Schwarz & weiß
Dorothea Loehr wird 88
Galeristen haben meistens ihr Schaf im Trockenen, wenn sie sich zur Ruhe setzen, bei Dorothea Loehr ist es nach 33 Jahren Galeriearbeit nur ein Schäfchen. Aber das Leben hat sie nicht gebeugt. Sie geht so gerade wie immer schon. Am morgigen Sonntag wird die Doyenne der Frankfurter Galeristen, 1989 von der Stadt mit der Goetheplakette geehrt, 88 Jahre alt.
Sie lebt in Niederursel zur Miete in einem bescheidenen bäuerlichen Haus mit sturzsteiler Treppe. Aber wer hier schon alles gesessen hat! Von Lucio Fontana bis Günther Grass. Loehr war Avantgardistin, nie Verkaufsgaleristin. "Da bin ich fast stolz drauf," sagt sie. Und gibt zu, ein nicht ganz billiges Laster zu haben: schicke, schnelle Autos. Alfa Romeo war ihre Marke, noch jetzt fährt sie was Schönes.
Man wunderte sich, als sie 1964 aus einer Villa im Westend aufs Land zog. "Aber ich bin doch vom Land," sagt sie. Sie ist in Pommern geboren. Ihre Galerie wurde der berühmteste Kuhstall Hessens. Noch Anfang der 70er Jahre roch es zwischen der Kunst nach Kuh. "Die Loehr" war in den 60er Jahren im Rhein-Main-Gebiet die einzige Avantgarde-Galerie: "Eigentlich gab’s nur mich in dieser Zeit." Sie hatte in Frankfurt 1959 mit einem Laden für Möbel der klassischen Moderne angefangen – "zur Zeit der Nierentische und Tütenlampen" –, um mit einer Ausstellung von Max Beckmann gleich in der Beletage zu debütieren. Zwar interessieren sie die "Konkreten" nach wie vor besonders – "meine Lieblingsfarben sind immer noch schwarz und weiß" –, doch aus "positiver Neugier" auf alles, was sich in der Kunst bewegt, öffnete sie in den 60er Jahren ihre Galerie den unterschiedlichsten Grenzüberschreitungen.
Der Moderne verpflichtet, schätzt sie an der rationalistischen Ästhetik von Bauhaus und Werkbund "die klaren Vorstellungen, wie man leben soll". Doch verschloss sie sich den wilden Tendenzen der swinging sixties keineswegs. Schon 1963 hatte Daniel Spoerries Selbstmordanlage – das "Dorotheanum" – unter dem Dach der Schumannstraße 25 Furore gemacht. Mit Dachlatten hatte der Künstler mehrere Todeszellen abgeteilt, in welchen Utensilien mit Tipps zum Selbstmorden bereitlagen. Noch im selben Jahr kurvte Loehr im roten Alfa um die Hauptwache, um Bazon Brocks Bloomzeitung unter die Leute zu bringen. Der "Beweger" hatte, um der Bild-Zeitung contra zu geben, alle Eigennamen einer Ausgabe durch "Bloom" ersetzt, die Hauptfigur im Ulysses von James Joyce. Dafür musste die Galeristin (Bild: Mara Eggert) vor den Kadi.
Auf dem mit Zeitungen belegten Hof machte Wolf Vostell mit seinem Auto eine eigens erbaute Mauer platt. "Wir haben die Mauer schon 1964 eingerissen", sagt Loehr. Übrigens wurden auch Bananen gebügelt. Nicht politisch, gleichwohl sensationell waren die Vergänglichen Situationen, die der spätere Stargalerist Paul Maenz unter dem Titel Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören zeigte. Peter Roehr ließ seine Ringer in einer Endlosschleife ablaufen, Charlotte Posenenske ihre Großpappen fortwährend umbauen, Bernhard Höke eine Rauchplastik stinken, Konrad Lueg einen Schlauch mit heißer Luft in die Nacht steigen.
Wozu eigentlich Kunst, Frau Loehr? "Ich bin ein Genussmensch." Sie schaut mich an aus einem klaren, schönen, eigenwilligen Gesicht. "Alle Ausstellungen habe ich zuerst mal für mich selber gemacht." Und Frankfurt? "Das Positive an Frankfurt war meine Arbeit." Basta. Ihre Vernissagen, Lesungen, Vorträge, Konzerte und Filmvorführungen waren stets überfüllt: Helmut Heissenbüttel, Paul Celan, Peter Handke, H. C. Artmann, Rolf Dieter Brinkmann. Große Namen. Kaum zu glauben, wer hier alles ausgestellt hat: Broodthaers, Dibbets, Flanagan, Götz, Graubner, Knoebel, Penk, Paeffgen, Polke, Richter, eine willkürliche Auswahl. Und Lucio Fontana, den Loehr bei uns bekannt gemacht hat, ein Gentleman der distinguierten Art, die sie schätzt. "Küsschen hier, Küsschen da, das ist nichts für mich," meint sie. Aber wir wollen immerhin herzliche Glückwünsche zum Geburtstag schicken.