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Published in: newspaper LOBBY / lobster
Eines Tages bemerkte Tick, der seinen Brüdern beim Schachspielen zusah: „Ich glaube, ich wachse nicht mehr!“ „Gardez!“ sagte Trick und bedrohte Tracks Dame mit sei nem pferd. „Was hast Du gesagt?“ fragte Track .so verdutzt, dass er seine Dame einfach stehen ließ, wo sie stand. Denn weil Onkei -Dagoberts Groß- und Erbneffen doch Drillinge sind; musste er annehmen, dass auch er selber und auch Trick nicht mehr wuchsen. Alle drei liefen sofort ins Badezimmer hinüber, wo sie vor zwei Jahren an der Tür mit · Bleistift eine Markierung gemacht hatten. Tick holte das Lineal und legte es erst Trick und dann Track horizontal auf den Kopf, sodass es an die Türleibung stieß. Das Lineal traf exakt auf den Bleistiftstrich. „Es ist wahr, wir sind nicht einen Millimeter größer geworden", stellte Track fest und sah ·seine Brüder mit weiten Augen an. „Wir werden wohl immer klein bleiben!“ seufzte Trick. Dann watschelten sie zu Onkel Donald, der gerade fernsehnguckte. „Wir sind Zwerge!“ beschwerten sie sich im Chor. „Wie? Was? Zwerge gibt es nicht mehr!“ erklärte Onkel Donald ungerührt, „ihr seid höchstens s o g e n a n n t e Zwerge.“ „Und wo ist der Unterschied, Onkel?“ „Ein sogenannter Zwerg unterscheidet sich von einem Zwerg dadurch, dass er eben nur Zwerg g e n a n n t wird. Wer ,sogenannter. Zwerg' sagt, gibt zu erkennen, dass zwar andere den Zwerg ,Zwerg' nennen, er aber nicht, z.B. weil er nicht sicher ist, ob der Zwerg wirklich ein Zwerg ist. ,Zwerg' darf man heute nicht mehr sagen, weil der Zwerg sich beschimpft fühlen könnte. Kapiert?“ „Mann, ist das kompliziert. Woher weißt Du denn sowas?“ fragten die Kinder. „Das steht in einem Artikel über Political Correctness.“ „Hier, ich lese es euch vor: ,Anspruch auf politisch korrekte Behandlung und Benennung erheben Gruppen, die diskriminiert werden oder sich diskriminiert fühlen. Dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe, seiner Weltanschauung oder seiner … ähem … seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden sollte, ist ein politischer Verfassungsgrundsatz und eine gesellschaftliche Minima/norm, für die breite Zustimmung unterstellt werden kann'. Versteht ihr? Nein? Also: wenn' jemand einen von euch ,blöde weiße Ente' nennt, dann seid .ihr zurecht beleidigt. Wer sowas sagt, beschimpft euch nicht als Tick, Trick und Track, sondern in eurer “ Entigkeit. Ihr könnt ja nichts dafür, dass ihr weiße Enten seid. Er hat euch nicht politisch korrekt behandelt. Alles klar?“ Die drei kleinen Neffen blickten verstört: „Ein Blinder", fuhr der Onkel fort, „heißt heute ,anderssichtig'. Man will damit sagen, dass er nicht aus dem Kreis der Sehenden ausgeschlossen wird. Und ihr seid also keine Zwerge, sondern ,vertikal beeinträchtigt'. Hier steht's. Was etwa bedeutet, dass es mit euch nach oben nicht mehr weiter geht.“ Da fingen die dnii sogenannten Zwerge an zu weinen und schlichen betrübt ins Kinderzimmer. Sehr pädagogisch war der Onkel nie. Daher befragten sie am Wochenende den Ältesten in ihrer Pfadfindergruppe „Die jungen Murmeltiere“. „Wenn es euch kränkt, dass einer ,ihr Zwerge' zu euch sagt, dann wollt ihr nicht daran erinnert werden, dass ihr nicht mehr wachst. Durch euer Nullwachstum unterscheidet ihr eUch z.B. von den Bassottini, den Panzerknackerkindern, die ja ziemlich schnell dicke Bassotti werden, weil sie viel Spaghetti essen. Ihr fühlt euch ,diskriminiert’, d.h. von den anderen negativ abwert tend unterschieden,“ erklärte, das Große Murmeltier. „Wir wollen ja gar nicht wie die Bassottini sein, die sind ja böse und doof!“ wendeten die drei kleinen Neffen ein. „Richtig", gab das Große Murmeltier zu, „aber sie wachsen. Wenn jemand zu euch sagt, ,ihr doofen Enten', könnt ihr lachen, weil's ja nicht stimmt. Aber wenn einer euch ,Entenzwerge' nennt, dann ist das diskriminierend.“ „Und was machen wir gegen solche Beleidigungen?“ „Ihr könnt einen Prozess führen und Schadenersatz verlangen.“ Als die drei Großneffen ihren Onkel Dagobert in seinem Geldspeicher besuchten, um ihr Taschengeld abzuholen, saß der mit gesträubten Federn an seinem Dreimeterschreibtisch und las Zeitung. Er schien ziemlich wütend zu sein. „Diese Journalistenbande wagt es, euren Onkel einen ,Großkapitalisten' zu nennen. Hier: ,Großkapitalist' … da, ,Großkapitalist', hier schon wieder … ,Großkapitalist'!“
„Aber du b i s t doch ein Großkapitalist! Du bist die reichste Ente der Welt. Dir gehören Banken, Hochhäuser, Fabriken, Eisenbahnen und auch das Haus, in dem wir wohnen", entgegnete Tick. „Ja", sagte der Große Onkel, „aber die dürfen mich nicht so nennen. Denn sie meinen das böse. Wenn mich in den alten Zeiten jemand, der mich kannte, nach meinem Beruf fragte, dann sagte ich stolz: ,Ich bin Kapitalist.' Aber seit dieser deutsche lhrwisstschonwer mit dem dicken Bart das schlimme Buch geschrieben hat, ist ,Kapitalist' Schimpfwort, das nur Panzerknacker und Panzerknackerfreunde benutzen. Sie wollen nichts als meine Taler haben, d.h. sie wollen mir ans Leben. Was für Zeiten!“ „Du kannst doch Schadenersatz verlangen, wenn du dich diskriminiert fühlst, Onkelehen!“ meinten die Kinder. „Schadenersatz? Kann man das?“ fragte – der Onkel interessiert. „Das Große Murmeltier aus unserer Pfadfindergruppe hat gesagt, die Ururenkelkinder von Mark Twain, der Tom Sawyer geschrieben hat, müssten viele Millionen zahlen, weil in dem-Buch Huckleberry Finn – du weißt, das ist der Freund von Tom Sawyer - mehr als 200 mal das Wort ,Nigger' vorkommt. Und das Buch darf darum in der Schule auch nicht mehr gelesen werden.“ „Millionen?“ fragte der Große Onkel mit $-funkelnden Augen. Mr. McDuck ließ sich die Bestimmungen über Political Correctness kommen. Mit Genugtuung stellte er fest, dass er das Recht hatte, sich durch das Schimpfwort .. Kapitalist“ diskriminiert zu fühlen. Er gehörte zu einer bedrohten gesellschaftlichen Minderheit: Da er fortwährend andere Firmen aufkaufte, wurde die Konkurrenz immer schwächer. Es gab zwar eine Menge Manager, aber immer weniger Unternehmerkapitalisten. Die übriggeblieben waren, hatten 'gegen die Unverschämtheiten der Gewerkschaften zu kämpfen. Und gegen die Panzerknacker natürlich. Mr. McDuck diktierte seinen ersten Brief in Sachen Political Correctness: „… teile ich Ihnen hierdurch tiefbetroffen mit, dass ich mich durch Ihre Verwendung des Schimpfausdrucks ,Großkapitalist' in übler Weise diskriminiert und seelisch und körperlich bedroht fühle. Als Angehöriger einer bedrohten Minderheit fordere ich hiermit Schadenersatz in Höhe von 10 Mio. Talern. Zahlbar sofort ohne Abzüge.“ Onkel Dagobert hielt einen Moment inne. Dann setzte er noch eine 0 an die 10.
(Zitate: Frankfurter Rundschau, 17.6.1995)