How Uncle Donald realized himself

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Published in: newspaper LOBBY / lobster


 

„Selbstverwirklichung ehe es zu spät ist.“ Was sollte das heissen? Onkel Donald ließ die Zeitung sinken und versuchte zu grübeln. Davon wurde ihm aber übel, sodass er in den Schuppen gehen musste, wo der Jim Beam steht (im Blumentopf). Er würde abends die Kinder fragen. Aber
er musste es so anstellen, dass sie nicht merkten, dass er keine Ahnung hatte, was „Selbstverwirklichung“ ist. „Pah!“ machte er darum beim Abendbrot in gespielter Empörung.
„Selbstverwirklichung! Wieder so ein Modewort der Journalisten!“ Die drei Cleverle blickten einander an. Dann sagte Tick: „Also, wir finden den Ausdruck ganz okay.“ „Weil ihr alles nachplappert und noch keine eigenen Gedanken im Kopf haben könnt – in eurem Alter.“ meinte der Onkel listig. „Selbstverwirklichung, das ist dasselbe wie der altgriechische Spruch: „Werde, der du bist.“ erklärte Tick etwas gekränkt. „Aha!“ meinte der Onkel. „Das heisst: Du bist eine kleine dumme Ente und du bleibst eine kleine dumme Ente. Nicht gerade ein rosiger Spruch.“ „Aber Du verstehst das falsch, Onkelehen: Wenn man werden soll, der man ist, dann soll man seine Anlagen entwickeln, man soll was aus sich machen, damit man zu dem wird, was man seinen Talenten nach ist,“ erklärte Tick – der mit dem Riesen-IQ. „Aber man kann natürlich kein anderer werden. Aus deiner Entigkeit kommst du nicht raus.“ ergänzte Trick, und Track sagte: „Genau.“
Der Onkel schüttelte den Kopf, als könne er von den unmündigen Argumenten kleiner Erpel grundsätzlich nicht überzeugt werden. Tatsächlich aber war er sehr beunruhigt. Er nahm sich nochmal den Artikel vor und las dort: „Was hast du heute aus dir gemacht?“ Heute? Verdammt noch eins. Gar nichts. Er hatte nur so rumgesessen. Was waren denn seine Talente? Und Onkel Donald verfiel wieder in einschläferndes Grübeln. Er war zwar mit sich ganz zufrieden: Er konnte lesen, schreiben, addieren, Autofahren, aber Talente? Onkel Dagobert, der besaß zweifellos das Talent zum Talermachen. Selbstverwirklichung bedeutete hier: Aus lauter Geiz die reichste Ente der Welt werden. Oder Vetter Gustav, der hatte das Talent, sich alles in den Schoß fallen zu lassen: Lottogewinne, Brillantcolliers, kesse Enten, Gratisreisen undundund. Und Daniel Düsentrieb, der geniale Erfinder? Schon als Kleinkind hatte er sein Laufställchen verbessert und die Erfindung später patentieren lassen (es handelt sich um den schwimmenden Laufstall „Wulle“.) Aber er, Donald? Die Vorstellung, das Unaussprechliche könnte geschehen („ehe es zu spät ist“) und er hätte sich nicht selbstverwirklicht, jagte Onkel Donald einen Schauer durchs Gefieder.
Als die Kinder von der Schule nachhause kamen, saß der Onkel nicht wie sonst vor dem Fernseher und las Comic-Heftchen. Dafür rumpelte es im Geräteschuppen. Sie hörten Poltern, Hämmern und Fluchen. Durch ein Astloch beobachteten sie ihren Onkel beim Bau einer merkwürdigen Vorrichtung: Er hatte ein paar Autofelgen an Seilen zu ziehen . Er saß auf einem alten Autositz und stemmte beide Füße gegen zwei Pfosten, die er am Dach und Fußboden verkeilt hatte. Tick, Trick und Track sahen einander ernst an. „Denkt ihr, was ich denke, Brüder?“ fragte Tick. Die Brüder nickten. Sie beschlossen, zu gehen und den Mund zu halten. Denn ihr Onkel ist jähzornig.
Als sie eines Tages die letzte Stunde schulfrei hatten und früher nachhause kamen, konnten sie ihren Vormund durch das Astloch trainieren sehen. Schwitzend zog er an den Seilen mit den Autofelgen dran. Dann ließ er sie wieder langsam absinken. Dann zog er sie wieder hoch. Dann ließ er sie wieder runter. Davon bekam er einen feuerroten Kopf. Er hatte ein Trikot an, vorne mit dem Wappen von Superman drauf. Abends schlief der Onkel bei der Sportschau ein, sodass die Kinder noch im Garten herumtoben konnten.
Onkel Donald aß nicht mehr Spinat und Spiegeleier wie sonst, sondern löffelte aus großen Büchsen SUPER PROTEIN, POWER PLEX, AMINO KOMPLEX 2000, CREATINE PLUS und SUPER KILO-PLUS WEIGHT GAINER.
Während er Unmengen von weissem Zeug in seinen Schnabel schaufelte, las er in einem Prospekt, in dem die Kombination einer „Bauchmaschine“, „Rudermaschine“ und „Abduktionsmaschine“ abgebildet war. Dabei nickte er ein.
Eines morgens beim Frühstück fragten ihn die Kinder vorsichtig: „Machst Du Fortschritte, Onkel?“ Der Onkel nickte nur. CREATINE PLUS verklebte ihm die Zunge. Doch dann sprudelte es aus ihm heraus: „Ich möchte an mich selbst glauben. Ich will ein großes Ego entwickeln. Ich will selbst der Most Muscular Man werden und den Preis für die besten Bauchmuskeln erringen. Ich will gewaltige Schultermassen aufbauen und große monströse Arme und definierte Beine kriegen, Deltamuskeln wie Kanonenkugeln und tiefeingeschnittene Bauchmuskeln. Ich werde ein begnadeter Poser sein. (Die Posing-Musik wird der Bolero von Ravel). Ich werde ein Eisenmann und Arnold mit athletischem Handschlag begrüßen. Und, ihr könnt es mir glauben, ich werde elegant auftreten.“ Der Onkel sagte das im Ernst.
Nachdem er viele Büchsen leergegessen und jeden Tag im Schuppen hart an sich gearbeitet hatte, begann er bei Tisch versehentlich den Löffel zu verbiegen. Als er ein Schluck Wasser nehmen wollte, hat er die Flasche fast erwürgt. Von der Kaffeetasse brach er regelmäßig den Henkel ab. Seinem Auto (das aussieht wie ein Trabi-Cabrio) hat er den Schalthebel ausgerissen. Man sah, dass er überall deltaförmig wurde. Er bekam einen Schwollhals und kleine Augen. Sein Ego war wirklich ziemlich groß geworden. Wenn ihn von hinten jemand an hupte, bremste er, stieg aus, hob das gegnerische Auto an der Stoßstange hoch und ließ es wieder auf die Räder fallen. Einmal saß in einem solchen Auto zufällig Vetter Gustav, der schöne Mann der Familie. Er hatte aus Familiensinn gehupt. Als er sich seinen Hut wieder aus dem Genick zurückgeholt hatte, rief er entgeistert:
“Guter Gott! Wie du aussiehst!“ Und erzählte es brühwarm Daisy: “Er sieht aus wie kurz vorm Platzen. Er trägt ein T-Shirt. Auf den Oberarmen hat er Adern wie ein Pferd.“ Daisy, die sich zwischen Gustav und Donald nie entscheiden kann, schüttelte sich. „Du meine Güte!“ Und sie rief Donald nicht mehr an. Einmal kam Onkel Dagobert vorbei. “Dein Kopf scheint mir irgendwie kleiner geworden, mein Junge“, bemerkte er. “Ich bin jetzt besser proportioniert, Onkel,“ sagte Donald stolz. „Ich habe den Bizeps zum Quatrozeps verdoppeln können, fühl mal.“ „Sehr gut! Fein, und nun komm zum Talerputzen!“ Da Donald an sich glaubte und schon ein großes Ego hatte, wandte er ein: „Es ist Sonntag.“
Der Große Onkel bekam einen schmalen Schnabel, seine Augenbrauen zogen sich deltaförmig zusammen. Und er griff zu einem Stock. „Komm sofort zur Arbeit, du fauler Erpel, geborener Schuldner, der du bist.
Nichts im Kopf, aber Mietschulden, die Autorate nicht bezahlt und auch der Eisschrank gehört noch mir. Nun aber los!“ Donald zog sich die neue Matrosenjacke an (XXXL), zerbrach ein Glas in der Faust und watschelte hinter dem Erzkapitalisten her. Dann setzte er sich auf den Talerberg und wienerte die Taler, aber er verbog dabei einen nach dem anderen. Das leistete er sich.

Zitate: Sportrevue 6.7.1998