Uncle Scrooge and the Werther Effect

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Published in: newspaper LOBBY / lobster


 

„Die Konkurrenz sitzt mir im Rücken!“ ächzte Onkel Dagobert, die reichste Ente der Weit, und stützte sich auf sein Stöckchen, daß es sich bog. So schwer war sein Herz. „Aber dir gehört doch schon alles!“ meinte Donald kaltherzig. „Du übertreibst! Der Kerl an der Ecke verkauft Bananen, die viel teurer sind als die aus meinen Pflanzungen. Sie haben übrigens unappetitliche Flecken. Aber sie gehen! Meine nicht!“ „Die sind aus ökologischem Anbau!“ riefen die drei Großneffen. „Meine Bananen sind extrabillig, damit die Armen was zu essen haben, und die Konkurrenz? Ist unsozial, teurer und verkauft mehr. Es ist gegen das Marktgesetz!“ jammerte der Alte. Darum drehten sich bei Ducks die Gespräche, denn der Onkel bekam von der Konkurrenz Migräne.
Donald musste dem Goldhamster jeden Morgen die Zeitung vorlesen. Jeden Morgen aus der Weltpresse., immer zuletzt die — Frankfurter Rundschau —, die der Fundamentalkapitalist nicht leiden kann, weil, sagt er, die so panzerknackerfreundlich ist und manchmal da Sachen über ihn zu lesen sind, dass er vor Wut auf den Schreibtisch springen muss. Dann hat er Schaum vorm Schnabel und Atemnot. Donald erhob also wieder diese Stimme, die er nun mal hat und las aus der FR vom 7. Juni 1999 vor:

„Der Werther-Effekt:
Drei japanische Geschäftsmänner, alle mit finanziellen Sorgen, treffen sich zu einem letzten Glas Whisky im Hotel. Dann schneiden sie einen Strick in drei gleich lange Stücke, jeder geht in sein jeweiliges Hotelzimmer und erhängt sich am Ventilator im Badezimmer.“

„Geschäftsmänner? Der Große Onkel horchte auf. „Lies weiter.“

„Es ist schockierend – die Zahl der Selbstmorde ist im letzten Jahr erstmals auf mehr als 30 000 Fälle geklettert, sagt Yashimoto Takahashi vom Psychatrischen Institut Tokio. Der Psychologe glaubt, dass die sensationelle Berichterstattung der japanischen Medien zumindest teilweise für die neue Selbstmordwelle verantwortlich ist. Er spricht von einem Werther-Effekt: Ähnlich wie der Held des berühmten Goethe-Romans, dessen Selbstmord von ungezählten Lesern nachgeahmt wurde, hätten die Medienberichte über spektakuläre Selbstmordfälle einige Japaner auf die Idee gebracht, Hand an sich zu legen. Die Massenmedien stürzten sich auf das Thema.“

„Halt!“ rief Onkel Dagobert, „Wer ist Werther?“ „Das ist ein Partner von einem namens „Faust", deutscher Boxer, Halbschwergewicht, glaube ich,“ behauptete Donald, der neben der Dogs & Guns auch die Boxerzeitung liest. „Glaubst du? Du hast wie immer keine Ahnung.“ Während Donald eine Schnute zog, griff der Alte zum Telefon, um Gustav Gans anzurufen, der höhere Bildung besitzt. „Hallo Gustav, mein Lieber,“ flötete er, „hast du dich nicht neulich damit gebrüstet, du hättest mit eigenen Augen 10 Bände Casanova gelesen?“ „(2)“ „Auch gut. Jedenfalls liest du. Dein ungebildeter Vetter weiß nämlich nicht, wer Werther ist, du weißt es vielleicht … So. Aha. Sehr interessant. Dann such mir doch die Stellen einmal raus. Nun, sagen wir zehn Taler. Nun meinetwegen zwölf. Vierzig Taler für eine so leichte Arbeit?“ schrie der alte Onkel auf und griff sich dorthin, wo er sein Herz vermutete. Dann bemerkte er trocken zu Donald: „Gustav weiß, wer Werther ist, du Tropf!“ Die Aufgabe von Vetter Gustav, dem Absolventen eines Gymnasiums,- dem berühmten Glückspilz und schönen Mann der Familie, bestand also darin, dem Onkel die ergreifendsten Stellen aus dem Werther herauszusuchen. Denn der Globalmonopolist hatte die Unternehmerische Vision, seine japanische Konkurrenz zu vernichten.

Wie? Nun, durch eine Prise deutscher Dichtung. Zuerst dachte er daran, die Goethe-Rechte zu kaufen und das Büchlein ins Japanische übersetzen zu lassen. Onkel Dagobert malte sich aus, wie die asiatischen Manager zu Hunderten ihre Hotelzimmer aufsuchten, den Gürtel aus dem Bademantel zogen und den Schemel unter den Ventilator stellten. Nach einer Woche brachte der Bürobote ein Päckchen. Absender Gustav Gans. Was der Angeber für eine ausschweifende Handschrift hatte! Der Onkel las: „Lieber Onkel, dies sind der Reihe nach die Stellen, mit denen Goethe die jungen Männer scharenweise ins Wasser getrieben hat: „‚Und mit einer auffahrenden Geste drückte ich mir die Mündung der Pistole übers rechte Aug' an die Stirn.‘ – ‚Pfui!‘ sagte Albert. (46) ‚Ach, ich hab' hundertmal ein Messer ergriffen, um diesem gedrängten Herzen Luft zu machen.‘ ‚Man erzählt von einer edlen Art Pferde, die wenn sie schrecklich erhitzt und aufgejagt sind, sich selbst eine Ader aufbeißen.‘ (71) ‚Meine Blätter werden gelb.‘ (76) ‚Mit mir ist's aus.‘ (91) ‚Lebe wohl, Lottel auf ewig lebe wohl!‘ (115) ‚Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben.‘ (124) Goethes Werther fängt übrigens mit dem Satz an: ‚Wie froh bin ich, dass ich weg bin!‘ Das passt aber besser ans Ende, meine ich. Denk an die 40 Taler … Gruß, Gustav.“
Wegen sowas bringen sich die Leute um? wunderte sich der alte Goldgräber und Westernheld. Denn er war kein Fingerspitzchen gerührt. Weicheier! Dann griff der Groß-Onkel zum Telefonhörer und bestellte sich Professor Pico, den Konzernphilosophen und Hausschriftsteller, dessen Aufgabe es ist, den Gedanken aus der Intimsphäre des Großkapitals anständigen Ausdruck zu verleihen. Dem erklärte er seinen famosen Plan. Zwei Tage später erschien in allen Tageszeitungen folgende interkontinentale Todesanzeige:

„Wie froh bin ich, dass ich weg bin!“ Das waren die letzten Worte von Talertrillionär Dagobert Duck aus Ducks City. Seine Blätter waren gelb geworden. Mit ihm war's aus. Als er einmal mit einer auffahrenden Geste sich die Mündung der Pistole übers rechte Auge an die Stirn drückte, riefen alle seine Angestellten: ‚Pfui.‘ Tatsächlich hatte er vorher schon hundert mal ein Messer ergriffen, um seinem gedrängten Herzen Luft zu machen. Er hätte sich am liebsten wie ein edles, erhitztes Pferd selbst eine Ader aufgebissen. Nun hat er sich aber lieber über dem rechten Auge durch den Kopf geschossen, dass das Gehirn herausgetrieben war. ‚Lebe wohl, Talerberg, aufewig lebe wohl!‘“

Haha! Onkel Dagobert rieb sich die Hände. Dann zog er sich in seinen Tresor zurück und wartete vor dem Fernseher auf die Selbstmorde der Konkurrenz. Deutsche Dichtung! Das Wertherkonzentrat war wie reine Blausäure. Dagobert Duck höchstselbst wollte das Vorbild sein. Um acht Uhr brachte der Sprecher die Nachricht vom Ableben Dagobert Ducks an erster Stelle. Während der Große Onkel den asiatischen Selbstmorden entgegenfieberte, was flimmerte da plötzlich über die Mattscheibe? Verflucht! Tausende und Abertausende vergnügter Schuldner tanzten juchzend um die Banktürme von Ducks City, Tokio, London und Frankfurt. Der alte Tycoon bekam sofort wieder seine Migräne. Von deutscher Dichtung wollte er nie wieder etwas hören. Nie wieder!