Ostereiersuchen mit William Hogarth
Die große Ausstellung des englischen Malers und Moralisten im Städelschen Kunstinstitut
Die Anspielungen in William Hogarths Gemäldezyklus „Marriage A-la-Mode“ (Heirat nach der Mode) waren schon Goethe nicht umstandslos verständlich. Er griff zu C. G. Lichtenbergs „Ausführliche(r) Erklärung“. Der bei uns durch seine Stiche bekannte englische Maler (1697-1764) schärfte die allgemeine Klage über das Böse, wie man sie seit dem Mittelalter von allegorischen Darstellungen des Lasters her kennt, zu einem sozialkritischen Blick, der aktuelle Mißstände in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts ins Auge faßte. Das war neu.
Hogarth, der „Frühaufklärer“, schuf mit den „modern moral subjects“ eine eigene Kunstform. Nicht Charaktereigenschaften wie Geiz, Habsucht oder Unkeuschheit kritisiert er, sondern die Verhältnisse in der Großstadt: die von Saufen, Huren, Stehlen, Betrug, Grausamkeit und Armut gekennzeichneten Milieus im London des Rokoko, im Falle der „Marriage“ unter besonderer Berücksichtigung des verkommenen Adels und seines Anhangs.
Methodisch neu ist der Witz, der das Symbol ablöst. Wie alle ausdrücklich moralisierenden Künstler legt Hogarth großen Wert auf Lesbarkeit. Er verstand sich als malender Literat und literarischer Maler. Neben den von der Londoner National Gallery entliehenen Ölbildern der „Marriage“ sind die (seitenverkehrten) Kupferstiche des Themas jetzt im Städel zu sehen sowie aus eigenen Beständen die anderen berühmten Zyklen: „Der Weg einer Dirne“, „Der Weg eines Liederlichen“, „Die vier Stufen der Grausamkeit“.
Es handelt sich um Bilderzählungen in mehreren dramatischen, durchaus theatermäßigen Szenen, ausgelöst jeweils von der ersten - in der „Marriage“ von der Verkupplung eines Grafensprosses mit einer Krämerstochter durch ihre geschäftstüchtigen Väter. Die geringste Folge der Mesalliance des mißmutigen und gelangweilten Paares ist das riesige Muttermal, welches das edle Blut (oder die französische Krankheit) auf der Wange des Nachkommen hinterläßt. Aus dem Heiratsgeschäft folgt Liederlichkeit, Mord und Selbstmord. Im Unterschied zum Einzelbild, das die Folgen der dargestellten Situation nur andeutend der Vorstellung des Betrachters überläßt, legt die Bildgeschichte die Handlungsfolgen fest, die - wie in der Literatur - oft überraschend sind: Selbstmord als Folge einer Geschäftsheirat, das Irrenhaus als Konsequenz einer Erbschaft oder die Sezierung des gehenkten Mordbuben, der seine Karriere als Tierquäler begann, sind recht unerwartete Finalitäten.
Anders als die symbolisch feste Bildersprache mittelalterlicher Malerei, die sich an ein großenteils leseunkundiges Publikum wandte, muß der Leser Hogarthscher Bilderzyklen auch die im Detail des Interieurs versteckten Anspielungen auf Zeitgenössisches selber finden und entschlüsseln, ein Ostereiersuchen mit Rätselspaß und heute auch für den Geübten ohne Anleitung kaum möglich (Katalog!).
Doch Hilfe gibt Hogarth durch allerhand verstreutes Schriftwerk ähnlich den Spruchbändern auf alten Bildern. Zur Komplikatesse der Anspielungen: Wer ahnt, daß zu Füßen von Liebhaber „Silberzunge“ auf dem Sofa ein kaum sichtbares Buch mit dem Titel „Sopha“ auf einen Roman von Crebillon d. J. hinweist, in dem ein Sofa seine schlüpfrigen Erlebnisse erzählt? Die Adelskrone seiner Lordschaft dagegen mag der aufmerksame Betrachter achtmal (auf dem Stich), nicht nur am Krückstock, sondern sogar auf der Flanke des Hundes bemerken.
Ähnlich wie der mit ihm eng befreundete Romancier Henry Fielding zeichnet der Künstler mal derb, mal elegant, stets genau beobachtend, ein ätzendes Sittenbild seiner Zeit. Er typisiert und überzeichnet fast bis zur Karikatur. Doch die lehnt er ab: das Geschütz, welches seine großen französischen Nachfolger Daumier und Grandville dann tagespolitisch in Stellung bringen.
Der streitbare und kunsttheoretisch reflektierte Realist verspottete die mythologische Hofmalerei und den schlechten Geschmack des Adels. Das Publikum liebte seine Anzüglichkeiten. Hogarth war sehr erfolgreich. Zudem setzte er im „Engraver's Act“ das Copyright für die Stecher durch. Der scharfstichelnde Engländer gilt in der langen Tradition der Bildgeschichte, die von den gotischen Heiligen- und Märtyrerlegenden über die volkstümlichen Moritaten bis zu heutigen Comics reicht, als großer Erneuerer.
Konfrontiert werden mit dem englischen Sozialkritiker zwischen Swift und Dickens Arbeiten bedeutender deutscher Künstler aus dem 18. und 19. Jahrhundert, darunter Kaulbach, Klinger, Menzel und Chodowieki. Letzterer nimmt auf Hogarth ausdrücklich Bezug, doch hat er nicht wie dieser stets „the tongue in the cheek“, wie Kurator Michel Maek-Gerard bemerkte. Es ist bei Hogarth die britische Komik, die den moralischen Anspruch niemals sauer werden läßt.
Städelsches Kunstinstitut, bis 20. Juni 1999, 10 bis 17 Uhr, Mittwoch und Samstag 10 bis 20 Uhr, Katalog 38 Mark.