Dem großen Belgier Constantin Meunier zum 100. Todestag
Wie stolz er da steht, der Dockarbeiter auf der Frankfurter Friedensbrücke! Constantin Meunier hat ihn geschaffen. Der Belgier war nach den Malern Millet und Courbet der erste Bildhauer, der Arbeit zum Thema gemacht hat. Lastträger schützten Nacken und Schultern mit einem Sack, den sie, damit der Schweiß nicht in die Augen rann, über den Kopf bis in die Stirn herabzogen. Ihre Arbeit war schwerste Muskelarbeit, die es heute bei uns nicht mehr gibt. Das ideologische Pathos von Nationalsozialismus und Realsozialismus hat bewirkt, dass Arbeit als Sujet diskreditiert wurde und Meunier (1831-1905) damit unverschuldet in Vergessenheit geriet.
Als Arbeiterdenkmal ist Le Debardeur (1893) – andere Abgüsse stehen in Wien, Kopenhagen, Antwerpen und Lima – wohl das schönste der Welt. Warum? Der Dockarbeiter steht lässig – doch nicht, als ruhe er aus. Es scheint vielmehr, als habe er alle Lasten abgeschüttelt. Nicht als schiebende, stemmende, ziehende Muskelmaschine wird er dargestellt, sondern von der Schwerarbeit befreit. Die Skulptur lässt in ihrer hoch aufgerichteten Haltung andere Möglichkeiten ahnen, sei es die Gegenwehr gegen die Ausbeutung, sei es der Griff zu einem Buch. Der Dockarbeiter fordert weder Mitleid noch Empörung heraus, sondern Achtung. Abwartend steht er da, die Rechte in die Hüfte gestützt, als wolle er eine Antwort haben (auf die so genannte sozialen Frage!). Er ist ein selbstbewusster Mensch und erinnert an die Würde, welche der Mensch als Mensch hat, was immer er sonst noch sei.
Le Debardeur beruht auf den Erfahrungen, die der Künstler, der als Maler begann, in den Kohlenrevieren um Lüttich und in der Borinage gemacht hat. Wie Zola und wie van Gogh hat er dort alles mit eigenen Augen gesehen, während viele seiner französischen Kollegen im Atelier nach Gipsmodellen Verherrlichungen von Industrie und Landwirtschaft entwarfen, Riesenmonumente, mit denen die zur Macht gelangte Bourgeoisie – aller Grubenunglücke ungeachtet – den Fortschritt feierte. Die schöne Haltung der Statue, sie rührt daher, dass es Meunier gelang, seinen Realismus mit dem Formenkanon des Klassizismus glücklich zu vermitteln. Nicht ein idealer Athlet wird gezeigt, sondern der vom Lastentragen gezeichnete Körper eines jungen Mannes – man betrachte das rechte stark durchgedrückte Bein. Dennoch wirkt der verhaltene Heroismus authentisch und darum überzeugend.
Der zu seinen Lebzeiten bewunderte und heute fast vergessene Belgier, der einst zusammen mit Rodin ausgestellt hat, ist am 4. April 2005 vor einhundert Jahren gestorben.