Ewerdt Hilgemann in Frankfurt am Main

Würfels Ende. Sichtbar gemachter Druck

Das knackende, knisterne Geräusch wird man so leicht nicht vergessen, das sich durch Donnergrollen ankündigt: um 14.10 Uhr beginnt der große Stahlkubus an einigen Stellen zu erbleichen, dann zieht er die Seiten ein, die Kanten knicken, und langsam, langsam haucht er seine Seele aus: Wirklich ist sie ihm entrissen worden. Die Luft wurde ihm abgesaugt und ein Vakuum hergestellt.
Etwa 400 Personen sahen vor der Messe zu, wie sich die Würfelkanten einfalteten und einen scharfen Glanz bekamen. Die mähliche Zerknautschung des Würfels, Sinnbild abendländischer Rationalität, ist durchaus schockierend. Zu ahnen ist die ungeheure Gewalt, die ihn zusammenzuziehen scheint und ihn faltet wie eine steife Tüte. Verformungen, so dramatisch wie diese, sind uns von sichtbarer Einwirkung bekannt. Daß der Stahlkörper zusammengezogen wird, ist ein Schein, denn der furchtbar pressende Druck kommt unsichtbar von außen.
Ewerdt Hilgemann, 1938 geboren, seit 1970 in Niederlanden zuhause, ist durch systematische und konstruktive Arbeiten bekannt gworden. 1984 hat er mit Implosionen meist stereometrischer Körper zu arbeiten begonnen. Er interessierte sich nun auch für die destruktive Seite in der Kunst, die Verletzung. Michelangelos Behauptung, eine gute Skulptur verliere, auch wenn man sie einen Berg hinuterrollen lasse, nichts vor ihrer Qualität, verifizierte Hilgemann, indem er in Carrara einen großen, polierten Marmorwürfel den Steilhang hinabschickte. Unten war er ramponiert, aber schön.
Im Unterschied zu anderen, die ihre Arbeiten mit eigener Hand verletzten, überläßt Hilgemann den gewaltsamen Eingriff den Naturkräften. Mit der Natur kooperieren heute viele Künstler. Sie übergeben der selbstätigen Natur einen Teil der Arbeit. Doch Hilgemann gibt nichts aus der Hand, läßt nichts unkontrolliert: die Herstellung des Vakuums ist die Veranstaltung eines meßbaren physikalischen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung.
Mit der Reduktion aufs Physikalische steht Hilgemanns dem Objektivismus der 60er Jahre nahe, als die Künstler, welche nach den großen Gesten des Informel und des action painting aller Subjektivität mißtrauten, sich soweit als möglich aus der Produktion zurückzogen und sie Experten, Maschinen und der Natur überließen. Die Implosion ist kein Happening, sondern veröffentlichter Teil des Werkprozesses, dessen Ergebnis ein zerknautschter Stahlwürfel ist. Die Arbeit ist von der schönen Einfachheit, wie sie aus entschiedener Beschränkung entsteht.