vom Polizeipräsidenten erhalten.
Solch ein, vielleicht mit Schlitzen versehenes, Versteck nahe am Volksmund war für Horch- und Guckposten der preußisch-königlichen, dann wilhelminisch-kaiserlichen und schließlich national-sozialistischen Obrigkeit sicher verführerisch. Aber in Rutmanns berühmtem Berlin-Film Symphonie der Großstadt (1927) sieht man eine Litfaßsäule, in der eine harmlose Trafostation steckt.
Auch in Little Big City findet man die Säulen überall in der Stadt, an der Universitätsbibliothek verblenden sie offenbar die Enden der Lüftungsrohre. Oben sind sie dort mit einer Krone versehen, auf der grün auf weiß "Frankfurter Rundschau" zu lesen ist.
Litfaßsäulen sind ein Ingredienz der Großstadt. Im Unterschied zu den auf den Autofahrer berechneten Plakatwänden findet man an den Säulen eher kleinere Ankündigungen. Gewiss, manchmal zündet der Marlboromann sich rund um die Säule eine Zigarette an, und einmal hat auf der Bockenheimer Landstraße ein Kondomhersteller der Säule sein Produkt übergezogen. Normalerweise sind die Ankündigungen aber für Passanten gedacht, die stehen bleiben oder um die Säule herumgehen. Die Werbefunktion der Litfaßsäule ist anders als die des Plakats: Man findet dort eher etwas so wie auf dem Flohmarkt. Information statt Überwältigung.
Die große Plakatwand, sie fordert Abstand, die Litfaßsäule aber steht mitten im Menschengewühl, und weil sie rund ist, bildet sich kein Stau. Litfaßsäulen mit dem Filmprogramm – bei uns in Gelb und immer an der gleichen Stelle – richten ihre Botschaften an den Fußgänger und sind insofern Bestandteil einer humanen Urbanität.
Merkwürdig anzusehen ist die Schälung. Mit einer Flex wird ein senkrechter Schnitt gemacht und die dicke und harte Schicht tausender übereinander gekleisterten Informationen abgelöst. Die nackte Litfaßsäule sieht dann dünn aus wie ein geschorenes Schaf. Im 18. Jahrhundert war es verboten, Anschläge zu machen. Die Kirche hatte sich beschwert, weil an Kirchen- und Klostermauern für Komödien geworben wurde. Aber die Pariser Plakatkleber waren schlau: "Ein Mann mit einer großen Kiepe macht an einem Eckstein halt und ruht sich aus, gegen den Stein gelehnt, die Kiepe immer auf dem Rücken, und mit einem müden Ausdruck. Unterdessen brauchte ein kleiner Junge, der auf dem Boden der Kiepe kauerte, nur die Hände auszustrecken, um das mit Kleister getränkte Plakat anzukleben..." (Mercier, Tableau de Paris, 1781).
Ernst Litfaß, der in Berlin einst als Theaterdirektor und dann als Verleger des Berliner Krakehler angefangen hatte, ist durch seine Konzession ein reicher Mann geworden, übrigens auch dadurch, dass er das Monopol zur Veröffentlichung der Siegesmeldungen von 70/71 erhielt. Litfaß, dessen Name bei uns so fest mit der Plakatsäule verbunden ist, starb 1874 ganze 35 km von Frankfurt entfernt, in der heutigen Landeshauptstadt.
Frankfurter Rundschau v. 04.01.2003, S.30, Ausgabe: S Stadt