The space belongs to the human being
Portraits of Giacometti at the Kunsthaus Apolda Avantgarde
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Published in: Frankfurter Rundschau
Zum Menschen gehört der Raum
Porträts von Giacometti im Kunsthaus Apolda Avantgarde
Allein das wunderbare, aus kleinen, runden Schwüngen entwickelte Portrait der Marie-Laure de Noailles, einer Mäzenin, das Alberto Giacometti 1948 mit Bleistift auf ein Stückchen Papier zeichnete, würde es lohnen, nach Apolda zu fahren. Die Comtesse wollte aber nicht „wie ein Giacometti“ aussehen, so behielt der Künstler das Portrait selbst.
Apolda? Liegt im Schatten des saturierten Weimar an der Autobahn nach Berlin, eine arme Stadt, die sich gleichwohl ein ambitioniertes Kunsthaus leistet, das den bedeutendsten figürlichen Bildhauer des 20. Jahrhunderts ausstellt. Eine Tat, denn Giacometti ist in Osten Deutschlands noch fast unbekannt. Skulpturen fadendünner, entmaterialisierter Menschen auf sockelartigen Füßen, die Giacometti zur Zeit des Existentialismus populär gemacht haben, sind nicht zu sehen. Die überschaubare Auswahl beschränkt sich auf die Portraits. „Das einzig Lebendige ist zweifellos der Blick,“ sagte Giacometti. „Wenn der Blick, also das Leben, das Wichtigste ist, zählt zweifellos einzig der Kopf wirklich.“
Nichts schien ihm allerdings schwieriger als einen Kopf zu machen, wie er ihn sah. Unermüdlich bildete er den Kopf seines Bruders Diego ab, der bei ihm in Paris lebte, und den Kopf seiner Frau Annette. In Apolda sind die Portraits der beiden in Bronze und als Gemälde einander konfrontiert. Sie blicken mit großen Augen. Giacometti porträtierte seine Modelle immer frontal aus einer bestimmten Entfernung, die er auf dem Boden markierte. Er wünschte unbedingt, dass sie ihn anblickten. So befreite er das Modell von seiner Objekthaftigkeit. „Modellsitzen ist eine aktive Teilnahme an der Arbeit,“ sagte der Künstler zu James Lord während einer Sitzung. Die Skulpturen sind nicht für die Seitenansicht konzipiert, der Büste Diegos fehlen zum Beispiel die Ohren. „Man geht nicht um einen Menschen herum wie um einen Baum,“ sagte Giacometti, und „Ohren interessieren mich nicht.“
Das Glanzstück der Ausstellung ist eine wohl platzierte Büste von Annette. Mit leicht gehobenem Kinn blickt die Frau stolz durch den Betrachter hindurch. Diese Unnahbarkeit, die gewissen Götterstatuen, Ikonen und Idolen eigen ist, ähnlich der Aura, die Benjamin als „Erscheinung der Ferne, so nah sie sein mag“ definiert hat, wollte Giacometti darstellen.
Auch der Sockel dient der Herstellung von räumlicher wie auratischer Distanz. Im Erdgeschoss sind zwei winzige Köpfe zu sehen, jeweils auf zehnfach größeren Sockeln. Die merkwürdige Kleinheit vieler Büsten erklärt sich aus der Art, wie der Künstler Menschen wahrnahm. Für Giacometti gehörte zur Wirklichkeit der Situation zwischen Künstler und Modell die Distanz. Er war sich bewusst, dass man nicht die Wirklichkeit, sondern nur die Erscheinung der Wirklichkeit darstellen kann, das, was man sieht. Das bedeutet aber, den anderen stets kleiner wahrzunehmen als er ist, denn man kann ihn gar nicht anders wahrnehmen als aus der Entfernung. Zu einem Menschen, den man betrachtet, gehört stets ein Raum: Je näher der Blick rückt, desto mehr löst sich der Kopf in Einzelheiten auf. Die richtige Entfernung war für Giacometti die, in welcher ein Kopf als Ganzheit erscheint. James Lord, der eine Reihe eigener Porträtsitzungen protokolliert hat, berichtet, dass der Künstler bei den „endlosen Transformationen des Gemäldes“ stöhnte, fluchte und schrie. Man kann es sich leicht vorstellen, wenn man die leidenschaftlich kreisenden Striche verfolgt, die sich schließlich zum Gesicht Diegos verdichten, ein Linienknäuel, das dunkel, manchmal schwarz aus der Fläche hervortritt wie eine Nuss. Zu James Lord sagte Giacometti, während er mit dem Fuß aufstampfte: „Dein Kopf verschwindet, er verschwindet völlig.“ Oft begann er, alles wieder auszulöschen.
Wie sein Freund Beckett begriff Giacometti seine Arbeit als ein fortwährendes Scheitern. „Es ist unmöglich, etwas wirklich zu vollenden,“ sagte er und: „Je mehr man scheitert, desto mehr erreicht man.“ Zu sehen sind in Apolda außer den Portraits von Diego und Annette Raritäten wie die fulminanten Porträtzeichnungen von Igor Strawinskij und dem alten Henri Matisse, dazu einige der berühmten Atelieraufnahmen des Magnum-Fotografen und Freundes Ernst Scheidegger.
Bis 16. September 2001.