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Charlotte Posenenske (1930 Wiesbaden – 1985 Frankfurt am Main)
Charlotte Posenenske, Schülerin von Willi Baumeister, war Bühnenbildnerin, bevor sie 1959 zum ersten Mal ausstellte. Sie gehörte zu den wenigen, die in Europa die reduktionistischen Impulse der amerikanischen Minimal Art aufnahmen. Posenenske erkannte in der Programmatik der Amerikaner Aspekte ihrer eigenen Problemstellung, zu der sie durch Baumeister angeregt worden war. Er hatte sie mit Cézannes revolutionärer Behandlung von Bildfläche und Raumillusion bekannt gemacht. Die Abkehr vom malerischen Illusionismus, die Hinwendung zum Relief, das Interesse an Architektur, die Herstellung in Serien, das Bemühen um Objektivierung und die Reserviertheit gegenüber expressiver Kunst sind nur einige Merkmale von Posenenskes künstlerischer Haltung, an denen Baumeisters Einfluss erkennbar ist. Er war es auch, der sie mit den gesellschaftsbezogenen Ordnungsvorstellungen des Neoplastizismus (Mondrian), mit den sozialrevolutionären Gestaltungsprinzipien des russischen Konstruktivismus (El Lissitzky) und den kompromisslosen Vorstellungen von Fortschritt, Standardisierung, kollektiver Leistung, Anonymität bekannt gemacht haben dürfte – Vorstellungen, wie sie Hannes Meyer, der ehemalige Direktor des Bauhauses vertrat, mit dem Baumeister befreundet war. Damit ist der Hintergrund für Posenenskes eigentümliche Position angedeutet: Vom amerikanischen Minimalismus unterscheidet sie sich dadurch, dass ihre Arbeit stets die europäische Kunsttradition reflektiert.
Die von DaimlerChrysler aus dem Nachlass erworbenen Arbeiten zeigen Aspekte des Übergangs von der Fläche in den Raum sowie – einer objektivistischen Haltung der 1960er Jahre entsprechend, die
sich gegen die gestische Malerei der 1950er Jahre abgrenzte – eine sukzessive Reduzierung künstlerischer Entscheidungen. In Charlotte Posenenskes schmalem Werk ist der Zusammenhang und die Entwicklung der einzelnen Werkphasen von großer Konsequenz. In nachvollziehbaren Schritten löst sie sich von der Malerei, um in den Realraum vorzustoßen. 1966 entstehen die „plastischen Bilder“, mehrfarbig oder einfarbig gespritzte Faltungen aus Papier oder Blech. Sie thematisieren den Übergang von der Fläche zum – realen – Raum, von der Malerei zur Plastizität, ausdrücklich: im Gegensatz zu Raumillusionen auf einem flachen Bildträger ragen hier die Kniffkanten in den Realraum. Die Künstlerin knickte und faltete die Bildfläche und erzeugte mit dem Aufspritzen von Farbe den Anschein, die Faltung sei eingeebnet, verschoben oder vertieft. Den nächsten Schritt bilden die Reliefs aus dem Jahre 1967. In der Tradition der Kunst bildet das Relief die Zwischen – oder Übergangsform von der Fläche in den Raum, welche den Florentiner Meister Lorenzo Ghiberti (1378–1455), dessen Bronzereliefs die „Paradiestür“ des Baptisteriums in Florenz schmücken, berühmt machten. Bei den Reliefs der Serie B handelt es sich um ursprünglich rechteckige Flächen (analog zur Bildfläche) aus Alublech, die konkav oder konvex gewölbt oder abgekantet sind. Die Objekte sind allseitig und einfarbig gelb, blau, rot oder auch schwarz gespritzt. Diese Reliefs werden nicht mehr nur gehängt, sondern auch gelegt oder frei aufgestellt. Der Übergang zum skulpturalen Objekt war damit fast vollzogen. Fast: Denn diese Objekte haben noch eine – an den Versteifungen erkennbare – Rückseite, die sie vorzugsweise als Wandobjekte kennzeichnet. Neu war, dass Posenenske diese Reliefs als Elemente auffasste, die entweder zu einem mehrteiligen Ganzen arrangiert oder gereiht werden. Es gibt also nicht nur unterschiedliche Anordnungsmöglichkeiten – und damit die Möglichkeit von Veränderung –, sondern das Kunstwerk ist, wenn die Elemente als Serie angeordnet werden, im Prinzip fortsetzbar, d.h. unabgeschlossen. Mit Serialität und Elementarisierung geht die Künstlerin über das traditionelle skulpturale Kunstwerk, das durch Ganzheit, Differenzierung und feste Kontur gekennzeichnet war, deutlich hinaus. Hinzu kommt, dass sie diese Elemente industriemäßig herstellen lässt wie einen x-beliebigen Konsumartikel, d.h. als unbegrenzte Serien und unsigniert. Damit wendet sie sich gegen den Originalitätsanspruch von Kunst. Noch posthum werden die Reliefs als Rekonstruktionen reproduziert und von der Nachlassverwaltung durch ein Zertifikat autorisiert. Die wenigen noch zu Lebzeiten der Künstlerin hergestellten Reliefs gelten als Prototypen. Auch die Verwendung von wetterfesten RAL-Standardfarben – eine weitere Reduzierung künstlerischer Entscheidungen – entspricht der industriemäßigen Herstellung von Kunst. Kreativität besteht nur noch im Konzept. Posenenske gilt heute als Konzeptkünstlerin. Ihre Reliefs sind fundamentale Zwischenformen zwischen Malerei und Skulptur: zur einen Seite hin referieren die Reliefs auf das Rechteck des Bildes und – durch die Verwendung von Primärfarben – auf Malerei überhaupt. Und zur anderen Seite hin auf die beiden allgemeinsten Merkmale jeder Skulptur: Wölbung (konvex) und Höhlung (konkav). Die Reliefs der Serie C, deren 8 Prototypen Daimler 2003 angekauft hat, unterscheiden sich von denen der Serie B (von denen Daimler 4 blaue Elemente besitzt) durch eine weitere Reduktion: es gibt nicht mehr fünf, sondern nur noch einen einzigen Element-Typ und diesen nicht mehr in gelb, blau, rot und schwarz, sondern nur in RAL-gelb. Diese Reliefs sind etwas größer als die der Serie B. Sie messen 40 x 40 x 125 cm und sind in einem 45-Grad-Winkel konvex gekantet, wodurch sie – im Unterschied zu den Reliefs der Serie B, die auf Grund ihrer Form stets deutlich getrennte Einzelteile bleiben – auch zu großen, leuchtenden Flächen zusammengeschlossen werden können.
Der hier angedeutete Weg von der Fläche in den Raum, vom Tafelbild zu Objekten, vom Illusionismus zur Alltagsrealität, führt die Künstlerin bis zur Architektur. Die letzten – nicht realisierten – Arbeiten sind große Raumteiler, bewegliche Wände für Arbeits- und Wohnräume. Die sukzessive Reduzierung der künstlerischen Entscheidungen ist eine Objektivierung – und eine Entsubjektivierung. Sie endet damit, dass die Künstlerin sich 1968 aus der Kunst zurückzieht.