Onkel Dagobert und das große Nachher

Insgeheim hatte der alte Onkel Dagobert, die reichste Ente der Welt, seine Nachfolge längst geregelt: Gustav war ein Nichtstuer, Donald ein Dummkopf und Daisy eine Frau. Der global player hatte seine Entscheidung getroffen und dachte nun an das GROSSE NACHHER. Als bekennender Fundamentalkapitalist machte er sich keine Hoffnung auf ein himmlisches Apres. Auf gewissen Gemälden der sogenannten alten Meister hatte er sich die abgebildeten Flügelwesen betrachtet und festgestellt, daß sie mit ihm keine Ähnlichkeit hatten. Auch die rote Sorte war ihm fremd. Er stellte sich seine Figur mit Hörnern und Schwanz vor! Unmöglich! Auf dem berühmten Fresko des Campio Santo zu Pisa hatte er bei einer Sonderführung für VIPs in den von Bufalmacco gemalten großen Kessel geschaut, in dem die Gehörnten und Geschwänzten die verlorenen Seelen umrühren. Nein. Aber er konnte sich alle seine Kollegen vom Milliardärs-Club in diesen Jammertopf hineindenken, gewiß. Wie sollte es also weitergehen? Vor Seelenwanderungen graute ihm. Ein Wiedererwachen 'als Wurm! Wenn er doch Lebenszeit kaufen könnte, um sein Dasein zu verlängern! In Büchsen, in Kanistern, in Fässern, in Silos würde er sie aufbewahren! Seine Trillionen im Tresor? Ach, Zeit in Geld zu verwandeln, war Baby Puzzle. Aber Geld in Zeit: zwar konnte er die Lebenszeit seiner Leute kaufen, aber die ließ sich nur verarbeiten und nicht zur Lebensverlängerung anhäufen. Mußte auch er damit zufrieden sein, bloß in der Erinnerung anderer weiterzuleben? ln der Erinnerung der Panzerknacker vielleicht, als bloßer Gedanke?
Sollte er sich damit begnügen müssen, nur durch Werke unsterblich zu werden wie dieser Michel Angelo, der sich immer das Ohr abriß? 20 Seiten im Geschichtsbuch waren einem Dagobert Duck sicher. Aber das blieb Papier, und er war Materialist. Daniel Düsentrieb, der geniale Erfinder, hatte ihm einmal zum Geburtstag .einen Doppelgänger konstruiert Der gefühlsarme Techniker hatte geglaubt, dem Onkel mit dem Klon eine Freude zu machen. Aber dem war sein Double widerlich. Er konnte sich nicht fortwährend selber ins Gesicht schauen, besonders nicht, wenn er müde vom Ausbeuten nach Hause kam. Zudem war der Nachbau eigenwillig. Hatte ein Dagobert Duck es nötig, einem besserwisserischen Kunsterpel zuzuhören? Und sollte der Klon etwa sein Nachfolger werden? Er bat Daniel, das Monster wieder einzustampfen.
So kam es, daß Onkel Dagobert sich für das eigene Überleben entschied, materiell natürlich. Hier bot sich zunächst die Möglichkeit des Einfrierens an. Konnte er aber sicher sein, daß man ihn nach angemessener Ruhezeit wieder auftaute? Er sah sich tropfend von grinsenden Panzerknackern umstellt, die bekanntlich immer nur das eine wollten. Schauderös.“
So blieb, bedachte man alles, nur eine einzige Möglichkeit Prüfend betrachtete der Große Onkel die Mitglieder seiner Familie. Jeder von denen hatte zum Beispiel zwei Nieren. Das gehörte zur Grundausstattung, war aber doch recht luxuriös. Denn bekanntlich geht es auch mit einer Niere.
Wie war das zum Beispiel mit der Leber?
„Wieviele Lebern hat eine normale Ente?“ fragte er unvermittelt.
„Entenleber?“ meinte Donald, der an einem Hühnerbein nagte.
„Jede Ente hat nur eine Leber, lieber Onkel“, sagte Track mit fester Stimme.
Dann drehte sich die Unterhaltung wieder um die üblichen Dinge: um das Taschengeld, die Miete und wie man die 266 Trillionen gegen Panzerknacker schützen konnte. Niemand ahnte, was für schwere Gedanken sich der alte Onkel machte. Konnte er das von Donald verlangen? Gewiß doch! Donald gehörte zur Familie, hatte Mietrückstände und schließlich eine Niere zuviel! Er brauchte die gar nicht. Und die Lunge?
„Wieviele Lungen hat eine normale Ente?“ fragte der Große Onkel.
„Jede Ente hat eine Lunge mit zwei Flügeln, ein Flügel rechts, ein Flügel links!“ antwortete Trick.
Also zwei Lungen, dachte der Onkel. Davon brauchte Donald auch nur eine. Aber wie war das mit dem Herz?. Der Onkel kam also nur für Niere und Lunge infrage. Und wenn der Große Onkel es am Herzen bekam, was dann?
ln seiner Not wandte sich der alte Trillionär an Professor Pico, den Konzernphilosophen.
„Ich sehe eine elegante Lösung für Ihr Problem“, meinte Pico, während er seinen Dienstagshut wienerte. (Er besaß sieben Doktorhüte, für jeden Tag einen, alle echt, kein einziger ,honoraris causa'. Daniel dagegen hat kaum das Abitur geschafft. Denn er ist ein Genie.)
„Wirklich?!“ fragte der alte Onkel erwartungsvoll.
„Leichen vermögen den Bedarf an menschlichen Ersatzteilen nicht mehr zu decken. lassen Sie sich ein Dutzend Inder patentieren!“
“Kann man das?“ Der Onkel hatte gehört, daß Hunderttausende von Indern ihre überflüssigen Nieren nach Amerika und Saudi-Arabien verhökerten. Doch dafür auch noch bezahlen wollte der alte Onkel eigentlich nicht, wenn er die Nieren aus der Familie gratis bekommen könnte. Außerdem: die Nieren eines indischen Unterhundes, wohlmöglich eines Panzerknackers im leibe zu haben, welch ekelhafter Gedanke! Ob allerdings Donald, dieser Geizkragen, dem kranken Onkel ein Stück seines Innenlebens abgeben würde?
„Mit Geld kann man heute alles, Herr Duck. Patentrechtlich gesehen sind die Gentechniker von der Ducks University die Erfinder dieser Inder, denn sie werden alle ihre Organe genetisch bis zur Unkenntlichkeit verändern. Die Wissenschaftler machen diesen Burschen Organe, die nie kaputt zu kriegen sind.“
„Aber“, wandte Onkel Dagobert ein, „wie komme ich denn dann in den Genuß dieser Organe, wenn die Inder so stabil sind?“
„Jeder kriegt eine Sollbruchstelle“, lächelte der Professor. “Ah!“ meinte der Onkel, über dessen Zylinder sich eine Glühbirne bildete, fast so groß wie eine Sprechblase. “Die patentrechtlich gesicherten HELL-Organe (High Energy long life) stehen Ihnen dann zur Implantation jederzeit zur Verfügung. Oder Sie entscheiden sie sich für die Methode der Brüder Vacanti.“
„Ist die besser als Inder?“
„Anders. Die Vacanti züchten ganze Organkomplexe aus der Retorte, synthetische Lebern, Herzklappen und Därme, die in Brutkästen aus Zellen zu ,Fieischfetzen' heranreifen, die um ein Gerüst herumwuchern. ,Später löst sich das Stützkorsett auf: die zu Fleisch und Adern oder Knorpeln verwachsenen Zellen aber bleiben.' Die Organzüchtung hat ,eine bildhauerische Seite': Chuck Vacanti hat Schweinen Retortenohren zwischen die Läufe montiert; in jede Achselhöhle eines. Nur dort, sagt er, seien die Artefakte sicher, wenn sich die Tiere im Dreck suhlen.“
Onkel Dagobert dachte an sein tägliches Talerbad und daß auch er sich die Ohren an einen geschützteren Ort wünschte. Er war hin und hergerissen. Wie sollte er sich entscheiden?
„Allerdings“, meinte Professor Pico, “könnten sich die Retortenstücke unkontrolliert zu monströser Größe oder gar Tumoren auswachsen.“
Das gab den Ausschlag. “Ich will keinen Tumor, ich nehme die Inder!“ sagte der Onkel.
Es piepste herzzerreißend. Onkel Dagobert blickte auf die Uhr.
„Danke Pico. Ich muß mein liebes Tamagotchi füttern!“ rief er.

Kursiv: Der SPIEGEL Nr. 50, Dez. 1997, 192ff