Die Revolution des Impressionismus (Émile Zola)

Wegbereiter der Moderne: Zola als Kunstkritiker

Malen, was man sieht, nicht, was man weiss: Émile Zola, der über lange Zeit hinweg die alljährliche Pariser Ausstellung im Salon – Gegenwartskunst des damaligen Frankreich – kunstkritisch begleitete, verteidigte gegen die überkommene Tradition den Neuansatz der Impressionisten, denen er massgeblich zum Erfolg verhalf.

Wer heute an einem Gemälde von Manet oder Monet sein Wohlgefallen hat, ist sich selten bewusst, dass diese beliebt gewordene Malerei einmal skandalös gewesen ist, dem Inhalte nach wie auch durch die «peinture». Manets «Olympia» machte Skandal, weil das Modell offensichtlich eine Hure ist, das «Frühstück im Grünen» wurde abgewiesen und im Salon des Refuse´ s verhöhnt, denn zwischen zwei bekleideten Männern blickt dem Betrachter selbstbewusst eine nackte Frau ins Gesicht.
Es war Émile Zola, den wir als grossen naturalistischen Romancier verehren, der die Impressionisten massgeblich durchgesetzt hat. Er schrieb dreissig Jahre lang – von 1866 bis 1896 – scharfzüngige Berichte über die alljährliche Ausstellung im Pariser Salon, zu welchem die Künstler ganz Frankreichs bis zu 5000 Bilder einschickten. Es war die grösste Kunstmesse der Welt. Als Kunstkritiker polemisierte Zola sowohl gegen den etablierten Kunstbetrieb mit der Cliquenwirtschaft der Jury wie auch gegen die opportunistischen Salonmaler des zweiten Kaiserreichs. In seinem Roman «L‘OEuvre» stellt er in der Figur des Claude Lantier den genialischen, revolutionären, von Selbstzweifeln gequälten Maler dar, der sowohl Ähnlichkeit mit Manet als auch mit Cézanne hat. Der kündigte deshalb seinem alten Jugendfreund die Freundschaft auf.

SEHEN ODER WISSEN
Die Schilderung des Kunstbetriebs erinnert in vielem an heute. Obwohl man behauptet hat, in seinem Kunstverständnis sei Zola beim Realismus Courbets stehen geblieben, den er in der Tat sehr bewundert hat, zeigt die genaue Lektüre der Salonberichte jedoch, dass er das Revolutionäre des Impressionismus sehr wohl verstanden hat, wenngleich er Cézanne Bruch mit der Perspektive ebenso wenig begriff wie andere. Treffsicher kritisiert der Naturalist die altmeisterliche Feinmalerei, bei welcher der Maler nicht male, was er sehe, sondern was er wisse: die kulinarische Kunst mit «Figuren aus Vanillepudding», die Anekdotenillustrationen und Idealisierungen der Historienmaler, welche für die Gebildeten nach kunstfremden Ideen anspielungsreiche Phantasiegebilde schufen, die Genre-Bilder «zur Möblierung», die Hierarchie der Malerei, in welcher die erfindungsreichen Historienmaler den obersten, die Landschaftsmaler dagegen – als blosse «Nachahmer» der Natur – einen unteren Rang einnahmen, und er kritisiert den alten, aber noch immer geltenden klassizistischen Massstab des «absolut Schönen», dem auch der moderne Künstler nahe kommen müsse.
Zola vertrat im Gegenteil die Ansicht, der Maler müsse alles erworbene Wissen ausschlagen und das malen, was er tatsächlich sehe. «Die ganze Persönlichkeit des Malers besteht in der Organisationsweise seines Auges», schrieb er. Im Widerspruch zum deterministischen Konzept seiner Romane billigt Zola einem Maler wie Manet Genie zu, das sich von allen hemmenden Konventionen befreien kann. Malerschulen lehnte er darum ab. Gegen Proudhon, der von der realistischen Kunst verlangte, sie solle eine Sittenkritik sein, und sie damit unter den Primat sozialen Nutzens stellt, verteidigt Zola die Freiheit der Kunst: «Meine Kunst dagegen ist eine Verneinung der Gesellschaft, eine Bejahung des Individuums, ausserhalb der Regeln und sozialen Notwendigkeiten.» Zola war, wie Tschechow, davon überzeugt, das Publikum sei fähig, aus einer Beschreibung, wenn sie wahr ist, seine Schlüsse zu ziehen. Moralisieren lag ihm fern. Zolas Leitstern war allein die Wahrheit. Erstaunlich bleibt, wie weit er – als «Naturalist» – den von den Impressionisten und Cézanne vollzogenen Paradigmenwechsel mitträgt. Über seine Malerfreunde schreibt er: «Für sie ist das Sujet ein Vorwand zum Malen.»

WAS ODER WIE
Den Keim der modernen Malerei hat Zola damit klar erfasst: die Lösung vom Sujet und die Hinwendung zur «peinture». Es geht nicht mehr um das Was, sondern um das Wie. Es beginnt die Befreiung vom Dienst der Abbildung, die man der aufkommenden Photographie überliess. Zola, Vorkämpfer des Naturalismus – welcher sich nach gängiger Auffassung vom Realismus durch seinen wissenschaftlichen Anspruch abhebt –, versteht die Impressionisten als Naturalisten, insofern sie das Licht analytisch zerlegen und die Ursachen und Wirkungen erforschen. «Das Licht wird die Seele des Werkes.» Damit erkennt Zola das Licht als die Essenz der Malerei. Diese tiefe Einsicht ist etwas anderes als das Konzept objektivistischer Widerspiegelung der Aussenwelt. Anders als Proudhon, der – wie «politische» Kunst meist – auf der erkennbaren Wiedergabe der sichtbaren Realität besteht, hat Zola begriffen, dass die revolutionäre Kraft der Kunst darin liegt, mit den alten Sehgewohnheiten zu brechen und so die Welt auf eine neue Weise wahrzunehmen. Das Licht spielt über die Malerei hinaus in Frankreich als Metapher der Aufklärung – dem Siècle des lumières – eine wichtige Rolle. Die Vorstellung, Licht in alle Winkel der Welt zu tragen, wo Elend, Laster und dunkle Machenschaften nisten, hat Zola geteilt. Um Licht in die Dreyfus-Affäre zu bringen, riskierte der Romancier sogar das Exil. Sein furioser Artikel «J‘accuse» ist ein Musterbeispiel für das in Frankreich typische politische Engagement von Künstlern und Intellektuellen. – Zola starb an einer Rauchvergiftung. Ein «Patriot», der den couragierten Bürger als «Judenfreund» hasste, soll nachts den Kamin verstopft haben. Man erklärte den Mann für verwirrt.