Giorgio Bassani: The glasses with the golden rim – A text analysis

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Vorbemerkung:
Eine Textanalyse muss ihre Behauptungen immer am Text belegen können. Die Frage: Wo steht das? ist unumgänglich. Nun sagen Schriftsteller nicht alles ausdrücklich. Man muss dann die Implikationen, das Eingeschlossene, ausdrücklich machen. Dabei handelt es sich um logische Prozeduren.
Natürlich kann man zu Texten und ihrem Personal Meinungen haben. Aber Meinungen ohne Belege bleiben immer subjektiv, denn sie sind von Gefühlen, Vorurteilen usw. durchsetzt. Bei einer Textanalyse geht es nicht um subjektive Meinungen, die ganz unterschiedlich sein können.
Eine Textanalyse ist ein Verfahren, das die objektive Bedeutung eines Textes herauszufinden sucht. Meine Analyse ist nur soziologisch, nicht psychologisch. Die Psychologie verwendet andere Kategorien als die Soziologie.
These: Die Erzählung thematisiert die Einsamkeit – als Folge der Ausgrenzung – an drei Personen: Dr. Fatigati, Davide Lattes und Eraldo Deliliers. Die Gründe für die Einsamkeit sind ganz verschieden. Die Erzählung ist mit dem Roman der Reiher vergleichbar. Das Finale der Vereinsamung ist der Tod. Ausgrenzung, Vereinsamkeit, Tod.

Die Brille mit dem Goldrand

Die allgemeine Atmosphäre des (gesellschaftlichen) Fiebers im Jahre 1919 war für den Venezianer Fadigati in gewisser Weise günstig. (S. 7) Er konnte leicht Wurzel fassen (S. 8) Während die anderen, die noch keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hatten, in die faschistische Partei gingen, hatte Dr. Fadigati 1925 in Ferrara bereits fest Fuß gefasst. (S. 8)
Dr. Fadigati kam also als Fremder aus Venedig, das – im Vergleich zu Ferrara – als ehemaliges Bordell und die Spielhölle Europas (vgl. Casanova) noch immer als unsolide galt.(Kontext-Wissen) Schon hier wird Dr. Fadigati mit dem Hauch des Anrüchigen umgeben. Er erweckte Vertrauen, aber nur auf den ersten Blick. (S. 8) Seine durch ausgesuchte Kultiviertheit (S. Zeitschriften, Bilder, Wagner (S. 10) demonstrierte Solidität scheint etwas zu verdecken: Ja , es gab an Fadigati irgend etwas, das nicht ganz verständlich war (S. 11) Man sah ihn in unbürgerlichen Gegenden (S. 12) und war der Meinung, dass er so schnell wie möglich heiraten müsste (S. 13) und einen Hausstand gründen. (S. 13) Dr. Fatigati erscheint als ein Junggeselle, der wie alle unverheirateten Männer der bürgerlichen Ordnung gefährlich ist. Wer einen Hausstand gründet, gilt als integriert, als ordentlich, anständig und kontrollierbar.
Die Bürger Ferraras waren also zunächst durchaus bereit, den Fremden in die Gesellschaft aufzunehmen. Zu seiner Integration hatte der Doktor ja schon selber viel getan: er war Mitglied der beiden wichtigsten Bürgerklubs und sogar Mitglied der faschistischen Partei. (S. 14) Als Gerüchte aufkommen, üben die Bürger Nachsicht. (S. 15) Man war nachsichtig, weil der Doktor Stil hatte, weil er sich größte Mühe gab, keinen Anstoß zu erregen. (S. 16) Und deutlich: Fatigati trug durch sein formell einwandfreies Benehmen selbst dazu bei, eine Atmosphäre so weitgehender Duldsamkeit um sich zu schaffen. (S. 18) Obwohl er Junggeselle blieb, wahrte er doch den Schein – und das gilt in einer bürgerlichen Gesellschaft bekanntlich viel. Man war tolerant. Erst als Deliliers, der Student aus kleinen Verhältnissen, im Zug bemerkt, Dr. Fatigati sei ein alter Päderast (S. 26), ist die Sache auf dem Tisch. Delilier sagt die Wahrheit, die Bourgiosie wahrt den Schein.
Dr. Fadigati betrachtet durch das Zugfenster die Menge der einfachen Leute mit dem Ausdruck gramvollen Neids in seinem Gesicht, mit sehnsüchtigen Blicken, als sei er ein Häftling auf dem Transport. (S. 26) Obwohl er so wohlhabend und kultiviert ist, sehnt er sich offenbar nach dem Umgang mit einfachen Leuten, wo er vielleicht glaubt, nicht den Schein wahren zu müssen. Er möchte gern dazu gehören, fühlt sich ausgeschlossen (Häftling). Hier wird angeschlagen, was später deutlich ausgesprochen wird: Er ist einsam. (Die Thematik, die später in „Der Reiher“ noch stringenter durchgeführt wird.)
Im Zug mahnt er die Studentin Bianca während einer Diskussion: Signorina, seien Sie freundlich, seien Sie etwas nachgiebiger. Das ist die Rolle der Frau, nicht wahr? Dabei wirft er ihr einen Blick zu, in dem etwas Komplicenhaftes liegt und eine gewisse Solidarität. (S. 30) Damit ist angedeutet, welche Rolle Dr. Fatigati er in einer homosexuellen Beziehung einnimmt. Es ist der grausame Deliliers, der vielleicht auf Grund seiner einfachen Herkunft, nicht daran denkt, den Schein zu wahren, (S. 31) und eine harmlose Erzählung Dr. Fadigatis unterbricht: Erzählen sie uns lieber von den beiden Gärtnerburschen. Was haben sie mit Ihnen gemacht? (S. 34) Das wirkte auf den Doktor wie eine gewaltige Ohrfeige. (S. 35) Dr. Fadigati beging einen neuen Fehler (S. 36), indem er den Studenten im Zug Brötchen und Kekse spendiert. Je unhöflicher Deliliers war, umso größere Anstrengungen machte er, ihnen sympathisch zu werden. (S. 37) Ein eitler Versuch. denn es gelingt ihm nicht dazuzugehören. Als er schließlich sogar vom Triumph unserer Legionäre spricht, um sich den – vermeintlich – faschistischen Studenten angenehm zu machen, wird er brüsk abgewiesen. Dr. Fatigati macht also große Anpassungsanstrengungen. Und leuchtete in seinen Augen nicht eine bittere Genugtuung, eine verblendete Freude? Hier wird nahegelegt, dass Dr. Fatgatis Homosexualität eine masochistische Komponente haben könnte – ähnlich wie der Hund, der ihm später zulaufen wird.
Ganz wie der Grundbesitzer Edgardo Limentani in „Der Reiher“ sich nach der Wärme der Gemeinsamkeit mit den einfache Leuten sehnt, aber nicht zu ihnen gehören kann, weil er ein Herr bleiben will, sehnt sich Dr. Fadigati nach dem Umgang mit einfachen Menschen, zu denen er aber nicht gehören kann, ohne seine gesellschaftliche Stellung zu verlieren. Soweit die Ähnlichkeit beider Protagonisten. Im Unterschied zu Limentani scheint Dr. Fatigati sein Unglück zu genießen. Als Deliers vom Boxen spricht, das Dr. Fatigati abscheulich findet, sieht man doch in seinen Augen das Aufleuchten eines geheimen Glücks. (S. 40) Ein weiterer Hinweis auf den Masochismus. Schließlich macht Deliliers unverschämte, obszöne Andeutungen. Er zeigt auf seine Hose und schlägt vor allen anderen dem Dr. vor, ihn in der Zugtoilette zu untersuchen (S. 41,42)

Da der Doktor seine Neigungen öffentlich gemacht sieht, bekennt er sich dazu und sitzt bald darauf in einem Café neben Deliliers. (S. 43) Er hat es aufgegeben, den Schein zu wahren und verzichtet damit faktisch auf eine charakteristische Eigenschaft der Bürgerlichkeit.

Eraldo Deliliers pfeift darauf, den Schein zu wahren. Er leistet es sich, ordinär zu werden. Er ist der regionale Boxmeister, und wird auch in den Studentenkreisen, nicht nur geliebt, sondern geradezu vergöttert. (S. 39) Er war in Ferrara so etwas wie ein Star und hatte damit einen Ausnahmestatus, der ihm die Anpassung, die er als Aufsteiger hätte erbringen müssen, erspart. Er leistete sich Gangster-Allüren (S. 40). Doch ist der Status eines Stars prekär, er kann jederzeit untergehen. Auch Deliliers ist einsam, was im Film deutlicher betont wird als im Roman.(S. Im Film werden die Motive offenbar, die ihn dazu führen, den Doktor auszunutzen: er will raus aus Ferrara, am liebsten nach Amerika. Obwohl seine Mutter alles tut, um ihn auszustatten, erreicht er nicht den Status eines bürgerlichen Studenten. Dass auch er einsam ist, zeigt die späte Szene im Café, als Davide Lattes den Dr. Fatigati telefonisch zu erreichen sucht, ohne Deliliers einen Blick zu schenken.)

In dem Badeort Riccione nimmt der Doktor keine Rücksicht mehr auf seine gesellschaftliche Stellung. Man spricht von einer skandalösen Freundschaft (S. 44) als die beiden in einem roten Sportwagen herumfahren, den der Doktor Deliliers geschenkt hat. 
Signora Lavezzoli, das Sprachrohr der öffentlichen Meinung Ferraras, empört sich nicht darüber, dass Dr. Fadigati offensichtlich schwul ist, sondern dies hier zur Schau stellt. (S. 48) Er hätte den Schein wahren müssen. Deshalb nennt sie ihn einen Schweinigel. (S. 48) 
Als der Vater des Ich-Erzählers ankommt und den Doktor in Unkenntnis der skandalösen Situation in das Badezelt der Familie einlädt, fühlte er sich wieder aufgenommen von der Gesellschaft gebildeter und wohlerzogener Menschen, der er stets angehört hatte. (S. 51) Aber natürlich kann er es kaum glauben. Und als die intrigante Signora Lavezzoli, eine Verehrerin des Duce, den Doktor fragt, wo sein junger Freund sei, nachdem sie ihn mit einer giftigen Bemerkung über die Unzertrennlichkeit gedemütigt hatte, (S. 56) realisiert Fadigati, wie es um ihn steht. Mitleidig sagt der Vater: Armer Teufel. (S. 57) Der Schein ist endgültig kaputt, die Wahrheit öffentlich. Das ist das Werk Deliliers. Deliliers, der vergötterte Boxchampion ist rücksichtslos und passt sich der Bourgeoisie nicht an wie Dr. Fatigati es immer wieder tut. Deliliers, im Wortsinne ein Mann der Faust, zerreißt den Schleier, mit der die Bourgeoisie ihre Laster zu verdecken pflegt.

Signora Lavezzoli bringt nun in der Diskussion um den Duce und den Faschismus das zweite Motiv ins Spiel, die jüdische Frage, indem sie dem Vater des Ich-Erzählers – Dr. Bruno Lattes – den antisemitischen Artikel eines gewissen Padre Gemelli zu lesen gibt, der die Judenverfolgung als Zeichen des göttlichen Zorns erklärt. (S. 61) Davide steht auf und geht. Der vom Doktor so schmerzlich vermisste Deliliers ist inzwischen von einer Autotour zurück-gekehrt und bietet Davide eine Tour mit zwei Mädchen an. Er bittet geradezu flehentlich, um – wie Davide vermutet, nicht als schwul zu gelten, was Deliliers sich auch als Star nicht leisten konnte. Auch er wäre aus der Gesellschaft unerbittlich ausgeschlossen worden. Davide lehnt ab. Ich wenigstens hatte ihn nicht betrogen, sagt er sich, er hatte Dr. Fatigati, dessen grenzenlose und unheilbare Einsamkeit (S. 64) er erkennt, nicht allein gelassen, er setzt sich zu ihm. An dieser Stelle beginnt die Verflechtung der Schicksale der beiden zukünftigen Freunde, denn beide erfahren die gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung, Dr. Fatigati als Homosexueller, Davide Lattes als Jude. Ihre Freundschaft basiert auf dieser schrecklichen Gemeinsamkeit. Der erste Teil des Buches endet mit dem großen Skandal, als Deliliers dem Dr. Fatigati, der ihm Vorhaltungen macht, auf dem Ball ins Gesicht schlägt, und, nachdem er alles aus dem gemeinsamen Zimmer mitgenommen hat, verschwindet.

Im 13. Kapitel beginnt der zweite Teil mit dem Beginn der antisemitischen Verleumdungs-kampagne in Folge der Rassegesetze von 1938. Während Signora Lavezzoli den Juden die Schuld an der Kreuzigung Christi anlastet, versteifte sich Vater Bruno Lattes darauf, die patriotischen oder geradezu faschistischen Verdienste der italienischen Juden aufzuzählen. (S. 75) Die Lavezzoli gibt zu verstehen, dass die Juden nicht dazugehören, Vater Lattes beteuert, dass sie dazugehören. Davide fühlt das grausame Gefühl des Ausgeschlossensein (S. 76) Nino Bottechiari, ein Schulfreund, teilt ihm mit, Deliliers habe ihm aus Paris einen zynischen Brief geschrieben, wo er ihm sagt, er habe bei Dr. Fatigati nur einen richtigen Coup landen wollen. (S. 80) Nino fragt ihn um einen Rat: Gino Cariani, der Sekretär des faschistischen Studenten-verbandes, habe ihm angetragen, den Posten des Kulturreferenten zu übernehmen (S. 84, 85) Das heißt, der Karriere wegen lief ein alter Freund zu den Faschisten über, aus Opportunismus. Davide fühlt sich ausgeschlossen und in nicht wieder gutzumachender Weise nicht dazugehörig. (S. 81) Er spürt einen tiefen Hass gegen alles, was goiisch ist. Die Gojim würden sie bald wieder ins Ghetto sperren. Nino dagegen war überzeugt, dass bei uns der Antisemitismus niemals Wurzeln fassen würde. Wir sind zu alt, glaube es mir, zu skeptisch und zu erfahren. Es lebe unsere jahrtausendealte lateinische Weisheit. (Diese Rolle Ninos wird im Film von Davides jüdischer Freundin Nora übernommen, die sich auf dem Ball an den Tisch von Italo Balbi setzt, des berühmten Ferrareser Faschisten der ersten Stunde und vielleicht mächtigsten Mannes hinter Mussolini. Er gilt als Freund der Juden und ist mit dem jüdischen Podestà Ravenna befreundet.) Und Nino argumentiert weiter, die Juden gehörten in Ferrara zum vornehmsten Bürgertum, das Rückgrat dieses Bürgertums. Allein, dass die meisten Juden Faschisten waren, bewies ihre vollkommene Solidarität und Verschmelzung mit der Umwelt. (S. 83) Es sei unmöglich, in Ferrara eine Rassenpolitik durchzuführen. (S. 84) Hier charakterisiert Bassani die Naivität der jüdischen Bourgiosie, die sich in ihrer Integriertheit vor dem geschützt glaubte, was die Nazis in Deutschland vollbrachten. Die Sympathie Italo Balbis für die Juden mag dazu beigetragen haben.
Im Film sagt Davides Vater, der ebenso naiv ist: „Deutschland ist Deutschland, Italien ist Italien“ und kommt dann auf die italienische Tradition und Kultur zu sprechen. Erst wenn man diese Gutgläubigkeit versteht, weiß man, was mit dem Ausdruck Zivilisationsbruch gemeint ist. Nino und Dr. Bruno Lattes sind zwei Varianten des jüdischen Bürgertums, das sich in Ferrara gegen den Faschismus nicht gewehrt hat. Elitärer, zynischer Opportunismus und naive Gutgläubigkeit. Beides ist für Bassani kritikwürdig. Davide verstellt sich gegenüber dem Freund und rät ihm, den Posten zu übernehmen. Ich hatte mich bemüht, nichts von dem zu zeigen, was ich wirklich empfand. (S. 86) Denn der Feind war schon ganz nah – im Freund nämlich.
Davide trifft in den Straßen wieder auf Dr. Fadigati, der alt geworden ist und verwahrlost. Eine Bastardhündin folgt ihm und wenn er sie zu verscheuchen suchte, erwiderte sie seine Drohgebärden mit einem feuchten, angsterfüllten Blick von unten, während sie verzweifelt mit dem Schweif wedelte, bereit sich ganz seiner Gnade anheimzugeben.(S. 88) Das Gebaren der Hündin erinnert an Dr. Fatigati selber, der sich im Zug an die Studenten herangemacht hatte, umso mehr, je mehr er abgewiesen wurde. Die Konstruktion ist ähnlich wie die in Der Reiher, wo der Grundbesitzer Limentani sich mit einem verletzten Reiher identifiziert. Die Hündin schien sagen zu wollen: Schlag mich, bring mich um, wenn du willst. Es ist nur gerecht, und außerdem gefällt es mir. (S. 91) Man erinnert sich, dass Dr. Fatigati der Studentin Bianca einen komplicenhaften Blick zugeworfen hatte (S. 30), weil er in homosexuellen Praktiken wohl die Rolle einer Frau einnahm. Die Hündin verhält sich masochistisch wie der Doktor selbst. 
Dr. Fatigati, der seinen Chefposten im Krankenhaus verloren hat und von den Patienten gemieden wird, ist vollkommen einsam (S. 90), die Folge der Ausgrenzung. Als Dr. Fatigati sich fragt, ob man vielleicht wie die Hündin seine Natur akzeptieren sollte, antwortet ihm Davide, das sei geradeso, als würde man als Italiener akzeptieren, nur Jude zu sein (S. 91). Davide wehrt sich dagegen, als Bürger nur auf das Judesein reduziert zu werden, während Dr. Fatigati geneigt ist, diese Reduktion zu akzeptieren. Das könnte etwa heißen, als Italiener mit dem Judenstern gekennzeichnet zu werden und also die Rolle des Opfers einzunehmen. Dr. Fatigati, der Masochist, kann sich nicht mehr ertragen. Davide dagegen lehnt sich auf. (S. 92) Er ist überzeugt, dass er auf Hass mit Hass antworten würde. Homosexualität und Judesein werden hier miteinander parallelisiert: Sie wären sonst nicht mit mir zusammen, sagt Dr. Fatigati (S. 92) Aber der eine ergibt sich, der andere wehrt sich. Davide scheucht den Hund davon (S. 92) Weg da! , dessen winselndes Wesen er nicht länger erträgt – mitgemeint ist – ungesagt – auch Dr. Fatigati, mit dem er sich dann locker verabredet. Als Dr. Fatigati sich nicht meldet, sucht Davide ihn im Kino, im Club. Er war nicht da. (S. 98) Zuhause verkündet sein Vater strahlend große Neuigkeiten. (S. 101) Der jüdische Rechtanwalt Geremia Tabet, der die Freundschaft des Polizeichefs Bocchini genießt, berichtet ihm von einem Gespräch, in welchem dieser ihm versichert: Ich bin dazu ermächtigt, Ihnen zu garantieren, dass es in Italien nie zu einer Rassengesetzgebung kommen wird. Der Duce dulde ein bisschen Antisemitismus nur aus Gründen der Außenpolitik (S. 103) Davide kann die Hoffnungen seiner Eltern nicht teilen, er ist verzweifelt, weil er seinen Vater so glücklich sieht. (S. 104) Weil sein Vater sich wie ein Kind freute, dass er wieder ins Klassenzimmer aufgenommen wird, in die Gesellschaft seiner lieben Kameraden. Sein naiver Vater glaubt, er gehöre wieder zur Gesellschaft, Davide dagegen hatte das Gefühl einer vollkommenen und endgültigen Einsamkeit. Da liest er in der Zeitung vom Tode Dr. Fatigatis, welcher der Einsamkeit zu entkommen suchte, indem er ins Wasser ging. Indem er sich selber umbringt, vollzieht er das, was die Gesellschaft noch nicht wagt. Als Masochist verachtet er sich ja und vollstreckt das Urteil der Gesellschaft. Das ist Selbtmord, nicht ein Freitod wie bei Limentani.
(S. Im Film geht Dr. Fatigati durchaus entschlossen ins Wasser, eine Haltung, die entfernt an Limentani erinnert, der ja wirklich die Freiheit im Tod sucht.)
Einsam ist Davide auch, weil sein Vater ein überzeugter Faschist ist und allein darunter leider, dass er als Jude ausgeschlossen wird, er ist wie ein Kind, das nicht mitmachen darf. Der Totalitarismus, der die Freiheit zerdrückt, scheint ihn nicht zu stören.

Die Vereinsamung als Ausdruck der Ausgrenzung wird an 3 unterschiedlichen Personen thematisiert: Dr. Fatigati vereinsamt als Homosexueller, Davide als Jude und Deliliers als Star, der als solcher nie wirklich dazugehört.
Der Selbstmord des Doktors ist ein Fanal, insofern er andeutet, welches Ende es auch mit jüdischen Menschen nehmen kann, wenn … und eben das bleibt offen. Wir wissen nicht, ob Davide in den Widerstand geht. Aber die Bemerkung, dass er die Gojim zu hassen beginnt, weil sie ihn als Italiener auf den Juden reduzieren, legt diese Lösung nahe.

Etiamsi omnes, ego non.