Little Big City (12): The Department Store

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Published in: Frankfurter Rundschau


 
Ein Traumschloss, in dem man auf Überwältigung setzt

Das Kaufhaus als Traumschloss: "Weit wie eineBahnhofshalle war diese Galerie, umgeben von den Balustraden der beidenStockwerke, durchschnitten von freitragenden Treppen, überspannt von schwebenden Brücken. Und all dieses Eisen bildete unter dem weißen Licht derGlasdächer eine schwerelose Architektur, ein dem Tageslicht Zugang gewährendesSpitzengewebe, die moderne Verwirklichung eines Traumschlosses." Dies war derPalast für König(in) Kunde, die suggestive Architektur des fiktiven PariserWarenhauses Au Bonheur des Dames, das Emile Zola in seinem gleichnamigen Roman beschreibt (1882).
Nichts charakterisiert die moderne Großstadt so sehr wie das Kaufhaus, das in Little Big City allerdings weit nüchterner daherkommt als in Paris. Die Massenproduktion der kapitalistischen Industriegesellschaft konzentriert hier alle gängigen Konsumgüter der Welt. Massenhaft die Waren, massenhaft die Käufer: es ist das Massenhafte, worin sich das Großstädtische am deutlichsten ausdrückt.
Die Kaufhäuser stehen in der Stadtmitte – imUnterschied zu den Verbrauchermärkten auf der grünen Wiese. Was über denGrundbedarf hinausgeht, kauft man im Kaufhaus. Das Modische hat Tradition: Die ersten Warenhäuser hießen "Magasin de Nouveauté".
Auch in Little Big Citystehen sie in der Stadtmitte: auf der Zeil, der umsatz-stärksten"Verkaufsmeile", eins neben dem anderen. Bei uns brachten die Bomben zuwege, was in Paris unter Napoleon III. die Abbruchkommandos des Baron Haussmann besorgt hatten: Das Zentrum von den ärmeren Bewohnern frei und Platz für das große Geschäft zu machen. Die Kauflustigen strömten schon damals in Scharen herbei, nicht nur aus allen Stadtteilen, sondern sogar aus der Provinz.
Das moderne Kaufhaus – dessen Urahn der tausend Jahre alte überdachte Bazar ist – hatte ein bestimmtes Verkaufskonzept zur Voraussetzung. Ein gewisser Aristide Boucicault kam 1852 auf die Idee, in seinem Handelsgeschäft "Bon Marché" denProfit über den großen Umsatz zu machen und zwar zu festen Preisen, bei freiemZugang in das Ladeninnere sowie ohne Kaufverpflichtung. Und er wandte sich an den anonymen Käufer. Das alles war sensationell. Das zeitraubende Feilschen passte nicht mehr in die neue Ära, in der die Minimierung der Warenumschlagszeit einen guten Teil des Profits ausmacht.
Einen direktenVorläufer hat das große Kaufhaus in der Passage, die nichts anderes war als eine glasüberdachte Straße mit vielen selbstständigen Einzelhändlern. Die neuen Eisenkonstruktionen und die Erfindung des Gussglases machten das Oberlicht möglich. (Auch in Little Big City wollte man vor ein paar Jahren noch die ganzeZeil überdachen.) Das Waren-haus fasste dann alle Branchen unter einem Dach zusammen. Neu war nun die Möglichkeit, die Waren auch nach Geschäftsschluss zu begutachten: durch die riesigen Schaufenster und beleuchtet! Abends promenierte tout Paris an den durchsichtigen Fassaden entlang. Mouret, der Chef in ZolasKaufhaus und der Erfinder der "brutalen und kolossalen" Dekoration verlangte eine "Feuersbrunst von Stoffen. Den Leuten müssen die Augen weh tun, pflegte er zu sagen." Und im Inneren des Hauses hörte man bald nichts mehr "außer dem starken Rauschen des Verkaufs". Die Dekoration, sie war auf Überwältigung besonders der Damen hin angelegt.
Der subtilen Verführung dienten dieEinrichtung von Restaurants, Cafés, Bars, Gemäldegalerien und Lesesälen. DieseIdeen sind also durchaus nicht neu. Das pompöse Kaufhaus suchte – wie die etwa zeitgleich errichteten Bahnhöfe – eine sakrale Wirkung zu entfalten. Zelebriert wurde der Fortschritt: der Überfluss an Waren und die Überwindung des Raums. Zola beschreibt das Kaufen in der Belle Époque als einen Rausch.
Und heute? Heute gilt – wie Umfragen ergaben – das "shopping" auch in Little Big City fürviele als ein Vergnügen, das gleich hinter dem Sex rangiert.

Frankfurter Rundschau v. 09.04.2003, S. 13