50 years end of World War II
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Published in: Frankfurter Rundschau
Als Amerikaner vom Himmel fielen
Noch heute, 50 Jahre nach dem, was die Partizipanten deutscher "Volksgemeinschaft" "den Zusammenbruch" nennen, finden sich unter den Aufarbeitungen, den Erklärungsmustern, den zu Stereotypen geronnenen oder verblassten Erfahrungen ein paar Eindrücke, die so frisch sind wie am ersten Tag. Es sind dies tiefe und prägende und folgenreiche Eindrücke.
Wir waren nicht ganz unvorbereitet und hatten Vorstellungen darüber, wie die Amerikaner sind. Doch sie übertrafen alles, was wir uns vorgestellt hatten. Der Bericht eines Freundes mag erläutern, was gemeint ist:
"Je weiter die Fallschirme nach unten kamen, desto mehr trieben sie auseinander. Das Flugzeug war heulend hinter den Hügel gestürzt. Eine Rauchwolke. Alle begannen zu laufen. Auf halbem Wege zur Absturzstelle lehnte der Fremde an einem Apfelbaum. (Die anderen waren, so hörten wir später, im Umkreis der Nachbardörfer heruntergekommen.) Er war gross wie ein Riese, und er war schwarz. Aber er sah anders aus als der Sarotti-Mohr, der einzige Mohr, den wir kannten. Der schwarze Mann lehnte dort in seinem mit vielen geheimnisvollen Taschen bedeckten Fliegeranzug, wie wir noch nie irgendeinen Menschen hatten stehen sehen. Er erschien uns stolz und gross und stark und schön. Regungslos staunten wir ihn an. Seine Kiefer mahlten.
Was ass er, wenn er nichts in den Mund steckte?
Die alten Männer, die den Fremden umstanden, umklammerten angstvoll ihre Dreschflegel und Mistgabeln.
Einer sagte: ,Die Amerikaner essen Gummi.'
Der Fremde war vom Himmel gefallen. Er zeigte keine Furcht vor den hampelnden zwei kleinen Soldaten, die ihn in den Beiwagen ihres ,Krads' zu zwängen suchten, was beinahe zum Lachen war. Als er schliesslich mit angezogenen Knien sass, lächelte er uns Kindern zu und liess so viele schneeweisse Zähne sehen, wie wir noch niemals in einem Mund zusammen gesehen hatten."
Es gibt vielerlei Gründe, warum die Generation, welche den Nationalsozialismus getragen hatte, sich schliesslich amerikanischer Lebensart unterwarf, die doch so ganz anders war als die deutsche.
Für uns, die wir am Tag der Befreiung noch Kinder waren, sind die tiefen Eindrücke der ersten Begegnung vermutlich besonders massgebend: Die amerikanischen Soldaten waren so viel grösser als die deutschen Männer.
Sie waren so schlank, ihre engen Uniformen liessen die wohlgenährten, athletischen Körper sehen. Sie waren sauber und hatten tiefere Stimmen als unsere Väter. Ihre Bewegungen, ihre Art zu gehen und zu stehen, die man später "lässig" nannte, drückten Selbstbewusstsein und ja: animalische Kraft aus.
Kein deutscher Mann aus der Generation unserer Väter hatte etwas von dieser merkwürdigen quasinatürlichen Geschmeidigkeit. Jeder einzelne Amerikaner schien selbstbewusst und kräftig, sogar als einzelner strahlte er Souveränität aus. Unsere Väter dagegen hatten wir mit durchgedrücktem Kreuz in Massen und in Reih und Glied stehen sehen, um bellende Befehle entgegenzunehmen. Unsere Väter hatten hell schnauzende Stimmen, sie bewegten sich steif und drückten auch dort, wo es nicht sein musste, das Kreuz durch, ein Erbteil der wilhelminischen Unterscheidung in Gediente und Ungediente, eine sehr wirksame soziale Differenzierung im alten Deutschland.
Das gravitätische Auftreten, auf das jeder deutsche Mann Wert legte, um Würde zu demonstrieren, als könne sie ihm jederzeit genommen werden, hatten die älteren amerikanischen Offiziere offenbar nicht nötig. Sie waren meist drahtig und schnell wie die Jungen. Und die amerikanischen Soldaten waren gutmütig: sie schenkten uns den echten Kaugummi und Drops, und einmal gab einer, der an seinem Arm sechs Armbanduhren hatte, Horst eine ab. Die Generation unserer Väter hatte in dem starken Hans Albers und dem pfiffigen Heinz Rühmann eine populäre Ausprägung gefunden. Aber wer von uns konnte an dem schwerfälligen grossen Hans und dem hübschen kleinen Heinz ein Vorbild finden angesichts von Burt Lancaster?
Er war schön und stark und fremd wie von einem anderen Stern.
Er drückte vollkommen aus, was wir Kinder uns ersehnten (und was Kinder sich wohl immer ersehnen): Freiheit und Souveränität.
Die erste Begegnung mit den Göttern war eine sehr starke Droge. Sie reichte bis zum Krieg in Vietnam.