Michael Reiters elastische, federleichte "Rocking Stereometry" in der Frankfurter Galerie Detterer
Spinnen!" denkt man angesichts der fragilen, federnden Gebilde – Weberknechte, die auf langen, dünnen Beinen heranstelzen. Denn die stereometrischen, luftigen Farbwürfel wirken klein im Verhältnis zu der Bambuskonstruktion, die, wenn man sie berührt, leise schwankt. Kleine "Spinnen" haften an den Wänden, bereit, in den Raum zu schnellen, wenn man sie berührt. Es ist eine latente Dynamik in den Konstruktionen – eine noch nicht realisierte Bewegung, das heißt Spannung.
Die Würfel aus rosa, gelbem, weißem, blauem Tuch oder Luftpolster-Folie, gehalten in einer Konstruktion aus mehreren gekrümmten, bis zu sechs Meter langen, längs gespaltenen Bambusrohren, sind jeweils an ihren acht Ecken mit gleichfarbigen, schmalen Bändern so an den Bambusrohren befestigt, dass deren Krümmung das Tuch nach dem Prinzip des Regenschirms aufspannt. Die Bambusstangen sind mit Draht locker verbunden. Die elastischen Gebilde, die wegen der Krümmung nur punktuell auf dem Boden (oder an der Wand) aufliegen, sind federleicht, und es wäre nicht verwunderlich, wenn das Ganze abhöbe. Man wird auch an frühe Flugmaschinen und Drachenkonstruktionen erinnert.
Frei Otto arbeitete bei seiner berühmten Netzkonstruktion des Münchener Olympiastadions mit Spannung als Bauprinzip – das Gegenteil von tragenden Säulen. "Spannung" hat der Künstler Michael Reiter – orientiert an der Konstruktion des Regenschirms und des Zelts - schon in vielen Varianten thematisiert. Seine "Spinnen" sind nach Kriterien avancierter Architektur gearbeitet: Spannung, Gewicht, Balance. Dabei entsteht die Spannung der Bambusstangen durch den Tuchwürfel, der sie hält, und dass der nicht in sich zusammenfällt, hängt wiederum ab von der Spannung der Stangen, kurz: Das Gerüst und der stereometrische Farbkörper – ein durchleuchtetes Stück Farbe – bedingen einander wechselseitig.
Leichtigkeit und Luftigkeit sind Eigenschaften aller Arbeiten des Künstlers und verleihen ihnen eine Anmut, die man eher von der Hochseilakrobatik kennt, bei der ja Spannung, Gewicht und Balance - und Risiko - eine große Rolle spielen. Die leichten, lichten, wie improvisierten Gebilde stehen in Gegensatz zu schweren, bodenständigen Skulpturen und Bauten. Ihre ephemeren Eigenschaften verleihen den Objekten das, was Skulpturen selten haben: Poesie. Reiter kommt übrigens – wie viele gute Künstler, die ihre Herkunft reflektieren –, von der Malerei: Das gespannte Holz erinnert an den Bilderrahmen, das farbige Tuch an die Leinwand.
"Rocking Stereometry" heißt die Ausstellung, die an "Swinging Geometry" anschließt, als der Künstler drei sich fortwährend überraschend verändernde Quadrate aus feinen Karbonröhrchen über die Wände der Galerie wandern ließ. Nun gerät auch hier das System des rechten Winkels – paradigmatisch für Architektur und Technik – ganz heiter ins Wanken.
Ausstellung: Galerie Martina Detterer, Frankfurt am Main, Dezember 2010.