Überfluss

Overflow
 
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Published in: Frankfurter Rundschau


 

Heiße Sommertage, Brunnen, auf dem Beckenrand sitzend die Füße kühlen. Doch wurden Brunnen einst keineswegs wegen der Kühlung errichtet, sondern der Stadt zum Schmuck. Meist ist weder die Symbolik des Brunnens noch die eigene Ästhetik des Wassers mehr bewußt. Anstatt die Anmut des Wassers zur Geltung zu bringen, indem man ihm Gelegenheit gibt, seinen Reichtum an Bewegung, Formen, Farben und Geräuschen und sein Temperament zu entfalten, scheinen viele moderne Brunnenanlagen die Besonderheit des Wassers zu ignorieren: es spritzt und trieft lediglich irgendwie. Für heiße Füße genügt das.
Vergessen ist, daß Brunnen – als Zierbrunnen – Symbol des Überflusses waren. Das überfließende Wasser erhielt nicht zufällig die Rolle, Überfluss überhaupt darzustellen. Wasser war – besonders in der agrarischen Gesellschaft – als Saft des Lebens, als das Fruchtbarkeit schenkende Element stets allen bewußt. Auf der Pariser Place d'Etoile spritzt das Wasser aus den Brüsten der Nereiden. Wasser war kostbar – solange es von Wasserträgern in Ledereimern von Stockwerk zu Stockwerk verkauft wurde (in Paris noch im letzten Jahrhundert), solange es schwarz war wie das rußige Wasser der Themse; solange es wie in Venedig in Zisternen gesammelt oder in Fässern aus der Brenta herangeschafft werden mußte; solange es also nicht wie selbstverständlich aus dem Hahn sprudelte.
Im Zweiten Weltkrieg sollen die jungen Rotarmisten die Wasserhähne aus den Bädern und Küchen deutscher Wohnungen geschraubt haben, um sie nach Russland mitzunehmen, in der Hoffnung, aus ihnen werde auch zu Hause das Wasser fließen, das die Frauen sonst eimerweise mit dem Joch vom Dorfbrunnen heranschleppten. Falls nicht wahr, ist die Geschichte doch poetisch.
Das Bewusstsein für die Kostbarkeit des Wassers schwand mit der Mühelosigkeit seiner Verfügbarkeit. Wasser zu vergeuden war wenigstens in den großen Städten bis ins vorige Jahrhundert hinein, in dem die Leitungsnetze und die Kanalisationen entstanden, ein teures Vergnügen. Allerdings wusch man sich im Rokoko sparsam aus tellergroßen Schüsseln, und das englische water closet wurde erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts in London eingeführt.
Die ruhmreiche Verschwendung war die Lebensmaxime des Adels und des absolutistischen Hofes. Die Wasserspiele wurden in jener sinnenfrohen Zeit ebenso gepflegt wie das Feuerwerk, das Pendant des hochaufspritzenden Wassers, dessen erotische Symbolik in den Chambres separees der Belle Epoque dann der Champagner übernahm: die Herren öffneten die Flaschen stets unter Knallen und Spritzen, so daß die Damen ob dieses anzüglichen Überflusses Gelegenheit fanden, laut aufzujauchzen. Die Brunnenschalen, über deren Rand das Wasser fließt, um in einem schimmernden, zart abreißenden Schleier in ein unteres Becken zu fallen, gleichen den in Italien und Frankreich noch gebräuchlichen Obstschalen, über deren Rand die Trauben quellen – nicht Fülle darstellend wie in einer flachen Schale, – sondern Überfülle, Überfluss, wie er sonst nur aus dem göttlichen Füllhorn quillt.
Doch die Verschwendung ist Schein: nichts wird vergeudet. Von sprudelnden Quellen und echten Brunnen unterscheidet sich der Springbrunnen dadurch, daß er stets dasselbe Wasser emporschleudert. Keine Epoche hat den Schein und das Theatralische so kultiviert und genossen wie Barock und Rokoko. Wenn man damals zur Darstellung des Reichtums soviel verschwendete wie irgend möglich, so setzt doch oft das flache Gelände, in welchem die Schlösser erbaut waren, dem Gefälle des Wasser Grenzen. "Ich habe dreihunderttausend Taler vergebens aufgewendet, um Wasser hierhin zu führen", beklagte sich Friedrich der Große in Sanssouci gegenüber Casanova. Die Wasserkünstler mußten sich der Pumpen bedienen. Der geschlossene Kreislauf des Wassers wurde erfunden (den man im steilen Tivoli nicht benötigte).
Das Scheinhafte des Überflusses wußte der Adel aus ästhetischen Gründen zu schätzen und das Bürgertum aus Sparsamkeit. So bauten sich auch die reichen Städte schönfließende Brunnen. Mit wachsender Knappheit des Wassers – um das, wie Ökonomen und Soziologen voraussagen, die Kriege der nächsten Jahrhunderte entbrennen könnten – werden Künstler, die künftig Brunnen entwerfen, seine Kostbarkeit wohl zu bedenken haben. Das Scheinhafte des Überflusses ist dann real.

Artikel in der Rubrik der Frankfurter Rundschau "Times mager"