Dandyismus
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Published in: Frankfurter Rundschau
Über die Verbindungen zwischen Dandy und Design
Der von Beau Brummel (1778–1840) begründete Dandyismus ist keine Kleiderfrage, wie es das Vorurteil will. Nicht daß er den Frack erfand und stets erlesen gekleidet ging, machte Brummel zum Vorbild der Dandys, sondern seine sichere Vornehmheit in allen Fragen gesellschaftlichen Lebens, durch die er zwanzig Jahre unangefochten den guten Geschmack der englischen Oberschicht beherrschte.
Er führte ein Konzept streng ästhetischer Lebensart vor, das sich über Kleidung, Wohnen, Speisen weit hinaus auf die Kommunikationsformen insgesamt bezog. Es war Brummel, der, während es mit der Aristokratie zu Ende ging, den Gentleman entworfen und vorgelebt hat, einen Adel, der nicht mehr von der Herkunft abhing. Der Dandyismus war eine Rebellion aristokratisch gesinnter Individuen gegen die drohenden Nivellierungen der aufkommenden Massengesellschaft, gegen die ordinäre Fortschrittsseligkeit einer ebenso raffgierigen wie heuchlerischen Bourgeoisie, gegen den Primat der Maschinen, gegen das Mittelmaß.
Es ist dieser auf das Ganze der Lebensführung zielende ästhetische Gestaltungsanspruch, durch den der Dandyismus sich mit den anspruchsvollsten Designtheorien berührt, wenngleich diese sich nie als konservativ verstanden. Die konzeptuelle Parallelität resultiert aus der hinter beiden Bewegungen stehenden alten philosophischen Frage "Wie soll man leben?"
Konzepte bürgerlicher Lebensgestaltung haben diese Frage vornehmlich moralisch verstanden: Ein gutes Leben hatte zugleich ein anständiges Leben zu sein, und die gute Form mußte sich durch ihre Nützlichkeit beweisen. Hintergrund ist die frühbürgerliche Vorstellung von Sparsamkeit als Tugend. Werner Sombart führt (1913) den als Architekten, Architekturtheoretiker und Vorbild des Renaissance-Menschen berühmt gewordenen Leone Battista Alberti als denjenigen an, der die Basis bürgerlicher Wirtschaftsführung mit dem einfachen Gedanken legte, auch dann zu sparen, wenn es nicht notwendig ist. "Die Idee des Sparens trat in die Welt! Nicht des erzwungenen, sondern des selbstgewollten Sparens als einer Tugend." Tugend, weil dies Sparen eine eigene Entscheidung und einen Verzicht darstellt. Die Maxime war gegen die Lebensführung des Adels gerichtet, dem die ruhmreiche Verschwendung oberstes Lebensprinzip gewesen war.
Der gute bürgerliche Geschmack vom Biedermeier bis hin zum Design der amerikanischen Shaker zeichnet sich in der Folge durch Sparsamkeit aus, für die der Begriff "Schlichtheit" steht. Es handelt sich um mehr als den Verzicht auf Dekor, das Überflüssige schlechthin. Nützlich und damit auch schön war ein Gegenstand dann, wenn er - einfach zu handhaben und ohne vom Zweck durch Dekor abzulenken - Zeitvergeudung vermied. Die leichte Handhabbarkeit von Gegenständen impliziert stets den geringeren Zeitaufwand: das bürgerliche Implikat von "form follows function".
Auch die Dauerhaftigkeit von Gebrauchsgegenständen ist eine auf die tugendhafte Sparsamkeit (und Zeitersparnis) rückführbare Qualität. Diese grundsätzliche Orientierung leitet weit über Adolf Loos hinaus Architektur und Design der Moderne an. Die Produktgestaltung wie die Architektur richtete sich auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse. Das bloß Schöne, das Dekorative, dessen verschwenderische Nutzlosigkeit man nirgends schöner als an den verspielten Rocaillen des Rokoko genießen kann, galt als unmoralisch. "Wahrhaft unästhetisch wirken die ornamentierten Dinge erst, wenn sie im besten Material mit der höchsten Sorgfalt ausgeführt wurden und lange Arbeitszeit beansprucht haben." (Adolf Loos 1908)
Inzwischen haben wir erlebt, was in der Soziologie "Paradigmenwechsel" genannt wird. Die von Gerhard Schulze 1992 eingeführte These von der Ästhetisierung des Alltagslebens bezeichnet das Phänomen einer breiten Umorientierung: Sie besagt etwa, daß wir auf der Entwicklungsstufe unserer heutigen Gesellschaft zunehmend mehr Entscheidungen nach Geschmackskriterien treffen. Der Spruch vom Designer-Baby bezeichnet den Extremfall. Ging es in der Armutsgesellschaft noch um die Gebrauchsgüter überhaupt, kann man heute zwischen den unterschiedlichsten Formen desselben Gebrauchgutes wählen. Damit hat sich die Frage nach dem "Was" zu einer Frage nach dem "Wie" verlagert, eine Verschiebung vom Inhalt zur Form, die sich vom Zwang der Inhalte befreit.
Für die Oberschichten ist diese Frage nicht neu. Doch in der fortgeschrittenen Konsumgesellschaft stellt sie sich in ganzer Breite selbst noch unter den Bedingungen der Arbeitslosigkeit. Diese gesellschaftliche Neuorientierung bildet die Voraussetzung für den mächtigen Aufschwung des Designs in den 80er Jahren. Ging es den Modernen noch um die letztendliche Bestgestaltung, ein auf welchen Umwegen auch immer anzunäherndes Ideal, so ist die pluralistische Postmoderne nun gegen deren Einheits- und Gleichheitsvorstellungen mit dem Leitwort der "Differenz" angetreten, das eine Sichtweise begründet, die grundsätzlich mehrere Möglichkeiten gelten läßt.
Auf diesem Paradigmenwechsel beruht der Primat der Form. Die Ästhetisierung des Alltagslebens hat sich von der moralischen Grundorientierung der tugendhaften Sparsamkeit gelöst. Designer arbeiten kaum noch mit dem hochgespannten Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit einer Lösung, die für jedermann gut sein sollte, wie die Modernen postuliert hatten. Oft entwerfen sie heute - an der Kunst orientiert - Gerätschaften ironischen Charakters: eine elitäre Gestaltung - nicht mehr für alle, sondern für einige. Wie die Literatur, wie die Kunst, wie die Medien arbeitet das Design auf Zielgruppen hin, d. h., es versucht, statt einem abstrakten Ideal, den differenten konkreten Bedürfnissen zu entsprechen.
Mit dem Primat der Form über den Inhalt und der Irrelevanz moralischer Gestaltungsprinzipien, wie er sich in der Ästhetisierung der Alltagswelt darstellt, erreicht das Design aber das Niveau, auf dem der Dandyismus sich schon immer befand. Denn dieser war von Anfang an ein Protest gegen die Nivellierung und Standardisierung des Lebens unter Kostengesichtspunkten, mit der die konforme Massengesellschaft sich bescheidet.
Oskar Wilde (1854–1900), der den Dandyismus um die Jahrhundertwende zu seiner schillerndsten Blüte brachte, formulierte und lebte das elitäre Bewusstsein des Dandy in provokantester Weise aus. Muße, Verschwendung und Kostbarkeit, die dem frühen Bürgertum widerwärtigen Lebensprinzipien der verhaßten Aristokratie, führt er der Gesellschaft als vorbildlich vor und das so öffentlich wie irgend möglich. "Nur unter eleganten Leuten bin ich bei mir selbst" schreibt er, "in der Weltläufigkeit der Hauptstadt, im Zentrum der Wohlhabenheit, im Luxus eines Hotelpalastes." "Ich möchte mein Leben zu einem Kunstwerk machen" ist der Satz, mit dem er die Originalität und das Prinzip des Dandyismus auf den Punkt bringt, und lapidar: "Ästhetik steht über der Ethik."
Den Massen geht es um Inhalte, um das "Was": Arbeit, Brot, Inhalte, die moralisch begründet sind. Inhalte lassen sich von Moral nicht lösen, eine Not, welche die political correctness unserer Tage zur Tugend macht. In vielen Vorträgen und Texten hat Wilde den Primat der Form über den Inhalt vorgetragen. Dort bezeichnet er das gewöhnliche Leben und auch die Natur als Rohmaterial, das künstlerischer Formung unterworfen werden müsse. Zur rohen Natur rechnet Baudelaire, der Vertreter der französischen Variante des Dandyismus, übrigens auch die Frau! Anstatt sich bis ins Mark von den gesellschaftlichen Verhältnissen prägen zu lassen und/oder lustvolle "events" anzuhäufen wie der hedonistische Konsument zum Ende unseres Jahrhunderts, raffiniert der Dandy die brave Lebensgestaltung des Bürgers oder die "Selbstverwirklichung" des Aussteigers oder Nischenfreaks zur Lebenskunst.
Für Otto Mann (Der Dandy, 1925) ist der Dandy der "Kunst gewordene Mensch". Daß der Dandyismus nicht nur konzeptuell, sondern auch ganz praktisch das Design berührt, ist durch zwei, stark auf Ruskin und Morris gestützte Vorträge (1882, 1883) zu belegen, die Wilde in Amerika hielt, dessen verblüfften Bürgern er seine Theorie des Schönen nahezubringen suchte. In The House Beautiful durchwandert Wilde im Geist ein Haus, dessen Einrichtungsfehler er bei seinem Rundgang kritisiert. Sein eigenes Haus in der Londoner Tite Street sollte Maßstäbe setzen. Etwa rosa Wände mit einem Stich ins Fleischfarbene, goldgelb mattierte Zierleisten und ein mit japanischem Leder überzogener Plafond. Die üblichen Tapeten seien so abscheulich, meine Wilde, daß, wer ihnen als Kind ausgesetzt sei und später auf die schiefe Bahn gerate, sie durchaus dafür verantwortlich machen könne. "Es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, auf dem hohen Niveau meines blauen Porzellans zu leben", ein elitäres Bonmot, das die Schönheit des einzelnen Gegenstands zur Lebensart des Dandy in Beziehung setzt.
Zwischen Dandyismus und Design gibt es also konzeptuelle Parallelität und auch praktische Berührungspunkte. Gemeinsam ist beiden Bewegungen ein ästhetisches Bewusstsein, das beim Dandyismus ausdrücklich, im gegenwärtigen Design ansatzweise elitär ist, insofern es den Verallgemeinerungsanspruch aufgegeben hat. Die Unvergleichlichkeit des hochkultivierten Individuums und seines Ambientes gegen den Massengeschmack zu exponieren, darin ähneln sich beide. Beide empfangen von der zeitgenössischen Kunst wichtige Impulse. Deren gegenwärtige Tendenz, mit Konsumabfall oder abgeschmacktestem Kitsch ironisch zu arbeiten, beeinflußt sowohl Outfit und Jargon jugendlicher Szenetypen im Umkreis der metropolen Kunstmilieus als auch das junge Design. Die Ironie gehört seit der Romantik zu der Grundhaltung in Übergangsperioden. Brummel erlebte den Niedergang der Aristokratie, Wilde der Belle Epoque und wir die Auflösung der alten Arbeitsgesellschaft.