Dorothea Loehr

Grande Dame of Art
On the death of Dorothea Loehr

 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 

Grande Dame der Kunst
Zum Tode von Dorothea Loehr

Dorothea Loehr ist tot. Die Doyenne der Frankfurter Galeristen, deren ländliche Galerie – der legendäre "Kuhstall" – in den 60er und 70er Jahren das Mekka der Kunstszene im Rhein-Main-Gebiet war, starb am 27. August 93-jährig dort, wo sie immer gelebt hatte, gut betreut und nicht allein. Noch vor fünf Jahren ging und dachte sie so gerade wie immer. Hoch gewachsen, schmal und stets elegant gekleidet, pflegte die 1913 in Pommern geborene Lehrerstochter die Distinguiertheit der Grande Dame – mit einem Faible für schnelle Alfa Romeos. "Küsschen hier, Küsschen da, das ist nicht mein Stil", sagte sie. Ihre Vorliebe galt zwar immer der konkreten Kunst, doch war sie für alle Grenzüberschreitungen zu haben. Ihr Herz gehörte der Avantgarde, der Moderne, da, wo sie radikal war. Die Vernissagen, Vorlesungen, Konzerte, Diskussionen und Filmvorführungen, die sie unter dem Motto eines "erweiterten Galeriebegriffs" veranstaltete – zu ihrem eigenen Vergnügen, denn fürs große Geld hatte sie wenig Talent – waren stets überfüllt. Und wen sie da alles zeigte: Broodthaers, Dibbets, Flanagan, Götz, Graubner, Knoebel, Penk, Polke, Paeffgen, Penone, Pistoletto, Posenenske, Richter, Roehr, Vostell und den großen Fontana, den sie besonders mochte, weil er zudem ein Gentleman war! Und wer dort alles las: unter anderen Celan, Heissenbüttel, Handke, H. C. Artmann, Grass, Brinkmann! Und wer dort alles diskutierte: etwa Bazon Brock, Peter Iden, Franz Mon, Rochus Kowallek – immer übertönt von Werner Schreib!
"Die Loehr", wie man damals sagte, war in jener Zeit des Aufbruchs, als der Kunstbetrieb noch nicht so kommerzialisiert war, eine Institution. Wir erinnern uns an Daniel Spoerris Selbstmordanlage, an Bazon Brocks Bloomzeitung (alle Eigennamen in Bild hatte er durch den Namen der Hauptperson im Ulysses ersetzt) oder an die berühmte, von Paul Maenz organisierte Veranstaltung "Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören." Und wir erinnern uns an Dorothea Loehr, der wir viel verdanken. Frankfurt hat sie mit der Goethe-Plakette geehrt.

Frankfurter Rundschau vom 29.08.2006, S. 17