Saul Steinberg

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Saul Steinberg hat für den „New Yorker“ – das traditionelle, spöttische Intellektuellenblatt der Welt-Metropole – wer weiß wie viele, meist colorierte Covers gezeichnet. Seine Besonderheit liegt in dem soziologischen, mitunter philosophischen Blick, der ihn von anderen Künstlern unterscheidet. Für eines seiner Bücher wählte er den Titel „Der Inspektor“, also wörtlich, der, der hineinsieht. Harold Rosenberg, der berühmte New Yorker Kunstkritiker, spricht von Steinbergs „unerschütterlicher Neugier.“ So haben Steinbergs Cartoons den Charakter von soziologischen Apercus zu den Merkwürdigkeiten der modernen großstädtischen, im besonderen der amerikanischen Gesellschaft. Unverblümt politisch war seine Kunst nur, solange er Karikaturen gegen den Faschismus zeichnete. Später parodiert er oft grundlegende soziale Beziehungen als Macht – und Herrschaftsverhältnisse – manchmal solche, die sich in der Kommunikation ausdrücken – hier ein paar einleitende Beispiele für den soziologischen Blick:

* die Beziehung zwischen Mann und Frau
(Kater reden mit Vöglein, Party, starke Männer tragen Frauen)
Beute, Ohnmächtig, Stöckelschuhe, Lilienfüße, Schwache Geschlecht, Grundsätzliche Schwäche der Frauen, Tür aufhalten, Mantel anziehen
(Geometrie gegen Blümchen, Computerfachmann und Leserin von Frauenromanen)

* zwischen Eltern und Kindern
(ritsch-ratsch)

* zwischen Untergebenen und Vorgesetzten
(Kater als Chef und Vöglein vorm Schreibtisch)
Raubtier + Beute, keinePartnerschaft
(Sprache des Chefs als Schraubstock), eine zwingende Argumentation, es handelt sich nicht nur um Sprachgewalt im Sinne eines Befehls, sondern um eine zwingende, durchaus kultivierte Argumentation. Oft kommt es vor, dass ein Angestellter sich gegen die Argumente des Vorgesetzten nicht wehren kann, weil er nicht wie dieser – auf Gymnasium oder Universität – das Argumentieren gelernt hat. Das Argumentieren ist seinem Wesen nach eine demokratische Wechselrede mit gleichen Waffen, die – und das ist wichtig – immer unterstellt, dass auch der andere Recht haben könnte. Im Bild benutzt der Chef das urdemokratische Instrument schlicht, um seine Herrschaft durchzusetzen. Ein Paradox.

* zwischen Soldaten und Zivilisten
(Bahn frei)

* zwischen Vernunft und Unvernunft
(Würfel verschluckt Irrationales) Wie man sieht, wird das Irrationale hier nicht zerstört, aber seines willkürlichen Wesens beraubt.

1. Biographisches

Steinberg, in seinen Anfangen Cartoonist, entwickelte sich nach und nach zu einem Künstler, der nicht nur in der Kunstgeschichte zuhause war, sondern auch die zeitgenössische Kunst genau verfolgte. Er kannte viele der großen Maler persönlich. Besonders mochte er Paul Klee und Rene Magritte.
Zuletzt dachte er über seinen Arbeitstisch, sein Lineal, seinen Bleistift und seine Tuschfarben nach – mit den Mitteln des Zeichners. Damit reiht er sich in die Tradition der Maler ein, die in ihrer Kunst ihr Handwerkszeug, die Leinwand, den Bilderrahmen usw. reflektieren

(Arbeitsutensilien auf Tischplatte)

In der Kunstwelt war Steinberg sehr geschätzt. Er stellte Gouachen und sogar Ölbilder in den besten Galerien (etwa Sidney Janis) aus – auch im MoMA, 1978 im New Yorker Whitney-Museum. Die intelligentesten Köpfe haben über ihn geschrieben – von Artbur C. Danto bis Italo Calvino oder Michel Butor.
Die hintergründige Lakonie seiner Arbeit ist leicht an der Zeichnung zu erkennen, die heute überall herum hängt (Horizont, 9th Avenue). Sie wurde zu Steinbergs Ärger oft kopiert: die Aussicht von der vornehmen 9th Avenue auf die Welt. So knapp hielt Steinberg den New Yorkern, die sich mit einigem Recht für das Zentrum der Welt halten, ihr beschränktes Weltbild vor.

(Little Big City) auf Frankfurt beschränkt


2. Biographisches

Saul Steinberg wird 1914 in Rumänien in der Nähe von Bukarest in eine verzweigte jüdische Handwerkerfamilie hineingeboren. Sein Vater ist Drucker, Buchbinder und Bonbonschachtel-Fabrikant Steinberg geht in eine strenge Lateinschule – in seinen Zeichnungen tauchen später immer wieder lateinische Wörter auf. An der Universität von Bukarest interessiert er sich für Philosophie und Literaturwissenschaft, ein Interesse, das all seine Arbeiten prägt. Er sagte einmal, er sei eigentlich Schriftsteller, der sich mit der Linie ausdrücke, weil er es in Worten nicht könne.
1933 geht er – 19-jährig – nach Mailand, um Architektur zu studieren, auch dieses Interesse bleibt

(Bahnhof, Schubladenbau) (vgl. Schränke mit Hausfassaden) Aus jener Zeit stammt auch sein faible für Art Deco
(Straßenschlucht), diesem aus dem Kubismus entwickelte Stil der 20er und 30er Jahre, der in den USA bis in die 40er Jahre Design, Architektur und Mode prägte und recht gut auch das Tempo ausdrückte, die das urbane, amerikanische Lebensgefühl charakterisiert.

Steinberg beginnt mit der Veröffentlichung von Karikaturen
(Das bin ich ja gar nicht) in dem Mailänder Magazin Bertoldo und zeichnet wenig später für Life und Harpers Bazar. Schon mit dieser ersten Zeichnung in Bertoldo thematisiert er ein großes Thema: die Identität, das er in vielen Arbeiten variiert, die ich Ihnen gleich zeigen will.

1941, das ist die Zeit des Faschismus. (Hitler)

Die deutschen Rassegesetze von 1938 greifen in Italien erst etwas später. Aber auch hier werden jüdische Schüler, Studenten und Lehrer von allen Schulen ausgeschlossen. Sogar in seiner Promotionsurkunde – er promoviert 1940 über Architektur – findet Steinberg den Vermerk „ebraico“ also „hebräisch“. Er entschließt sich, nach den USA auszuwandern. 1941 verlässt er Italien und geht nach Lissabon, wird zurück geschickt, verhaftet und interniert, wird entlassen und flieht über Barcelona zunächst nach Santo Domingo, wo er – in Erwartung der Einwanderungserlaubnis – beginnt, für den „New Yorker“ zu zeichnen. Nach New York gelangt er aber erst 1942. Er beginnt sofort, das Land mit unzähligen Busreisen im Greyhound zu erkunden

(flache Landschaft, beschränkter Horizont, Provinzkaft)

Geistige Beschränktheit drückt Steinberg mit einer einzigen Linie aus – eben der beschränkte Horizont.

(Horizont, Flache Welt, die Erde ist eine Scheibe) ohne Hindernisse, Hafen, Business-Perspektive

Und er meldet sich noch im gleichen Jahr zum Kriegsdienst, woran auch zu erkennen ist, dass es ihm mit der Integration ernst ist. Steinberg bemüht sich stets, die USA als sein Vaterland zu verstehen, aber das gelingt ihm nur mit den Augen des Fremden, d.h. des Unangepassten. Als er ankam, konnte er zwar Latein, aber kein Englisch. „Das Gefühl des Andersseins“, so hat Paolo Ravenna, als er die Schule in Ferrara verlassen musste, das erste Bewusstsein davon genannt, jüdisch zu sein. Ein Gefühl, das sich nicht verliert und das auch Saul Steinberg nie verloren hat, wenn er auch seine jüdische Herkunft nie zum Thema macht. Seine europäischen Wurzeln kann und will er nicht verleugnen. Harald Rosenberg:“ Hartnäckig blieb er dabei, immer wieder von neuem einzuwandern und hat sich so das Staunen des eben Angekommenen bewahrt.“ Das gibt seinen Zeichnungen eine Mischung, die in New York, wo die europäischen Intellektuellen seit jeher Fuß zu fassen suchten – und das besonders in jener Zeit, als die jüdischen Flüchtlinge dort in Ellis Island ankamen, großen Anklang findet, denn die gebildeten Immigranten verstehen die Sichtweise seiner reflektierten Zeichnungen sofort.
Die Air Force entsendet ihn 1943 als eine Art Berichterstatter nach China. Von dort schickt er Zeichnungen, deren Lakonie die New Yorker begeistert, die ja stets eine Vorliebe für die kurze, treffende Bemerkung haben. Der Krieg führt Steinberg auch nach Indien, Nordafrika und Italien.

Diese Zeichnungen zeigen, ohne ausdrücklich kritisch zu sein, das naive Auftreten der amerikanischen GIs als Vertreter einer Großmacht (Einkauf, Hotelzimmer, überall Diener, wie man eine Schlange tötet, Autoreparatur) archaische, statische Gesellschaft, Westmenschen reparieren ihre Mobilität 1945 erscheint „All in Line“ , sein erstes Buch, in dem er die Zeichnungen aus dieser Zeit zusammenfasst. Es wird ein ungeheurer Erfolg.


3. Identität

Anders als die naiven, selbstsicheren GIs im Ausland, denen die zivilisatorische und militärische Überlegenheit der USA das Gefühl einer selbstverständlichen und missionarischen Überlegenheit verleiht, fragt sich der zur Vorsicht angehaltene Einwanderer, der im neuen Land noch vieles nicht versteht, „Wer bin ich?“ Diese Frage stellt Steinberg nicht als eine psychologische, sondern als eine soziologische Frage, d.h. als eine Frage nach der Eigenwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung. Als Einwanderer hat Steinberg es zunächst mit der Bürokratie zu tun, ohne gestempelte und beglaubigte Papiere ist er ein Niemand, d.h. er existiert nicht. Sollte er angenommen haben, dass er schon jemand ist, muss er das revidieren (durchgestrichen),
Immerhin nimmt er diesen Akt der Annullierung selber vor, zuvorkommend sozusagen. Er „macht sich weg“, erledigt sich selbst mit einem Federstrich. Man sagte Steinberg nach, er habe einige Stempel und Unterschriften seiner Einwanderungspapiere gefälscht. Ernsthaft widersprochen hat er nicht. Fälschungen, also Darstellungsweisen, die Dinge und Personen absichtsvoll anders aussehen lassen, als sie sind, das musste ihn interessieren, für den die Identität, das Verhältnis von Eigen – und Fremdwahrnehmung, Selbstdarstellung und Selbstinszenierung ein aktuelles Problem war – beim Versuch, sich zu integrieren.

Mit gültiger Identität versehen wird man schließlich durch den Fingerabdruck, der einen als natürliches Objekt registriert, egal, was man sagt, wie man aussieht, was man hat, was man kann. Es ist eine objektive Identifizierung, die unser veränderliches soziales Selbst völlig ignoriert. (Fingerabdrücke mit einem Pfeil) Der Pfeil, der sich auf den Fingerabdruck stürzt, besagt: „Der da!“ „Das ist er“, „Wir haben ihn“. (Großer Fingerabdruck) Das Gesicht des Menschen ist nur noch sein Fingerabdruck, egal ob er gewinnend lächelt, um den Beamten menschlich zu stimmen, der ihn wortwörtlich – ohne Ansehen der Person – registriert. So ist er habhaft gemacht, kontrollierbar und verwendbar, aber immerhin: er existiert objektiv. Diese Zeichnungen zeigen, wie der Staat dem Einwanderer als mächtiger und gleichgültiger Apparat gegenübertritt. Seitdem sind bekanntlich die Kontrollmechanismen auch des demokratischen Staates perfektioniert worden – weit über das hinaus, was George Orwell für 1984 als bedrohliche Utopie entworfen hatte. Verständlich, dass die glücklichen Einwanderer ihre staatliche Identität stolz vor sich hertragen (Männer tragen ihre Fingerabdrücke). „Hier, seht, ich bin registriert – heißt das – ich gehöre dazu.“ Gehöre ich dazu, gehöre ich nicht dazu?“ das ist nicht nur für Juden eine ewige Frage, sondern für jedes Individuum mit unsicherem Sozialstatus innerhalb der Gesellschaft. (All except you). Es ist eine der Hauptfragen des sozialen Lebens, sie wird nur mehr oder weniger scharf gestellt. Gehöre ich zur Clique? ist die wichtigste Frage in der Pubertät. Auch nicht – jüdische Menschen wissen, was Ausgrenzung bedeutet (Mobbing), und wie schön warm es in der Gruppe ist. Das Durchstreichen des Selbst ist – wie der sogenannter Freitod (Selbstmord ist ja ein Ausdruck, der Strafe androht) – ein souveräner Akt des Individuums, und souverän ist auch der Selbstentwurf (Zeichner zeichnet den Zeichner, der zeichnet …) – wie es scheint. Doch wehe und Sieh da! Der anscheinend souveräne Zeichner wird tatsächlich selbst gezeichnet von einem anderen Zeichner, der wiederum von einem anderen gezeichnet wird usw. Die Konstitution des „Ichs“ geschieht also sozusagen von langer Hand und – wie die Zeichnung aussieht – verläuft dieser Prozess kreisförmig, d.h. an der Konstitution meines Ego sind andere ebenso beteiligt wie ich an der Identitätskonstitution der anderen – eine soziologische Tatsache. In den rebellischen 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts sprach man dennoch von „Selbstgestaltung“ und sogar von „Selbstverwirklichung“. Kapitalisten und Lohnarbeiter allerdings glaubte man durch die ökonomischen Verhältnisse determiniert, als unmittelbare Funktionen des Systems waren sie abhängig von ihren Klasseninteressen und galten insofern als mental beschränkt. Karl Marx hatte dafür den Begriff der „Charaktermaske“ gefunden. (Businessmen, Eiserner Chef) Man sieht, sie denken hauptsächlich immer nur an das eine. Kosten senken und Profit!
Naiv erscheinen vor diesem Hintergrund die Männer, die sich selber – oder besser – ihr Image vor sich her tragen als Fahne, Denkmal oder Gemälde
(Männer tragen ihr Image) Wer kennt sie nicht, diese Egomanen. Immerhin sind sie schon ein Stück weiter als diejenigen, die nur den Fingerabdruck herumtragen, denn sie haben schon ein aus Eigen – und aus Fremdwahrnehmung entstandenes inszeniertes Image.
Das Gegenteil des Fingerabdrucks ist die Signatur, die Unterschrift. Hier tritt das selbst-bewusste Subjekt auf (Porträts und Signaturen, Handschrift + Signaturen). Die Unterschrift beglaubigt das Gesagte, das Subjekt ist eine Rechtsperson, hat Rechte, kann klagen, kann sich wehren. Der mündige Bürger bestätigt mit seiner Unterschrift, dass er für das Geschriebene und sein Tun verantwortlich ist. Die Signatur ist die offizielle Bestätigung seines Willens, d.h. seines Ego – im Unterschied zu Fingerabdruck und Image –, und insofern die Unterschrift rechtskräftig ist, ist sie auch praktisch folgenreich. Daraus ist die Manier erklärbar, die Unterschrift nicht nur möglichst groß zu gestalten, sondern auch möglichst schmuckvoll Kleine Beamte hatten oder haben eine besonders große und schöne Unterschrift. Es versteht sich, dass auch die Handschrift selber als aussagekräftig gilt, da die Feinmotorik der Hand von Charakter und mentalen Befindlichkeiten abhängt. Aber ausgeschriebene Handschriften gibt es heute nur noch selten. Steinberg stellt in einer bemerkenswerten Zeichnung die Unterschrift als Autobiographie, d.h. als dargestellte, inszenierte Vita dar, als einen Weg von A nach B. (Signatur als Lebenslauf) Den Weg von A, also der Geburt, nach B, zum Tode, stellt er als gerade Strecke dar (was für ein Leben, man stelle sich vor!), (von A nach B) mal als verschnörkelten Umweg und hier eben auch als Unterschrift, die den Lebensweg beschreibt – eine sehr schöne und dichte Metapher.


4. Die Anderen

Der Konflikt zwischen dem Stück Natur, das wir anfangs sind, und den Anforderungen der Gesellschaft, wird bekanntlich durch die Sozialisation geregelt. Bekommt das Baby seinen Brei schon dann, wenn es vor Hunger schreit oder aber zu festgelegten Zeiten? Die Festsetzung von Essenszeiten ist die erste Anpassung der Natur an die Zeitökonomie des gesellschaftlichen Lebens. Jeder erwachsene Mensch ist mehr oder weniger angepasst – oft so sehr, dass man von einer Standardisierung sprechen kann. Der Mensch ist dann ein hauptsächlich fremdbestimmtes Produkt. Diese bis zur Standardisierung
gehende Anpassung hat Steinberg verschiedentlich dargestellt (geometrisches Ehepaar, geometrische Familie). Vertikale und Horizontale sind die Parameter der Architektur, der Häuser, in denen wir leben. Folglich sind auch Türen, Fenster, Regale, Möbel mehr oder weniger geometrisch organisiert. Die Geometrie symbolisiert die technische Rationalität unserer Welt und Steinbergs geometrische Personen sind folglich Metaphern für die perfekte Anpassung. (Würfels Traum, das E träumt sich - Magritte – als E) Eine andere Zeichnung demonstriert die Beschränktheit des in seine Rationalität eingeschlossenen Menschen und vielleicht auch seinen Kummer angesichts der wilden, bunten Welt da draußen, von der er ausgeschlossen ist (Mann im Würfel) Die Standardisierung auch des Menschen – Massenprodukte – hat in den 50er Jahren der Soziologe David Riesman in seinem weltberühmten Buch „The lonly crowd“ als Konformismus untersucht. Steinberg kannte das Buch gewiss. In den 60er Jahren beschäftigt sich die Soziologie mit der Rollentheorie, die Irving Goffmann mit seinem Buch „The Presentation of Self in Every Day Life“ 1959 begründet hat. Nach dieser höchst folgenreichen Theorie, die den seit dem Barock grassierenden Gedanken systematisiert, die Welt sei ein Theater, in dem wir Rollen spielten, sind die Rollen die gesellschaftlichen Anforderungen, die wir zu erfüllen haben. In den 70er Jahren nimmt Richard Sennett mit „The Fall of Public Man“ die Metapher des Theaters als Abbild und Vorbild unserer Selbstdarstellungen wieder auf. Es ist klar, dass man wie ein Schauspieler seine Rolle mehr oder weniger ausfüllt, es gibt Spielräume und man kann aus der Rolle fallen – als Asozialer – und die Rolle auch in Maßen verändern. Wichtig ist hier die Feststellung, dass wir alle Selbstdarsteller sind, d.h. dass wir unser Selbst gegenüber den anderen mehr oder weniger absichtsvoll einem Stil machen und diesen ausschmücken. Steinberg demonstriert diesen Sachverhalt, indem er die Angehörigen einer Familie in ganz unterschiedlichem Stil darstellt (Familie in unterschiedlichem Stil). Sie sind ganz unterschied­lich nicht als bloße Menschen, sondern als Menschen in ihren Rollen, d.h. als gesellschaftlich bestimmte Menschen. Harold Rosenberg: „Gegenstand seiner Kunst ist der Kunstgriff, die Art und Weise, in der Menschen und Dinge sich zurecht machen oder zurecht gemacht werden, um sich der Welt zu präsentieren“ Die von Steinberg in unterschiedlichem Stil gezeichneten Personen bedeuten selbstredend auch, dass die Verständigung zwischen ihnen nicht leicht ist. (vier Paare in unterschiedlichem Stil, Unterschiedliches Paar auf dem Sofa, Party, viele Personen in unterschiedlichem Stil)
Steinberg war mit der Entwicklung von zeitgenössischer Kunst und Literatur gut vertraut. Er hatte Künstlerfreunde – etwa Alexander Calder – und seine Frau war Malerin. Klar, hat er sich mit der Frage beschäftigt, was es denn eigentlich bedeutet, wenn ein Künstler in seinem Werk unsere in jeder Hinsicht so heterogene Welt durch seinen Stil homogenisiert. Sicher kannte er die Arbeiten von Jean Dubuffet, der in New York großen Erfolg hatte. Dubuffet machte nicht nur Collagen, die Dinge zusammen bringen, die nach dem normalen Verstand nicht zusammen gehören, sondern arbeitete in seinen Bildern in unterschiedlichen Stilen. Da die Welt heterogen ist, d.h. Dinge nebeneinander stehen, die nach den aktuellen Maßstäben nichts miteinander zu tun haben, drücken Dubuffet und Steinberg diese Heterogenität (oder das Durcheinander) aus, indem sie unterschiedliche Stile nebeneinander setzen. In der Literatur hat das James Joyce gemacht, mit dem Harold Rosenberg Steinberg auch vergleicht.
Frauen haben seit je ihre Selbstinszenierung über das Schminken und die Kleidung kultiviert. Wir verdanken Steinberg dazu solche Zeichnungen (zwei Frauen in großer Toilette, vier Frauen aufgetakelt, drei Damen am Café-Tisch, Zwei Frauen im Pelz, Zwei langbeinige Mädchen) Dass auch die Frauen furchtbar aus der Rolle fallen können, hat ihn amüsiert (Frauenprügelei)

Dass Steinberg seinen europäischen Blick behält, bezeugt seine Beschäftigung mit der Maskierung. Der Begriff der Maske unterstellt ja, dass es hinter ihr noch ein lebendiges Gesicht gibt, hinter der Rolle, die wir spielen und spielen müssen, noch ein Selbst. Die Unterscheidung von Sein und Schein ist in der europäischen Philosophie geläufig. In den USA ist die Frage, ob hinter der Selbstdarstellung noch etwas anderes ist, etwas, das wir in Deutschland „echt“ oder „authentisch“ nennen, nicht so selbstverständlich. Die amerikanisehe Sozialisation arbeitet schon von Kind auf mit der Beliebtheit als Gradmesser der Zugehörigkeit. Die Studenten führen Listen, auf denen sie die Einladungen vermerken, die sie im Semester erhalten haben. Die Bemühung „to be popular“ führt zu dem berühmten, für Alt-Europäer noch immer merkwürdigen amerikanischen „keep smiling“, jenes stehen gebliebene Lächeln, das wir als aufgesetzt, d.h. als unecht, als Fälschung empfinden. Steinberg selber blickt immer todernst in die Kamera.

Verkleidung und Camouflage hat Steinberg immer interessiert. Ein berühmtes Foto zeigt ihn mit einer übergestülpten Papiertüte auf dem Kopf, auf die er sein Gesicht skizziert hat. Wie Sie wissen, ging man im 18. Jahrhundert in Venedig das halbe Jahr lang maskiert. Diese Anonymisierung schützte den Maskierten vor der Verantwortung und verschafft ihm also Freiheiten, in der Öffentlichkeit unerkannt Dinge zu tun, für die er nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Ähnlich verhalten sich heute die, welche sich im internet unter einem falschen Namen eine fiktive Identität konstruieren.

Sich selber hat Steinberg einmal so dargestellt, was ja Ähnlichkeit mit der übergestülpten Papiertüte hat: (Kaninchen im Kopf) Das Kaninchen ist ein furchtsames Tier, von Haus aus eine Beute, es hat weder scharfe Zähne noch zupackende Krallen und läuft nur möglichst schnell weg. Steinberg weiß, dass er nicht das einzige Kaninchen – oder Angsthase – ist. Daher werden Kaninchen oft straff geführt (Der Führer und die Kaninchen). Oder aber die kleinen Männer organisieren sich und treten der Macht des Staatsapparates oder des Kapitals auf Augenhöhe gegenüber (viele kleine Männer steigen in einen großen, Gewerkschaften).
Als Zeichen der Bedrohung, also des „gefühlten“ Bösen, verwendet Steinberg – wie im Kasperltheater – das Krokodil.Mit einem Krokodil kann ein Warmblüter sich nicht verständigen, bei einem Löwen gibt's vielleicht noch eine Chance.


5. Zur Methode

So gibt es bei Steinberg eine Reihe wiederkehrender Zeichen, also von Stereotypen, die sich zu einer Art ungefährer Zeichensprache verbinden. Insofern gibt es hier eine Nähe zum Comic, von dem Steinberg auch die Idee der Sprechblase übernimmt. Sprechblasen erstarren bei ihm zu Dingen, die als Substitute von Personen sogar im Hotelzimmer miteinander ins Bett gehen. Wie viele Künstler vermischt Steinberg die in der Alltagspraxis und in den Wissenschaften streng getrennten Realitäten oder Funktionen.

Eine Besonderheit von Steinbergs Arbeiten ist ihre Lesbarkeit. Er selber sagte „Ich bin ein Schriftsteller, der nicht schreiben kann. Die Linie ist meine wirkliche Sprache“ Sagbarkeit und Lesbarkeit außerhalb des Terrains, auf dem Sprache selbstverständlich ist, heißt Literarizität. Wenn man Steinbergs Arbeiten für poetisch, philosophisch oder soziologisch hält, dann unterstellen wir diese Literarizität. Tatsächlich nennt Steinberg sein Publikum „Leser“. Aber wie bei aller guten Kunst und Literatur bleiben bestimmte Stellen dunkel und entziehen sich der Verbalisierung. Harald Rosenberg hat anlässlich der Ausstellung im Whitney-Museum im Jahre 1978 im Katalog den weitaus klügsten Artikel über Saul Steinberg geschrieben (SAUL STEINBERG, bei Rowohlt, ZVAB). Dort nennt er ihn einen Grenzgänger und stellt eine Verwandtschaft einerseits mit Marcel Duchamp und andererseits mit James Joyce fest. Grenzgänger ist Steinberg hauptsächlich in seiner programmatischen Unentschiedenheit zwischen Zeichnung und Literatur. Von Literarizität kann man nur sprechen, solange in den Zeichnungen Gegenstände und Personen erkennbar sind, zwischen denen der Interpret einen Zusammenhang herstellen kann. Steinbergs Zeichnungen sind also im weitesten Sinne narrativ. Seine frühen Arbeiten waren – wie die im Mailänder „Bertoldo“ – mit einem witzigen Spruch unterlegt, die Zeichnung und die Bildunterschrift kommentierten einander wechselseitig und erzeugten die komische Wirkung gemeinsam. Erst später folgten die Zeichnungen ohne Worte, d.h. solche, die das Sagbare in der Zeichnung verschließen. Der Reiz ist ungleich größer, weil das Publikum die Bedeutung selber herausfinden muss. Steinberg bezeichnet seine Zeichnungen als „Rätsel“, das auch mehrere Interpretationen zulässt. Es handelt sich also entschieden nicht um Illustrationen von fassten entschlüsseln müsste. Harold Rosenberg dazu: „Steinberg hat ausdrücklich betont, dass seine eigenen Interpretationen nicht die einzig möglichen sind."

Verschiedentlich spricht Steinberg von der „Komplicenschaft meines Lesers“ und zeigt sich damit auf der Höhe der Zeit: 1968 veröffentlicht Umberto Eco sein für Kunst und Literaturwissenschaften folgenreiches Werk „Das offene Kunstwerk“, das die bis heute gültige Rezeptionstheorie begründet, die nicht mehr – wie die alten Produktionstheorien bei der Klärung der Bedeutung nach der Absicht des Künstlers fragt, die ja schwer festzustellen ist, sondern das Publikum auffordert, selber Interpretationen anzustellen, die allerdings an Hand der Daten des Kunstwerks belegbar sein müssen und sich insofern von bloßen Meinungen unterscheiden. Und schließlich gibt es die Arbeiten, wo Steinbergs Bemerkung, sein Zeichnen sei"das Grübeln der Hand“ wirklich zutrifft. (Maler in abstrakter Landschaft) Denn normaler­ weise grübelt ja der Kopf und die Hand führt nur aus. Wenn die Hand aber selber grübelt, dann unterliegt sie nicht mehr den Anweisungen des Kopfes, sondern zeichnet assoziative Zusammenhänge nach der Art der Collage.
(Foto (Rohre) und Zeichnung, Schrank als Haus, Zeichnung auf Badewanne, Zeichnung auf Stuhl) Die Collage kann durch die Kombination bekannter, aber in Alltagsverstand und Wissenschaft nicht zusammen gehöriger Dinge zuvor nie Gesehenes hervorbringen. Die von der Leine gelassene Hand fuhrwerkt also nicht drauflos, sondern stellt ein Gemenge her, das durchaus explosiv sein kann, insofern die in entlegenen Fächern abgelegten Dinge, die im Alltagsverstand sorgsam getrennt sind, so zusammen bringt, dass man sich wundem muss: so entsteht etwas Neues.


6. the american way of life

Steinberg parodierte mit dem scharfen Blick des Fremden, der bemerkenswert findet, was den Einheimischen längst selbstverständlich ist, den „american way of life“ , der sich von europäischer Lebensart auch heute noch unterscheidet. Da sind zunächst die riesigen Entfernungen, überbrückbar nur durch endlose Highways (leerer Highway), auf denen sich jedoch in der Nähe der Großstadt auch lange Autoschlangen bilden (Autoschlange). Dazu die Autos der 50er und 60er Jahre, riesig und aufgeblasen wie Brötchen (Autos wie Brötchen), in denen man bequem von New York nach L.A. gleitet – bei Radiomusik, Musik, die Steinberg natürlich auch gezeichnet hat. (Musik, Musik) Für die Mobilität – die Freiheit der Freiheiten –, die sich im Auto symbolisch verkörpert, hatte Steinberg, der durch so viele Länder gezogen war, großes Verständnis. Er liebte diese Autos, mit denen er das Land erkundete.

Großstadt

Wie die Soziologen betrachtet auch Steinberg die Großstadt als das Konzentrat der gesellschaftlichen Verhältnisse. Ähnlich wie der französische Schriftsteller Louis-Sebastien Mercier, welcher in seinem Tableau de Paris das Phänomen des Großstädtischen schon vor der Großen Französischen Revolution und als erster in allen Details beschrieben hat, zeichnet Steinberg alles, was großstädtisch ist: die Subway, die Schnelligkeit (schnelle Straße, schnelles Mädchen), die Autolawinen, Polizeisirenen, die Hochhäuser, Moderne Bauten und rasende Flugzeuge, übrigens im Art Deco-Stil, Kreuzung von oben, das Warenhaus, das Stadthaus, aber auch die Hausfrau in ihrer Großstadtküche, (multi-tool, Fernand Leger) und die Spuren der Einsamkeit (Schatten des Einsamen, Einsame Kerle an der Bar). Die letzten 3 Fotos zeigen die Einsamkeit des Großstädters, welche – positiv ausgedrückt – die Anonymität ist, die Schutz bietet. Eine Besonderheit ist für den Europäer auch, dass Warenhaus, in welchem der Psychiater seine Praxis hat. (Psychiater im Drugstore) In der gehobenen Mittelschicht der USA gilt es als normal, so wie man shoppen geht, auch den Psychiater zu konsultieren, der im puritanischen Amerika den Beichtvater der katholischen Länder ersetzt. Muss man nicht einen haben, dem man wirklich alles sagen kann, um sich seelisch zu entlasten?

Zur amerikanischen Lebensart gehört natürlich auch der Westernkult, das Gegenteil des Urbanen, das viele auch als erzwungene Rücksichtnahme auf die anderen – als Beschränkung empfinden, mit der Vorstellung, dass sich Freiheit am besten auf rustikale Weise erleben lässt. Heutzutage sind der Offroader und das Grillen Ausdruck dieses Kults. Im Mythos des Western verbindet sich mit dem Kampf des Guten (das Recht) gegen das Böse (das Unrecht als Diebstahl, Gewalt und Mord) die Freiheitsvorstellung, die unbedingt an die Mobilität (Pferde!!) geknüpft ist.
In den 70er Jahren verliert Steinberg seine Bewunderung für das Urbane angesichts dessen, was sich damals mitten in der City abspielte, Gewalt und Drogen, mitten auf dem Time Square. Schon seinen Hund auszuführen wird unheimlich (Gassi im Dunkeln, Slum und hundige Schnüffler). Die Großstadt ist bedrohlich geworden (Hochhäuser und heran­ rollendes, geballtes Unheil), auch die Provinzstädte (Kleinstadt, rollende Brocken, Pistolero, Wüstenwind, Rosen von Jericho). Anstatt der ulkigen Paraden, die für Amerika so typisch sind (Parade der Guten), gibt es jetzt Terroristen­aufmärsche (Parade der Bösen). Dass Steinberg die Demonstranten in der Manier von Kinderzeichnungen darstellt, zeigt deutlich, für wie kindisch er sie hält.


7. Zur Methode

Steinberg war außer in seinen frühen antifaschistischen Karikaturen und seinem antifaschistischen Engagement – 1946 ging er als Berichterstatter zu den Nürnberger Nazi-Prozessen – nie in der Weise politisch, dass er direkt für diese oder jene Seite Partei ergriff. Seine Stellungnahme zur amerikanischen Welt bekommt immer mehr die Form der Allegorie: (Amerika, Freiheit! Aufstieg und Abstieg, vom Kleinkind zur Schnecke, Aufstieg und Abstieg, Der Schritt vom Montag zum Dienstag)

Die Allegorie ist eine sehr alte, aus dem Manierismus, also aus der Spätrenaissance stammende Ausdrucksform, deren sich z.B. auch Dürer bediente. Es handelt sich um rätselhafte Metaphern, die das Publikum weniger zur Bewunderung des Schönen als zum Nachdenken, zum Interpretieren auffordert. Steinberg verwendet bei diesen Allegorien sehr oft Buchstaben.

(Who did it?, Warenhaus als Trash) Manche dieser Allegorien sind wie „Trash“ einfach zu verstehen, andere weniger. Wichtig ist hier, dass Steinberg als Grenzgänger zwischen Graphik und Literatur de Schrift mit einbezieht – wie viele Maler vor ihm, z.B. der von ihm geschätzte Magritte (C'ne'st pas un pipe"), die Dadaisten und Kubisten. Die Buchstaben haben oft monumentalen Charakter (Yes, No) Oft lässt sich eine Menge dabei denken (Truth, gespiegelt) Ich habe mich oft gefragt, warum die Presseerzeugnisse sich SPIEGEL oder Tagesspiegel nennen, wo doch die Spiegelung alles verkehrt herum zeigt. Offenbar findet das auch Steinberg merkwürdig.
Ich möchte schließlich noch darauf hinweisen, dass Steinberg nicht nur viele Anregungen aus der Kunstgeschichte nahm (pointilistischer Billardspieler), sondern auch die darin von den Theoretikern festgelegten Gattungsgrenzen skrupellos ignorierte – wie jeder anspruchsvolle Künstler. Denken Sie an die Kombination von Foto und Zeichnung. Und er bezieht auch das Comic mit ein­ wie die Pop Artisten, etwa Roy Lichtenstein, weil das Comic die Möglichkeit bietet, das Bekannte klischeehaft und lakonisch auszudrücken (Comic)
Und natürlich machte er sich auch über das Kunstpublikum lustig (Kunst verwandelt den Besucher). Aber diese Zeichnung drückt auch ganz im Ernst die Hoffnung der Künstler aus, dass die Kunst den Betrachter so beeindruckt, dass er wie verwandelt ist.
Die späten Arbeiten sind jene, mit denen Steinberg seine Kunst reflektiert. (Reduktion der Bubbles zur Linie) Ausgangspunkt ist immer sein Zeichentisch mit den Arbeitsinstrumenten und auch mit den in Holz gesägten Sprechblasen, oft zusammen mit dem Produkt der Arbeit selber. (die Tables) Auch dies gibt es in der Malerei, wenn Maler etwa ihre Pinsel zusammen mit dem Modell im seihen Bild darstellen (Zeichentisch mit Wucherungen, Tischplatte mit Lineal + Sprechblasen)

Die Natur hat Steinberg immer als bearbeitete, vom Menschen gemachte Natur aufgefasst, und wie sollte man das heute auch anders sehen? Denn in der Tat ist die Rede von der unberührten Natur ja nur ein schwärmerisches Klischee, da sie ihre Jungfernschaft mit dem ersten Foto verloren hat. Steinberg sagte „Wenn ich auf dem Lande eine schöne Aussicht bewundere, suche ich immer rechts unten nach der Signatur. „ D.h. alles ist von Menschen gemacht. Seine Landschaften sind kalligraphisch, sie bestehen aus Zeichen und Rätseln. Als in den 60er Jahren in der Kunst das Serielle als Möglichkeit entdeckt wurde, die hierarchische Komposition zu überwinden (Warhol, Roehr), beginnt Steinberg mit Stempeln zu arbeiten, womit er nicht nur seriell arbeiten, sondern auch das Klischeehafte zum Ausdruck bringen kann. (Landschaften, seriell mit Stempeln, (menschenleere Landschaft, seriell, furchtbare Stempellandschaft) Die Poststempel besagen, dass diese Postkarten als Dokumente gelten. In unserer Epoche ist nichts wirklich, wenn es nicht reproduzierbar ist. Man existiert erst wirklich, wenn man im Fernsehen war. Das hat uns besonders die Pop Art bewusst gemacht, die immer nur die zweite Natur zum Gegenstand hat, also nicht die Kuh, sondern das Bild von der Kuh. Sie kennen die Rede, dass Berliner Kinder, solange die Stadt eingeschlossen war, dachten, Kühe seien lila – wie die Milka-Kuh. Natur ist die Postkarten­natur, ein Klischee, unter dem wir wiederum die natürliche Natur betrachten. Im Zusammenhang mit Serialität, die ja auf Massenhaftigkeit hinausläuft, ist bemerkenswert, dass Steinberg die Printmedien bevorzugte, wodurch er ein größtmögliches Publikum erreichte. Ähnlich wie Truman Capote, der die Reportage zur Literatur erhob und übrigens regelmäßig für den New Yorker schrieb, hat Steinberg die Medien der Massenkultur zur Kunstform gemacht. Reportage und Karikatur waren vorher anreißerischeMittel der Massenblätter, Rosenberg: „In seinen Händen wurde der Cartoon zu einer wichtigen Kunstform“ Und Rosenberg war der Kunstpapst jener Zeit. (Steinberg mit Katze vor Zeichnungen an der Wand)
Ich möchte mit dieser Zeichnung schließen (kleiner Mann vor hermetischem Redner), weil sie so unübertrefflich zum Ausdruck bringt, was ich mir selbst nicht wünsche: nämlich mich in einen Kokon hinein geschwätzt zu haben, und Sie stehen davor und haben nichts wirklich verstehen können.

Lecture: Saul Steinberg, Invitation