Tierisch

Zum 200. Geburtstag des genialen Zeichners Granville

Es war Grandville, der den Bürgerkönig Louis Philippe als Birne verhöhnt hat. Man fragte damals nicht: „Haben Sie schon die neueste Charivari gelesen?“ Sondern: „Haben Sie schon die neueste Birne gesehen?“ „Birne“, über die in den dreißiger Jahren des neuzehnten Jahrhunderts ganz Paris lachte, wurde dann später zur Verspottung von Bundeskanzler Helmut Kohl wieder entdeckt. Die Charivari (Katzenmusik) und Caricature waren satirische Blätter, die der umtriebige Republikaner Charles Philipon als Geschütz gegen Louis Philippe auffuhr.
Neben Daumier und Paul Gavarni hatte er den ausgebildeten Miniaturenmaler Grandville ins Boot geholt, der sich bereits 1829 durch die „Metamorphose du Jour“ in der Tradition der homme-bêtes-Karikatur einen Namen gemacht hatte. Die Lithographie und der Holzstich waren die Techniken, welche den ersten Zeitungen auch die rasche Vervielfältigung von Illustrationen ermöglichten. Denn saftige Karikaturen zogen auch das breite Publikum an. Aber obwohl die Presse- und Versammlungsfreiheit erkämpft war und damit eine bürgerliche Öffentlichkeit etabliert, die zunächst mit Polemik und Satire auf den Plan trat, gab es die Zensur noch immer.
Als die Septembergesetze von 1835 die freche Presse knebelten, zog sich Grandville zurück und widmete sich der Buchillustration. Er illustrierte Swifts Gulliver, La Fontaines Fabeln und Defoes Robinson Crusoe und gelangte dann mit dem Staats- und Familienleben der Tiere zu großem Ruhm, wo er die hommes-bêtes-Karikatur wieder aufnahm. Er setzte den Vertretern des bürgerlichen Lebens Tierköpfe auf: die Offiziere mit Heuschreckenköpfen, die Gendarmen als Mistkäfer, die neureichen Schlemmer als Krokodile, die Damen als Vögel, Windhunde, Giraffen und Katzen, die Kavaliere als Gockel, die Börsianer als Haifische und die Ärzte als Blutegel sind meisterhaft gezeichnet. Der Volkstribun, ein herrlicher Stier, erinnert an Gérard Dépardieu als Danton.
Zu diesem Sittenbild des juste milieu lieferten berühmte Autoren wie A. und P. Musset, Balzac und George Sand die Texte – anonym. Aber Grandville entwarf in seinem detailreichen Stil auch phantastische, dämonische Mischwesen, Metamorphosen, die Baudelaire – durchaus anerkennend – als einem „krankhaften literarischen Gehirn“ entsprungen ansah. Auf seinen Grabstein ließ er schreiben: „Hier liegt J.I.Grandville. Er beseelte alles und machte – nach Gott – alles leben, sprechen oder gehen.“ Alles und Unglaubliches, in der Tat. Die aberwitzigen Erfindungen in Autre Monde sind denen von Hironymus Bosch, Breughel, Max Ernst und Dalí verwandt. Der vor 200 Jahren am 15. September 1803 in Nancy geborene Künstler starb 1847 im Wahnsinn. Seine Heimatstadt ehrt ihn mit eine Ausstellung im Musée des Beaux Arts (bis 29. September 2002), in dem sich der größte Teil seines Werkes befindet.