Eugen Thiemann

Die Liebe zur Moderne
Zum Tod des Museumsmannes Eugen Thiemann

"Wo haben wir die meisten Freunde?" Nach diesem Kriterium entschied sich der 1925 geborene Westfale, wo er seinen Lebensabend verbringen wollte.
Eugen Thiemanns Wahl fiel auf Frankfurt am Main. Denn hier leben viele der befreundeten Künstler, die er als Direktor des Dortmunder Museum am Ostwall ausgestellt hat. Zu Kriegsende war in der völlig zerstörten Stadt Dortmund der Plan entstanden, aus den Ruinen des Oberbergamtes am Ostwall ein Museum moderner Kunst aufzubauen. 1967 fand der neue Direktor u.a Barlach, Modersohn-Becker, Maillol, Sintenis, Jawlensky und Macke vor, einen Grundstock erstklassiger Künstler. Er kaufte K.O.Götz, Girke und Brüning dazu, Kirchner, Beckmann und sogar die "Neuen Wilden" Dahn und Bömmels. Und einen späten Picasso: einen liegenden weiblichen Akt. Große Empörung – im Jahre 1972. Thiemann glättete die Wogen durch einem fundierten Vortrag.
Schon seine erste Ausstellung (1967) Wege 1967 zeigte den ausgebildeten Archäologen, der nicht mehr nur an der Vergangenheit arbeiten wollte, auf der Höhe der Zeit. Viele der ausgestellten Künstler haben heute internationalen Ruf: von Beuys bis Rückriem, von Immendorf bis Richter. Besonders liebte Thiemann die strengen und zugleich poetisch-filigranen Gebilde des Italieners Fausto Melotti, dem er 1971 eine Einzelausstellung eingerichtet hat.
Der kleine, zarte Mann war eher ein Gelehrter als ein Museumsmanager, dessen Erfolg sich in Besucherzahlen misst. Die Thiemann kannten, bewundern seine universale Bildung, die es ihm ermöglichte, zwischen Entlegenem weite Bögen zu spannen. Besondere Freude machte ihm die Vermittlung der Kunst, etwas, das viele versuchen und wenige können. In Frankfurt lebte Thiemann zurückgezogen. Doch war seine Wohnung offen für die Künstler. Fast alle der jüngeren haben an seinem Tisch gesessen und dem ehemaligen Altertumsforschers zugehört, der in den 50er Jahren den Entschluss fasste, sich dem Abenteuer der modernen Kunst hinzugeben.
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Eugen Thiemann am 17. November gestorben.

Frankfurter Rundschau vom 14.12.2001, S. 21