Ein bequemes Schmähwort

The popular term "do-gooder" - and all that is said with it
 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Die populäre Bezeichnung "Gutmensch" – und was alles damit gesagt wird

Da steht er, der "Gutmensch"! Eine tückische Wortschöpfung und immer häufiger anzutreffen. Zweifellos ist das Wort diskriminierend, denn es unterscheidet - wie es scheint - gute Menschen von den übrigen, es macht sie so kenntlich, daß man mit Fingern auf sie deuten kann. Raffiniert ist die anscheinend positive Diskriminierung, denn wer hätte etwas dagegen, als "guter Mensch" zu gelten?
Doch "Gutmensch" sitzt dem so Gekennzeichneten stramm über dem Kopf wie eine Mütze, die er nicht mehr abstreifen kann. Unter den europäischen Sprachen besitzt die deutsche die merkwürdige Fähigkeit, aus mehreren Wörtern neue zusammenzubacken. Der Wortbatzen hat den Charakter einer nur temporären Zusammensetzung verloren. Das Gefährliche des Ausdrucks liegt insofern in seiner Endgültigkeit. Wie mit "Verbrecher" der endgültig Schlechte aus dem Bereich der Normalen ausgeschieden wird, so mit "Gutmensch" der Gute. Im Vergleich zum Verbrecher erscheinen alle übrigen als gut und im Vergleich zum "Gutmenschen" alle anderen als schlecht. Wenn der Papst einen superguten Menschen heilig spricht, so ist gewiß, daß man zwar nicht so wie der Heilige, aber doch immerhin gut sein kann. Diese Chance ist mit dem Ausdruck "Gutmensch" genommen: alle sind wir mies. Und gern.
Die relative Schlechtigkeit der Menschen (und der von ihnen zu verantwortenden Verhältnisse) wird mit der Bezeichnung "Gutmensch" als normal unterstellt – affirmativ, wie man früher sagte –, als selbstverständlich, als mehr oder weniger unveränderbar, als menschlich eben. Auf den "Gutmenschen" zu zeigen, heißt immer zugleich: "Wir Ärmsten können so gut wie jener nicht sein, haha, weil wir ja im täglichen Leben stehen, im harten Lebenskampf." Jemanden als "Gutmenschen" zu bezeichnen, bedeutet, es sich im Jammertal bequem zu machen.
Die Diskriminierung hat etwas vom Charakter des athenischen Scherbengerichts, das bekanntlich anonym die besten – wie einst den Feldherrn Themistokles - aus der Gemeinschaft verbannte, aus Furcht, von ihnen dominiert zu werden: ein häßlicher Zug der Demokratie. Der als "Gutmensch" Bezeichnete ist als abnorm gebrandmarkt, er ist so etwas wie ein Verrückter oder ein Monster, jedenfalls einer, wie man selber nicht glaubt sein zu können und darum auch nicht sein will. Es steckt darin die anti-elitäre Haltung der Bequemen, den Anspruch zu senken, weil sie mal wieder nicht mitkommen (wollen), aber doch die Mehrheit sind. Eine Variante ist übrigens das Fortloben, das Gegenteil des Mobbing: auch hier wird der anscheinend Gute ausgegrenzt.
Doch eher handelt es sich nicht um eine positive, sondern um eine anscheinend positive Diskriminierung. Das Vergnügen nämlich, das die Wortschöpfung begleitet, belegt, daß man sie als ironische Wendung versteht. Sie legt in dieser zweiten Bedeutungskomponente nahe, daß der "Gutmensch" Genannte in Wirklichkeit gar nicht gut ist, sondern nur so tut: ein Heuchler, ein Schlechter also oder wenigstens ein Aufschneider. Die Verhöhnung des vorgeblich Unerreichbaren verbindet sich mit der Vermutung, daß es sich dabei um Betrug handelt. Beide Wortbedeutungen oszillieren böse schillernd.
Wie jedes Schimpfwort entfaltet "Gutmensch" seinen Schmäh erst mit Bezug auf erkennbare Personen. Der Satz: "Im Management sitzen nur Nieten in Nadelstreifen" ist gewiß eine haltlose Behauptung, die erst zutrifft, wenn sie konkretisiert wird. ("Nennen Sie Roß und Reiter!") "Gutmensch" ist genau besehen ein potentielles Schmähwort wie "Niete" auch, das im Giftschrank auf seine Anwendung wartet. Dadurch unterscheidet es sich etwa von "Rentnerschwemme", jenem preisgekrönten Unwort, das eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe verhöhnt.
Es macht einen Unterschied, ob die Bezeichnung "Gutmensch" als süffisante, Heiterkeit erzeugende Bemerkung angesichts eines berufsmäßigen Moralisten fällt oder mittlerweile wie selbstverständlich im Nachrichtenteil seriöser Zeitungen auftritt. Einen vorderen Rang auf der Anwärterliste für das Unwort des Jahres 1997, sollte der hinterhältige Ausdruck wohl abbekommen. Denn die Gefahr besteht, daß Zyniker schon jene als "Gutmenschen" diffamieren, die einem Bettler zu Weihnachten einen dicken Fünfer in den Hut tun. So würde das moralische Niveau nach unten getreten. "Gutmensch" wäre dann nicht mehr der Heilige oder der so tut, sondern schon einer, der nur versucht, ein bißchen anständig zu sein.