This text exists at the moment only in German language
Published in: Süddeutsche Zeitung
Eine Ausstellung zu Jean Siméon Chardin im Grand Palais in Paris
Von den Malern wegen seiner auratischen peinture bewundert, von Diderot als Zauberer gerühmt, der mit Licht und Luft auf der Pinselspitze male, vom Pariser Bürgertum wegen der Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit der häuslichen Szenen geliebt, vertreten in den Sammlungen der Pompadour wie Katharina der Großen und zu seinem 300. Geburtstag endlich so bekannt wie Vermeer: Jean Siméon Chardin (1699 bis 1779). Ausgestellt sind im Pariser Grand Palais 95 Werke, darunter viele Repliken, die erstmals verglichen werden können. Ein Höhepunkt sind die vier späten Pastelle, die in der Karlsruher Ausstellung im Sommer nicht zu sehen waren.
In ihnen erwies sich der größte Kolorist des französischen Rokoko nicht nur als großer Porträtist, sondern auch als Vorläufer des Impressionismus: Diderot hatte staunend entdeckt, dass die Farben sich erst dann, wenn man zurücktritt, zum „wahren Ton“ zusammenschließen. Chardin malte langsam und wenig, niemand hat ihm beim Arbeiten zugesehen. Im Handwerkermilieu zu Hause und ohne höhere Bildung, beschränkte er sich darauf, das häusliche Leben seiner Nachbarn zu malen. Man hat seine Bilder immer wieder mit den Niederländern des 17. Jahrhunderts verglichen. Doch unterscheidet sich sein pastoser Farbauftrag von der niederländischen Feinmalerei, und anstelle von Vanitas-Symbolen und anzüglicher Derbheiten findet man bei Chardin eine verhaltene Freude an der Schönheit genügsamen bürgerlichen Lebens. Das kleine Mädchen mit dem Federballspiel gehört zu den schönsten Bildern. Der Charme der von Rousseau eingeforderten Natürlichkeit bezaubert auch heute. Man war der gezierten Frivolitäten des Rokoko überdrüssig. Die vom Aufklärer Diderot verlangte Moralität der Kunst besteht bei Chardin in der Wahrhaftigkeit. Er malte, was er sah, ohne moralisierendes Pathos, ohne Symbolik, ohne Manier. Sein scharfer und behutsamer Blick führte die Malerei in die Moderne: sacht löste er sie von ihrer Abbildfunktion und schuf ihr eine eigene Wirklichkeit. Der einfachste Gegenstand war ihm recht, um das Gewicht von der Abbildung auf die Malerei selber zu verlagern. Allein das kleine Bild mit nur einem Glas Wasser, drei Zwiebeln und einem irdenen Kaffeetopf ist in seiner Reduktion von einer malerischen Delikatesse, dass es „einen Umweg lohnt“. Und in der Qualität der Selbstporträts (Kreidestift) rangiert Chardin neben Rembrandt.