This text exists at the moment only in German language
Published in: Frankfurter Rundschau
Nützlich und gut gekleidet
Hunde in der Stadt, das ist eine alte großstadt-typische Geschichte. Zum Beispiel der Beethovenplatz im Westend von Little Big City: ein bisschen Grünfläche und ein paar Bäume rund um die Christus-Kirche. An der Ecke ein weißes Schild, das einen rot durchgestrichenen Hund zeigt. Heißt das etwa "für Hunde verboten"? Das kann nicht sein, denn von morgens bis abends laufen da Hunde herum und ziehen ihre plaudernden Herrchen und Frauchen hinter sich her. Und im Sommer? Auch im Sommer. Aber da liegen doch dann junge Leute auf dem Rasen. Na und? Hunde gelten als des Menschen bester Freund. Sie sind, sagen manche, sogar besser als Menschen.
Als Wächter ist der Bauernhund ein Nutztier, denn er bewacht den Hof. Stadthunde sehen anders aus. Ein seltener Hund mit Stammbaum, ein Riesenhund oder ein Kampfhund sind Statussymbole, denn sie sind teuer, und ihre Betreuung braucht Zeit. Und Zeit ist Geld, das man sich leisten können muss. Die kleinen Damenhunde zittern sogar im Sommer und kläffen mit hohen Stimmchen. Im Winter tragen sie Pullover und Mäntelchen, in England sogar manchmal Schuhe.
Natürlich gibt es auch in der Provinz Hunde. Aber dort sind sie im Durchschnitt eher größer, und sie laufen nicht massenhaft wie in Little Big Citys Grüneburgpark herum und schnüffeln einander aufgeregt am Hintern. Louis-Sebastien Mercier, der den Alltag von Paris durchstreifte und der erste war, der einen Sinn für das Massenhafte der Großstadt hatte, schreibt 1781 in seinem Tableau de Paris: Dazu (zu den Parisern) "kann man noch mit zweihunderttausend Hunden rechnen. Kein Bedürftiger, der nicht noch in seiner Dachkammer einen Hund hielte zu seiner Gesellschaft. Einer, der sein Brot mit diesem treuen Hausgenossen teilte, wurde befragt; man hielt ihm vor, er koste ihn zu viel und er müsste sich von ihm trennen. Ich mich von ihm trennen!‘ gab er zur Antwort, und wer wird mich dann lieb haben?‘" Eben.
Eine Redewendung besagt, jemand sei "auf den Hund gekommen". Damit ist entweder gemeint, er lebt wie der Kyniker Diogenes (der in der Tonne), den die Athener "Hund" nannten, weil er herumstreunte und alle – wirklich alle – seine leiblichen Bedürfnisse in der Öffentlichkeit verrichtete, oder er hat keinen Menschen, der sich um ihn kümmert, und muss darum mit einem Hund vorlieb nehmen. Denn der Hund liebt den, der ihn ernährt. Er gehorcht und gibt keine Wider-worte. Gegenüber seinem Hund kann der ärmste Schlucker sich als Herr fühlen.
Warum gerade die Großstädter so viele Hunde haben, dazu wieder Mercier, der von einem Mann spricht, der aus der Provinz nach Paris gezogen ist: "In den kleinen Städten verfolgen ihn der Klatsch, die Verleumdungen der Ortsansässigen, und er hätte unter dem törichten Dünkel und der anmaßenden Herablassung der Reichen zu leiden. In Paris steht er jedermann gleich. Hier darf er er selbst sein. Mitten in Paris ist die vollkommene Einsamkeit möglich." Mercier spricht hier von den Vorteilen der Anonymität in der Großstadt gegenüber den sozialen Zwängen in der Provinz. Die Einsamkeit als Möglichkeit, allein zu sein und endlich so zu leben, wie man möchte, ist einer der Gründe, in die Großstadt zu ziehen. Die Einsamkeit aber als Mangel an Liebe und an sozialen Kontakten, ist ein Grund, mit einem Hund zu leben. Der Vorteil ist zudem, dass man im Park mit anderen Hundefreunden unverbindliche Gespräche anknüpfen kann. Man redet zunächst über Hunde, dann auch über anderes. Und da man sicher weiß, dass der Gesprächspartner Hunde mag, gibt es eine einfache Solidarität als feste Gesprächsbasis. So geben die Einsamen, die oft alt sind, einander vermittels des Hundes das zum Überleben in der Großstadt notwendige Minimum an sozialer Zuwendung. Darum ist der Großstadthund ein soziales Nutztier.
Frankfurter Rundschau v. 25.02.2003, S.12