Kategoriearchive: Text in der Frankfurter Rundschau

6 Meter für Flaneure

Eine Betrachtung über Bürgersteige in Frankfurt und anderswo

"Welche Luftsprünge muss einer nicht machen, der es unternimmt, sich vom Faubourg Saint-Jaques zum Faubourg Saint-Honoré zu begeben … Warum gibt es keine Gehsteige wie in London?" klagte Louis-Sébastien Mercier 1781. Nun, inzwischen gibt es sie in allen Städten. Altmodisch heißen sie "trottoir" doch der Ausdruck "Bürgersteig" ist treffender. Es waren nämlich die Bürger, die zu Fuß gingen, während der Adel zu Pferde saß oder in der Kutsche. Hohe Kleriker und adlige Damen ließen sich in der geschlossenen Sänfte tragen.
Mercier war sich bewusst, dass der Bürgersteig, der in Paris schließlich 1805 eingeführt wurde, keine technische Einrichtung, sondern eine demokratische Errungenschaft sein würde: "Sobald man auf dem Straßenpflaster von Paris steht, merkt man gleich, dass das Volk hier nichts zu sagen hat: das Fehlen von Bürgersteigen schafft keine Annehmlichkeit für die Fußgänger. Die Reichen und Vornehmen mit ihren Kutschen besitzen das barbarische Vorrecht, das Volk auf der Straße zu überfahren und zu verstümmeln. Sie reiten mit ihren Pferden im gestreckten Galopp ihre Mitbürger nieder und kaufen sich durch Zahlung einer geringen Summe frei, um anderntags damit von neuem beginnen zu können. Hat ein Kutscher einen lebendigen Leibes zermalmt, dann wird vom Kommissar untersucht, ob es das kleine oder große Kutschenrad war; der Kutscher ist nur für das kleine verantwortlich, und wenn ihr euer Leben unter dem großen aushaucht, gibt es für die Hinterbliebenen keinen finanziellen Schadenersatz. Es gibt im übrigen einen Tarif für die Arme, Beine und Oberschenkel; der Preis dafür ist im voraus festgesetzt." Glück hatte, wer noch rechtzeitig auf einen Prellstein oder in einen Hausgang springen konnte, doch war man von den Schuhen bis zur Perücke mit Straßenkot bespritzt, ein Dreck, der aus allen nur denkbaren Ausscheidungen bestand.
London, Paris und Berlin haben sechs Meter breite Bürgersteige, etwas, das sich Frankfurt nur in der Kaiserstraße leistet. Unter diesem Gesichtspunkt hat die little big city am Main wenig Großstädtisches. In der Belle Epoque strömte das Volk in Sicherheit die breiten Bürgersteige der neuen Boulevards entlang. Auch der "kleine Mann" promenierte, ohne die Angst niedergeritten zu werden, und besah sich die Auslagen in den Schaufenstern der neuen Warenhäuser. Der großstädtische Bürgersteig und das riesige, erleuchtete Schaufenster, sie gehören zusammen.
Zola hat es eindringlich beschrieben. Das Trottoir, das in einer Kleinstadt auch heute so schmal ist, dass man einander kaum ausweichen kann, ist im Interesse der Kaufhäuser, denn um die Waren zu begutachten, muss man stehen bleiben können, ohne andere aufzuhalten.
Die Pariser Bürgersteige sind so breit, dass sich die Straßencafés ins Freie ausdehnen und die untergehakten Paare und Pärchen bequem aneinander vorbeiströmen. Ja, man konnte Bekannte umständlich begrüßen und großartig den Zylinder ziehen. Niemals zuvor hatte es die Möglichkeit gegeben, müßig durch die Innenstadt zu schlendern. Im entsetzlichen Gewühl der alten engen Gassen war man voll damit beschäftigt gewesen, seine Börse zu umklammern.
Die breiten Bürgersteige, aus denen sich Mitte des 20.Jahrhunderts dann die heutige Fußgängerzone entwickelt hat, ließen den Typ des Flaneurs entstehen. Er bummelte dahin, beäugte die Mädchen und koketten Damen und begrüßte Freunde im Café. Allein der breite Bürgersteig erlaubte es damals, durch auffällige Garderobe und Hutkreationen Aufmerksamkeit zu erregen, und den Ammen und jungen Müttern, den Kinderwagen zu schieben.
Für solch altmodische Gemächlichkeit ist Frankfurt nicht eingerichtet. Auf dem Bürgersteig der kleinen Metropole machen sich dazu oft Geländewagen mit mächtigen Kuhfängern breit, zwischen denen kein Durchkommen ist.
In der wilhelminischen Gesellschaft, die den Mann nach "gedient" und "ungedient" unterschied, musste ein braver Bürger manchmal ausladend einherstolzierenden Offizieren in die Gosse ausweichen. Dann stand er da und ballte sozialdemokratisch die Faust in der Tasche. Und heute?
Im Frankfurter Westend kann man die "deutsche Harke" (Cora Stephan) erleben, wenn man baumlangen Studenten begegnet, die angelegentlich überkopf diskutierend den ganzen Bürgersteig einnehmen, ohne den Entgegenkommenden eines Blicks zu würdigen. Da tritt man lieber beiseite und betrachtet ein Schaufenster.

Tierisch

Zum 200. Geburtstag des genialen Zeichners Granville

Es war Grandville, der den Bürgerkönig Louis Philippe als Birne verhöhnt hat. Man fragte damals nicht: „Haben Sie schon die neueste Charivari gelesen?“ Sondern: „Haben Sie schon die neueste Birne gesehen?“ „Birne“, über die in den dreißiger Jahren des neuzehnten Jahrhunderts ganz Paris lachte, wurde dann später zur Verspottung von Bundeskanzler Helmut Kohl wieder entdeckt. Die Charivari (Katzenmusik) und Caricature waren satirische Blätter, die der umtriebige Republikaner Charles Philipon als Geschütz gegen Louis Philippe auffuhr.
Neben Daumier und Paul Gavarni hatte er den ausgebildeten Miniaturenmaler Grandville ins Boot geholt, der sich bereits 1829 durch die „Metamorphose du Jour“ in der Tradition der homme-bêtes-Karikatur einen Namen gemacht hatte. Die Lithographie und der Holzstich waren die Techniken, welche den ersten Zeitungen auch die rasche Vervielfältigung von Illustrationen ermöglichten. Denn saftige Karikaturen zogen auch das breite Publikum an. Aber obwohl die Presse- und Versammlungsfreiheit erkämpft war und damit eine bürgerliche Öffentlichkeit etabliert, die zunächst mit Polemik und Satire auf den Plan trat, gab es die Zensur noch immer.
Als die Septembergesetze von 1835 die freche Presse knebelten, zog sich Grandville zurück und widmete sich der Buchillustration. Er illustrierte Swifts Gulliver, La Fontaines Fabeln und Defoes Robinson Crusoe und gelangte dann mit dem Staats- und Familienleben der Tiere zu großem Ruhm, wo er die hommes-bêtes-Karikatur wieder aufnahm. Er setzte den Vertretern des bürgerlichen Lebens Tierköpfe auf: die Offiziere mit Heuschreckenköpfen, die Gendarmen als Mistkäfer, die neureichen Schlemmer als Krokodile, die Damen als Vögel, Windhunde, Giraffen und Katzen, die Kavaliere als Gockel, die Börsianer als Haifische und die Ärzte als Blutegel sind meisterhaft gezeichnet. Der Volkstribun, ein herrlicher Stier, erinnert an Gérard Dépardieu als Danton.
Zu diesem Sittenbild des juste milieu lieferten berühmte Autoren wie A. und P. Musset, Balzac und George Sand die Texte – anonym. Aber Grandville entwarf in seinem detailreichen Stil auch phantastische, dämonische Mischwesen, Metamorphosen, die Baudelaire – durchaus anerkennend – als einem „krankhaften literarischen Gehirn“ entsprungen ansah. Auf seinen Grabstein ließ er schreiben: „Hier liegt J.I.Grandville. Er beseelte alles und machte – nach Gott – alles leben, sprechen oder gehen.“ Alles und Unglaubliches, in der Tat. Die aberwitzigen Erfindungen in Autre Monde sind denen von Hironymus Bosch, Breughel, Max Ernst und Dalí verwandt. Der vor 200 Jahren am 15. September 1803 in Nancy geborene Künstler starb 1847 im Wahnsinn. Seine Heimatstadt ehrt ihn mit eine Ausstellung im Musée des Beaux Arts (bis 29. September 2002), in dem sich der größte Teil seines Werkes befindet.

Piero A. di Pretoro

"Apfelwein, certo"
Ein Gespräch über Küche und Kultur mit Piero A. di Pretoro, dem neuen Leiter des italienischen Instituto di Cultura in Frankfurt

Das deutsche Wetter, über das Italiener gern klagen, gefällt Dottore Piero A. di Pretoro. Der Leiter des Instituto di Cultura ist Römer und sieht aus wie ein Altphilologe. Und er ist ein Altphilologe. Wo lernt man so gut deutsch? Im Goethe-Institut in Rom: Man könne die Antike nicht ohne die deutsche, im 19. Jahrhundert führende, Altphilologie verstehen. Schön zu hören.
Zuvor hat Di Pretoro als Lektor an italienischen Kulturinstituten und deutschen Universitäten gearbeitet. In Deutschland ist er seit den 70er Jahren, in Frankfurt seit vier Monaten.
Was ihn mehr als Musik und Theater interessiert, ist die deutsche Literatur: Goethe, Heine, Brecht und auch Benn. "Der Lyrik des Altertums ist nur die deutsche zu vergleichen." Er schätzt die Klassik und das klassisch Gewordene. Unter den Prosaschriftstellern sind ihm Franz Kafka und Thomas Mann die liebsten.
Viele Mitarbeiter hat Di Pretoro nicht, praktisch nur seinen "braccio destro", Dottore Santoriello. "Die beiden Sekretärinnen sind schwanger." Das bescheidene Zimmer, in dem wir sitzen, ist ein Knoten in einem weltweiten Netz von 95 italienischen Kulturinstituten, die dem Außenministerium unterstehen und zwar, anders als die Goethe-Institute, in einer strikten Hierarchie – mit dem Vorteil der diplomatischen Immunität, aber dem Nachteil größerer Abhängigkeit. Obwohl, so Di Pretoro, im Gesetz stehe, "die Autonomie des Instituto di Cultura ist zu bewahren".
Ministerpräsident Berlusconi, war er nicht auch Außenminister? "Gewesen", antwortet Di Pretoro. Die jährlichen Richtlinien der Programmkommission für 2002 hätten angewiesen, italienische Mode, Design und Regionalkultur zu propagieren. Solch harmlose Ziele? "Hauptziel bleibt die Verbreitung der italienischen Sprache und Literatur im Ausland." Man wende sich besonders an das kultivierte deutsche Publikum, das zum Beispiel das Literaturhaus besucht. Aber: "Wir dürfen auch unsere Landsleute hier nicht vergessen."
Zu den Professoren der Romanistik hat Di Pretoro den Kontakt schon geknüpft, zur Casa di Cultura noch nicht. Eine Kooperation mit dem Literaturhaus und mit der Deutsch-Italienischen Vereinigung ist verabredet. Auch junge italienische Kunst will Di Pretoro in Frankfurt stärker präsentiert haben. Er begrüßt die Neueröffnung einer italienischen Galerie in der Gutzkowstraße ausdrücklich. Sein Traumziel ist eine Mega-Veranstaltung, etwa "Italia si presenta à Francoforte". Aber das kostet. Er müsse eben an die richtigen Türen klopfen.
An Frankfurt schätzt Piero di Pretoro die Internationalität und die Vielzahl der kulturellen Einrichtungen – und natürlich die Buchmesse. Aber die Mieten seien horrend. In der Tat.
Jetzt der Sympathietest: Mag er Apfelwein? "Apfelwein, certo."
Und die Mutprobe: Handkäs? "Was die Küche anlangt", meint der Dottore höflich, "da bin ich Nationalist." Das versteht man. Für die Verbreitung italienischer Sprache, Literatur und Kunst wünschen wir viel Glück.

Frankfurter Rundschau vom 23.07.2003, S. 12

Lukanien ist überall

Realismus als Herausarbeitung einer verborgenen Wirklichkeit
Zum 100. Geburtstag des Malers und Sozialromantikers Carlo Levi

Mit gefesselten Händen kam er in Aliano an, einem abgelegenen Flecken in der Mondlandschaft Lukaniens. So steht es auf der ersten Seite seines in 37 Sprachen übersetzten Buches Christus kam nur bis Eboli, für das Jean Paul Sartre ein Vorwort geschrieben hatte.
Der Verbannte, der zeitlebens für Freiheit und Autonomie gestritten hat, war einer der Köpfe der antifaschistischen Untergrundorganisation Giustizia e Libertà. Der riesige Erfolg seines bewegenden Berichts über die archaischen Verhältnisse im Mezzogiorno, die er während seiner Konfinierung im Jahre 1935 erlebt und 1944 beschrieben hat, machte Carlo Levi nach dem Krieg derart berühmt, dass er seine Tätigkeit als Maler völlig verdunkelte. Als bedeutender Maler des Realismus ist der 1975 gestorbene Carlo Levi, der am 29. November einhundert Jahre alt wäre, in Deutschland nahezu unbekannt, obwohl er allein fünf mal auf der Kunst-Biennale von Venedig vertreten war. Geboren und aufgewachsen in einer bürgerlichen, gleichwohl sozialistisch eingestellten Familie in Turin, hatte Levi sich schon als Schüler gegen den Faschismus engagiert, der in Turin, dem industriellen und intellektuellen Zentrum Italiens in den 20er und 30er Jahren, schon vor den Sondergesetzen von 1926 Militanz zeigte.
Unabhängiger Senator
Viele der verratenen und inhaftierten Turiner Verschwörer waren jüdischer Herkunft, darunter Natalia Ginzburgs Mann Leone, ihr Bruder und ihr Vater, bei dem Carlo Levi als angehender Arzt Anatomie studiert hatte. Die damalige faschistische Presse schrieb von einem „jüdischen Komplott.“ Als kritischer Publizist, der 1958 das geteilte Deutschland bereiste, war Levi für die mit dem Wiederaufbau beschäftigten Deutschen wenig willkommen.
Besonders passte er als sozial engagierter realistischer Maler – neben Renato Guttuso der bedeutendste Italiens – nicht ins westliche Nachkriegsdeutschland. Denn der Realismus galt als eine durch die völkische Nazi-Malerei diskreditierte und längst überholte Position, da doch die ungegenständliche Malerei sich endlich durchgesetzt und Westdeutschland kulturell den Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden hatte.
Der Realismus blieb der DDR überlassen, die ihn als Sozialistischen Realismus – mit der berüchtigten Widerspiegelungstheorie hinterfüttert – zum Dogma erhob. Levi sympathisierte mit der PCI immerhin so sehr, dass er sich – wie auch andere Intellektuelle von Rang – als unabhängiger Senator aufstellen ließ. Pia Vivarelli, die Präsidentin der Fondazione Carlo Levi, bezeichnet das politische Engagement als Kern von Levis malerischer Tätigkeit.
In der Auseinandersetzung zwischen den gegenständlichen und den ungegenständlichen Malern, die in Italien nach dem Kriege mit Leidenschaft ausgetragen wurde, polemisierte Levi gegen den „astrattism“, dem er Feigheit vor dem Leben vorwarf. „Abstrakt“ war für ihn der Ausdruck einer Schizophrenie der Moderne, nämlich des Auseinandertretens von Denken und Alltagswirklichkeit – einer Entfremdung. „In jenen Jahren,“ sagt Pia Vivarelli, „entschieden sich politisch engagierte Autoren natürlich für eine realistische Malerei. Das bedeutete auch die Entscheidung für Inhalte sozialer Art.“
Die Wiedererkennbarkeit, die natürliche, leicht nachvollziehbare Beziehung zwischen Kunst und sichtbarer Wirklichkeit, ist von je her die Basis politischer Kunst gewesen, die sich nicht an Eliten, sondern an alle richtet – wie einst für die mittelalterlichen Analphabeten die Darstellungen des Jüngsten Gerichts im Dom. Politisch sei Levis Malerei, sagt Vivarelli, „weil er sie nicht als Flucht, nicht als Augenschmaus verstanden hat, sondern immer als Werkzeug, um die äußere Realität bewusst zu machen.“
“Bewusst machen?“ Dazu erzählt Levi, dass, als er am Ort seiner Verbannung, von einem Haufen Kinder umgeben, einmal ein Bild malte, ein Bauer gekommen sei, das Bild genommen, es zu seinem Haus getragen und es draußen an die Hausmauer gehängt habe. „Sie erkannten auf dem Bild den nackten Hügel im Hintergrund, auf dem sie ein Leben lang gehackt hatten. Diese Orte hatten nun endlich einen Namen, eine existentielle Sicherheit, eine Form: sie waren zum ersten Mal real. In ihren Mienen stand das seltene Glück der Entdeckung, sowohl von sich selber wie von der Welt.“ So geschehen im Jahre 1935.
Der politische Künstler ist hier weder Aufklärer noch Agitator, aber er öffnet den in Selbstverständlichkeiten des Alltags ganz versunkenen Menschen die Augen. Er schafft ihnen die Möglichkeit, die Wirklichkeit neu und anders zu sehen. Realismus ist für Levi ausdrücklich keine Widerspiegelung des Gegebenen, sondern ganz im Gegenteil das Herausarbeiten einer noch ungeäußerten, verborgenen Realität, ein Ausdruck des Entstehenden. Sein Stil zeichnet sich durch flüssige Formen aus, als entsprächen sie einem bewegten, magmaartigen, vorzeitlichen Chaos. Ein Rezensent sprach vom „Brodeln des Werdens“.
Levi hat viele berühmte Leute porträtiert, darunter Leone Ginzburg, Anna Magnani, Italo Calvino, Frank Lloyd Wright, Pablo Neruda, der ihn eine Eule nannte, weil er bis in die Dämmerung weiter zu malen pflegte, wobei er – die „toscano“ zwischen den Zähnen – die Modelle in lange Gespräche verwickelte, die sie aus dem Status eine Objekts erlösten und den Porträts große Lebendigkeit verleihen.
Oft gleichen die mit breitem Pinsel und starken Farben gemalten Gesichter Landschaften – das andere große Thema des Malers, der in den 30er Jahren in Paris zwischen den Künstlern vom Montparnasse gelebt hatte.
In seinem Atelier in Rom wimmelte es in den 50er Jahren von Besuchern aus Lukanien, zwischen den Malmitteln sah man Öl, Wein und Käse. Seit seiner Verbannung trat Levi in Reportagen, als Kolumnist der Stampa und Parlamentarier für „seine“ armen Bauern ein, die ihn in Aliano als Wohltäter verehren. Levi erhoffte sich eine Erneuerung der Gesellschaft durch eine Bauernerhebung – als Fortsetzung der Resistenza, in der sich Intelligenz und Bauern näher gekommen waren.
Anhänger Rousseaus
Alberto Moravia hat Pasolini, weil er an das Gute sogar der kriminellen Subproletarier glaubte, als Anhänger Rousseaus bezeichnet. Gilt das auch für seinen von der Unverderbtheit der Bauern überzeugten Freund Levi? Zuletzt malte er Bäume: „Ich bin so veranlagt, dass ich alles Loslösen schmerzlich empfinde,“ schrieb er.
Die durch die sozialen Verhältnisse erzwungene Entwurzelung der armen Bauern und ihre Emigration prangerte Levi als das größte denkbare Unrecht an. Was immer man im Zeitalter der Globalisierung von seiner Position halten mag, Levis Ausspruch „Lukanien ist überall“ mit Bezug auf die so genannte Dritte Welt bleibt bedenkenswert.
Das Jüdische Museum in Frankfurt wird dem Maler voraussichtlich im Januar nächsten Jahres die erste größere Ausstellung in Deutschland ausrichten.

Schöne Aussicht

Adresse, wörtlich genommen

"Schöne Aussicht 2, 60311 Frankfurt". Dort steht jetzt noch der Container des Portikus. Und was sieht man von da Schönes? Sachsenhausen.
Emile Zola hatte über die Bilder Manets geschrieben, sie bohrten Löcher in die Wand, so dass man nach draußen blicken konnte, auf eine Landschaft. Auf eine Landschaft von Manet. Auf Landkarten ist die "schöne Aussicht" im allgemeinen durch fächerförmige Strahlen eingezeichnet: Um sie zu genießen, fährt man Kilometer weit und steigt manchmal ebenso hoch. Besondere Aussichtstürme werden errichtet.
Als schön gilt, wenn man etwa am Meer oder im Gebirge möglichst weit blicken kann und – damit mitunter verbunden – auch vielerlei sieht oder (am besten) alles. Also zum Beispiel von der Aussichtsplattform des Hochhauses der Hessischen Landesbank: ganz Frankfurt.
Das Panorama gilt darum als die schönste Aussicht. Den verengten Blick durch ein Fernrohr würde man nicht als "schöne Aussicht" bezeichnen. Die kurze oder eingeengte Aussicht gilt nicht als schön. Sie muss weit sein. Schön ist die Aussicht zudem, wenn sie klar ist und man Einzelheiten so genau unterscheiden kann, dass es möglich ist, sie zu bezeichnen, etwa "dieses scheußliche technische Rathaus …"
Aber woher kommt das Bedürfnis nach der "schönen Aussicht"? Wohl daher, dass wir gewöhnlich im Kleinen stecken und sozusagen die Nase nicht aus der Furche bekommen. Man möchte dabei nicht nur möglichst weit blicken können, als Ausdruck etwa eines Bedürfnisses nach der Ferne, nach der weiten Welt, sondern sich auch eine Übersicht schaffen, wahrscheinlich, weil die im Alltagsleben oft fehlt. Die Rundumsicht gewährt einen unverstellten Blick und damit ein Gefühl der Freiheit.
Mit der Bezeichnung Schöne Aussicht' – nicht die, die man hat, sondern die, die man sieht, also wo heute noch der Portikus steht – erlangen wir die Gewissheit, lokalisiert zu sein. Wir befinden uns dadurch mental in gesicherten Verhältnissen. Die Beziehung zwischen Wort und Sache steht fest.
Schön ist offenbar der allumfassende, der "beherrschende" Blick, besonders wenn er das Eigene umfasst, im tatsächlichen wie im übertragenen Sinn. Ein griechischer Bauer, nach seinen Olivenbäumen gefragt, machte eine globale Armbewegung und sagte: "olla".
Seit der Entdeckung der Perspektive in der Frührenaissance ist die fürstliche Aussicht auf die eigenen Besitztümer nicht nur durch Schneisen geschaffen, sondern auch im Bilde festgehalten worden. Seinen Lieblings-Ausblick ließ der Fürst sich zuweilen als "Vedute" malen. Umgekehrt wurden die Aussichten in den Englischen Gärten nach Kriterien der Malerei geschaffen.
Was der Feldherr von seinem Feldherrenhügel sieht, gilt allerdings nicht als Vedute, aber wohl auch als schön. Schlachtengemälde waren ein beliebtes Genre.
Kurzum, die schöne Aussicht hat in dieser oder jener Weise mit Herrschaft zu tun, weil sie die Welt nach der räumlichen Entfernung, das heißt nach der schätzbaren und messbaren Erreichbarkeit der Gegenstände unter den Blick ordnet. Die Entdeckung der Perspektive machte die Ballistik erst treffsicher.

Gute Adresse

Im Westend auch im Keller

Im Frankfurter Westend sieht man erstaunt hier und dort im Souterrain junge Frauen am Computer sitzen. Und ein Fenster weiter telefoniert ein junger Chef im Ledersessel. Überall Designermöbel und alles vom Feinsten. Und das halb im Keller? Sagt man nicht, "die Geschäfte gehen in den Keller"? Die sehen von da unten ja höchstens Autoreifen und hin und wieder mal ein hübsches Bein. Kann man, wenn man so wenig von der Welt zu sehen bekommt, vielleicht besser arbeiten? Warum geht die Firma nicht in ein Loft in der Hanauer Landstraße?
"Oh, Westend, Westend!" Eine Adresse im Westend nötigt einem Japaner sogar im Sitzen eine Verbeugung ab. Die "guten" Adressen sind stets die im Westen. Warum? In den Zeiten der großen Industrie zogen die stinkenden Wolken aus den Fabrikschloten meist von Westen nach Osten. Denn bei unserem Klima haben wir in der Regel Westwind. Die Arbeiterviertel im Osten bekamen es ab. Und da ja übrigens im Osten die Sonne aufgeht, bringt sie die Arbeiter früh morgens auf die Beine. Der lange sonnige Abend dagegen gehört den Bürgern im Westen.
Mag es noch andere Gründe und auch manche Ausnahme geben, die westlichen Stadtteile sind jedenfalls sehr oft die "guten" Viertel. Inzwischen sind sie es aus Tradition, denn die Schlote existieren nicht mehr. Geblieben sind einige repräsentative Häuser aus der Jahrhundertwende. Und da es für Geschäftsleute umso wichtiger ist, als seriös und etabliert zu gelten, je weniger sie es sind, ziehen sie im Westen auch ins Souterrain, wo sie doch im Osten weit günstigere Räume zur Verfügung hätten.
Seit dem Realsozialismus erscheint der Osten überhaupt als proletarisch ("der Osten ist rot") und der Westen als bürgerlich. Offenbach war eine reine Arbeiterstadt, Frankfurt die Stadt der Kaufleute. Hat einer das Unglück, in der "Hintergasse" zu wohnen, wird er tunlichst darauf verzichten, sich eine Visitenkarte drucken zu lassen. Wenn es in gewissen Kreisen wichtig ist, eine Nobelmarke zu fahren und Budapester Schuhe zu tragen, so versteht sich die Notwendigkeit einer "guten" Adresse sofort, sowohl fürs Geschäft als auch zum Wohnen.
Denn wer die Stadt auch nur wenig kennt, weiß doch auf Anhieb, welches die guten und die schlechten Viertel sind. Die "guten" Viertel gelten als solide (wörtlich: dicht, fest), weil sie auf hohem Ausstattungsniveau eine relativ homogene, d.h. ungestörte Bürgerlichkeit erkennen lassen. Wer dort wohnt oder arbeitet, gilt als etabliert. Man darf davon ausgehen, dass eine Firma im Souterrain des Frankfurter Westends eher Geschäfte tätigt, bei denen der Publikumsverkehr gering ist. Denn welcher Geschäftspartner steigt vertrauensvoll hinab in den Keller? Und das in einer Stadt, die das "aufwärts" und "oben" mit ihren Hochhäusern überdeutlich zum Ausdruck bringt? Das Logo der Deutschen Bank: aufwärts, aber im Rahmen bleiben.

Anders sein

Von Rahmen und Sockel

Etwas fällt aus dem Rahmen und jemand wird vom Sockel geholt: alltägliche Redensarten, die kommen woher? Von der Kunst. Das Gemälde, sei es ein Porträt oder eine Landschaft, hat einen Rahmen, der an den Spiegel oder das Fenster erinnert, die immer schon gerahmt waren. Die gemalte Landschaft ist ein Blick nach draußen. Doch bei Bildern hat der Rahmen auch eine symbolische Bedeutung: er grenzt das Gemälde entschieden gegen die Umgebung ab.
Innerhalb des Rahmens wird der Kunst ein Eigenleben zugestanden. Hier die Kunst, dort der Alltag. So gilt Kunst – innerhalb des Rahmens – ausdrücklich als etwas anderes. Und wenn sie aus dem Rahmen fällt, ist das ein Desaster. Künstler machten einmal von sich reden, als sie auch den Rahmen bemalten oder mehr noch: über den Rahmen hinaus.
Es gibt viele Beispiele dafür, dass Malerei buchstäblich den Rahmen sprengt und – immer plastischer – in das Leben hinauswuchert. Das rahmenlose Bild beansprucht, mit dem Alltag zu tun zu haben. Es mutiert tendenziell zu einem Möbel. Kunst, die den Anspruch auf Autonomie erhebt wie die ungegenständliche Malerei, betont mit dem Rahmen ihr absolutes Anderssein. Schon in der Renaissance waren die Umrahmungen wenigstens in den Kirchen vergoldet. Der goldene Rahmen ist nichts anderes als eine Aureole: der Heiligenschein. Die frühen Heiligenscheine waren keine zart schwebenden Ringe, sondern massive Scheiben. Das Gold selbst galt als das edelste Metall, auch deshalb, weil es an das – göttliche – Sonnenlicht erinnert.
Der Sockel stammt von ital. zoccolo – so hieß ein hoher hölzerner Schuh. In Venedig waren die zoccoli 25 cm hoch. Auch in Paris trug man im 18. Jahrhundert gegen den Straßenschmutz solche Stelzen, so dass Casanova meinte, die Damen fielen vorwärts, anstatt zu gehen.
Es liegt auf der Hand, dass der Sockel der Erhöhung dient. Besonders im 19. Jahrhundert, das die industrielle Revolution und deren furchtbare soziale Folgen zu verarbeiten hatte, gab es das Bedürfnis, zu Höherem aufzuschauen. Etwa zum "Olympier", wie er heute vor den Bankentürmen an der Frankfurter Gallusanlage steht.
"Das Elsbeth hat viel Sinn für’s Höhere": Dieser Satz wollte einmal besagen, dass jenes hessische Fräulein kultiviert war. In den neuen Musentempeln erhob man sich – auf Freitreppen empor schreitend – über den Alltag im Parterre. Oben schaute man zu den goldgerahmten Gemälden und den auf Sockeln postierten Helden auf.
Überall wurden Denkmäler errichtet – auf gewaltigen Sockeln. Das Volk zum Aufschauen zu den Vorbildern zu veranlassen, war Strategie des Staates. Als Rodin von der Stadt Calais den Auftrag erhielt, die berühmten Bürger von Calais zu schaffen, wollte er die Gruppe ohne Sockel aufstellen. Auf diese Weise hätten seine Bronzen bedrohlich mitten zwischen den Bürgern gestanden. Die ehrfruchterzeugende Distanz hätte gefehlt. Die Stadtväter waren empört und zogen den Auftrag zurück.
Man erinnert sich an amerikanische Naturalisten wie Duane Hanson, dessen lebensechte Nachbildungen typischer "loser" vergangenes Jahr ausgestellt in der Frankfurter Schirn Kunsthalle – so manchen Besucher irritiert hat. Sie standen direkt neben einem auf gleichem Level, was die geistige "Erhebung" erschwerte. Man schaut nicht auf, sondern denkt daran, wie es den Leuten nebenan geht und einem selber.
Berühmt geworden ist Hansons griesgrämiger Museumswärter. Wie oft ist er gefragt worden, wo die Toiletten sind. Stände er auf einem Sockel wie die Männer von einem anderen am Main präsemnten Künstler, Stefan Balkenhol, hätte ihn niemand gefragt.

Spiegelfassaden

Bewährte Undurchsichtigkeit

Wer in Frankfurts enger City aus dem Fenster schaut, blickt oft auf Spiegelfassaden. Man erinnert sich, dass die moderne Architektur seit den 20er Jahren offene Bauformen propagierte: das bedeutete Transparenz, Öffentlichkeit, Glas.
Licht ist das Symbol der Aufklärung, Transparenz ein Sinnbild der Demokratie, das Zugänglichkeit für jeden signalisiert – und nicht nur für den Blick. Öffentlichkeit hieß zumindest: die draußen sollten durch gläserne Fassaden in die Gebäude hineinsehen, die drinnen hinaussehen können.
Der alte, meist durch eine Treppe betonte exklusive Gegensatz von Innen und Außen, der so lange ein Parameter der Architektur gewesen war, sollte aufgehoben sein. Universitätsbaumeister Ferdinand Kramer zum Beispiel ließ nach dem Kriege aus dem alten Universitätsgebäude das neo-barocke Portal herausreißen, einen jener repräsentativen und einschüchternden Eingänge sogenannter öffentlicher Bauten. Er ersetzte das düstere Portal unter dem Protestgeschrei der konservativen Professorenschaft durch einen breiten, hellen Eingang aus Glas.
Tempi passati. Zwar ist heute der "gläserne Mensch" erwünscht, durchsichtige Konzerngebäude aber keineswegs. Sollte man sich von Außenstehenden in die Karten schauen lassen?
Spiegel-Fassaden lösen das Problem. Die drinnen sehen, was sich draußen tut – durchaus auch mit den schärfsten Objektiven –, der Blick der Außenstehenden wird dagegen im Wortsinne zurück geworfen. Man sieht sich selbst. Man sieht die Umwelt: Bäume, Häuser, Wolken.
Die Spiegelei hat seit dem Barock Tradition, doch nur im Innern des Gebäudes – wie etwa in Versailles, wo die Kavaliere und ihre Damen sich nicht nur selber in den Spiegelwänden bewundern, sondern auch einander hinterrücks beobachten konnten. Aber Außenspiegel?
Ein spiegelnder Büroturm stellt sich nicht als das dar, was er ist, sondern als Außenwelt, hinter welcher er zurücktritt, so als sei er selber gar nicht vorhanden: eine Camouflage. Das Finanzwesen passt sich wie ein Chamäleon der Umwelt an – scheinbar.
Die wechselseitige Spiegelung mehrerer Spiegelfassaden ergäbe die desorientierende Wirkung eines Spiegelkabinetts. Die Identität des Gebäudes verschwände ganz.
Freilich ist das Zurücktreten der Identität nicht als Bescheidenheit zu verstehen. Es sind ja nicht Einfamilienhäuser, sondern Türme, deren Fassaden verspiegelt sind und das Sonnenlicht gleißend zurückwerfen. An manchen Sommerabenden, an denen Little Big City schon im Dämmer liegt, werfen die Zwillingstürme der Deutschen Bank – einem Leuchtfeuer ähnlich – ein blendendes Licht über das Westend bis in den Taunus hinauf. Die allmählich verglühenden Turmspitzen erscheinen – im Unterschied zu den irdischen Steinfassaden – erhaben schön und entrückt, wie nicht von dieser Welt. Die DZ-Bank erreicht solchen Wirkung auch nicht mit ihrem halben Heiligenschein.

Marie-Theres Deutsch

Einkaufen bei Marx
Architektin Marie-Theres Deutsch über den Portikus-Umzug, eine Freistatt und Rennräder

Schon wieder ein anderes Rad? Neulich war’s noch ein Rennrad. "Das ist mir heute morgen geklaut worden", sagt Marie-Theres Deutsch, "es ist das sechzehnte Mal. Morgen hole ich mir ein Neues vom Flohmarkt." Dass dies an der Gegend liegen könnte, in der sie arbeitet und wohnt, diesen Gedanken lehnt sie ab. Denn das Bahnhofsviertel ist ihr Viertel, das lebendigste Quartier der Stadt. Wir sitzen mitten in einem gelungenen Projekt der Architektin, in der "Strandperle", direkt am Eisernen Steg, unter Platanen mit Blick auf die Türme von Little Big City.
Das Mainufer beschäftigt sie seit langem. Warum? "Der Fluss hat eine andere Zeit", sagt sie. Eine andere als die ökonomische Zeit, welche die Stadt regiert. Ihr großer Wurf war der Portikus. Ob der so etwas wie ihr Baby sei? Naja, Baby. Jedenfalls ärgert es sie, dass er nun verlegt werden soll. Wie kam die Idee mit dem provokanten Container hinter Säulen zustande? "Wir wussten, dass Kasper König in die Stadt kommt und etwas sucht. Als wir mit dem Auto an der alten Stadtbibliothek vorbeifuhren, habe ich gerufen: ,Das ist es!‘ ,Was?‘ hat Manfred Stumpf gefragt. ,Der Ort, wo man das machen kann.‘"
Also kam der Container hin, der später so berühmt werden sollte. An der Idee "haben viele daran herumgedacht", sagt sie. "Aber wessen Idee war es?" frage ich, ist der Kunstcontainer doch gegenüber prätentiösen Museumsneubauten eine geradezu programmatische Lösung. "Ich glaube, das war ich", sagt Marie-Theres Deutsch.
Bescheidenheit nennt sie als die oberste Richtlinie ihrer Arbeit. Sie versuche von innen nach außen zu bauen, nicht umgekehrt. Sie glaubt schon, dass Männer eher dazu neigen, so zu bauen, dass es etwas hermacht. Von außen nach innen. Sie macht dazu eine Geste: Klotzen. Würde sie, wenn sie den Auftrag bekäme, auch Hochhäuser bauen? Klar würde sie das. Es komme darauf an, wie man das macht. Ein Architekt könne sich gar nicht leisten, so was abzulehnen. Gibt es einen Architekten, den sie besonders schätzt? Ohne Zögern sagt sie: "Elsässer". Das ist der Architekt der wunderbaren Großmarkthalle.
Der alte Portikus werde ja wohl auf der Maininsel an der Alten Brücke einen neuen Ort bekommen. Der Kollege, der das mache, sagt sie, werde schon dafür sorgen, dass es spektakulär werde. Sie selber hat einen anderen Ort ausgeguckt und vorgeschlagen: den alten Frankensteiner Hof, ein marodes städtisches Gebäude, in dem zurzeit ein Teil der Kunstbiennale Manifesta untergebracht ist, mit mehr als 500 Quadratmetern.
Als ich sie danach frage, ob für sie das Bauen auch eine moralische Dimension habe, nennt sie das Projekt "Weser 5", das sie zusammen mit dem Künstler Manfred Stumpf und Gerald Hintze, dem neuen Leiter des Diakoniezentrums in der Weserstraße 5, in Angriff genommen hat. Der Zufluchtsort der Obdachlosen im Bahnhofsviertel soll eine neue Gestalt bekommen.
Deutschs Idee ist es, den Gedanken der Freistatt, des mittelalterlichen Schutzraums vor der Kirche, in dem Hilfsbedürftige Zuflucht fanden, wieder zu beleben. "Freistatt" soll der Hof zwischen der Weißfrauenkirche und der Diakoniestation werden. Direkt nebenan gibt es einen Betsaal der Muslime. Ob sie auch die Muslime einbeziehen wolle? "Es gibt da eine Tür", sagt sie und lacht, was sie überhaupt gern tut; ihre Augen funkeln vor Vergnügen, "beide Seiten haben einen Schlüssel." Sie hätte nichts gegen ein Minarett mit einem Muezzin, "aber die trauen sich nicht".
Marie-Theres Deutsch stammt aus Trier, hat am Frankfurter Städel bei Günther Bock und Cook studiert. Die rebellischen Jahre hat sie in Frankfurt nicht miterlebt, aber später in der Sponti-Szene alles nachgeholt, was man in Trier nicht so kannte, wo man Marx nicht liest, sondern bei Marx einkauft ("Übergrößen"). Fühlt sie sich als Künstlerin? "Künstlerisch", das sei für Architekten kein gutes Beiwort. Sie macht eine locker drehende Handbewegung (Firlefanz?). Dann schwingt sie sich aufs Rad und saust zu einer Podiumsdiskussion über "Event City".

Frankfurter Rundschau vom 29.07.2002, S. 18, Ausgabe: R Region

Pereira suchen

In Lissabon auf den Spuren eines Romans von Antonio Tabucchi

„Bom dia, Senhora, hat hier einmal ein gewisser Doktor Pereira gewohnt?“
„Pereira?“
„Ja, ein Journalist. Er ist später ausgewandert, wahrscheinlich nach Frankreich.“
„Und warum ist er ausgewandert?“
„Das ist eine lange Geschichte, Senhora. Es war kurz bevor der 2. Weltkrieg begann.“
„Das ist lange her.“
„Ja, mehr als 60 Jahre, Senhora. Er ging, weil die PIDE hinter ihm her war.“
„Die PIDE. Mein Gott, was hat er denn getan?“

So hätte das Gespräch beginnen können, wenn ich in dem Haus Nr. 22 in der Rua da Saudade, wo Pereira gewohnt hat, eine Frau von etwa 95 Jahren getroffen hätte, die mir auf meine Fragen noch hätte antworten können. Aber tatsächlich hätte sie mir gar nicht antworten können, denn der Kulturjournalist Pereira ist eine Romanfigur, der Protagonist in Antonio Tabucchis berühmt gewordenem Roman „Erklärt Pereira“.
Pereira? Das ist hier ein verbreiteter Name. Er bedeutet „Birnbaum“, und Birnbaum ist ein jüdischer Name. „Damit“, schreibt Tabucchi „wollte ich einem Volk meine Ehrerbietung bezeigen, das in der portugiesischen Kultur bedeutende Spuren hinterlassen und die großen Ungerechtigkeiten der Geschichte erlitten hat.“ Sein mit Marcello Mastroianni verfilmtes Buch spielt in Lissabon, 1938, am Vorabend des II. Weltkrieges, unter der Diktatur Salazars. Ein weltfremder Kulturredakteur, der in der Literatur und der Vergangenheit lebt, entscheidet sich schließlich, da er der Gegenwart nicht mehr ausweichen kann und will, auf seine eigenste Weise Widerstand zu leisten: als Journalist. Ein leises, zartes, unaufdringliches Buch über Zivilcourage. Zivilcourage eines konservativen Journalisten, der schließlich einigen jungen Leuten hilft – aus bürgerlichem Anstand und aus Mitleid und auch, weil der eine ihm ähnlich sieht, als er noch jung war und Hoffnungen hatte.

Ich habe mir das Gespräch mit der alten Frau, die vielleicht etwas von Doktor Pereira weiß, trotz der Unmöglichkeit oft ausgemalt und denke wieder daran, während ich die Rua da Saudade im Lissabonner Stadtviertel Mouraria suche, Tabucchis Buch, den Stadtplan und ein kleines Wörterbuch in der Tasche. Das Viertel, in dem einst die übrig gebliebenen Mauren wohnten, ist noch immer ärmlich. Besonders hier war der Fado zu hören, jener melancholische, gitarrenbegleitete Gesang, der von der „saudade“ (Einsamkeit) handelt. Der Diktator Salazar hatte ihn verbieten wollen, weil der Gesang ihm für seinen „Neuen Staat“ zu fatalistisch war. Aber die Leute lieben den Fado. Auf dem Cimiterio dos Prazeres sah ich zwei Frauen, die das Grab der großen Fado-Sängerin Amália Rodriguez besuchten. Es ist bloß ein Nischengrab, links vom Portal, doch an den vielen Blumen von weitem erkennbar.
Dass Pereira in der Saudade wohnte, ist bedeutsam, weil er fortwährend an den Tod dachte und täglich mit dem Foto seiner verstorbenen Frau sprach. Der Straßenname „Saudade“ wie auch das Datum, an dem der Roman beginnt – es war der 25. Juli 1938 – verorten den Roman in der Wirklichkeit, zum anderen aber spielt die Wortbedeutung auf eine Disposition des fiktiven Protagonisten an. Denn er war wirklich allein. In einem anderen Buch Tabucchis, dem „Lissabonner Requiem“, lässt der Ich-Erzähler den von ihm bewunderten portugiesischen Schriftsteller Fernando Pessoa sagen, der Saudismo sei „unser Hang zur Nostalgie“.

In Lissabons stämmiger Kathedrale Sé Patriacal befindet sich gleich linkerhand ein blau-weißes Kachel-Tableau: Darauf predigt der Heilige Antonius den Fischlein, die mit offenem Maul erstaunt aus dem Wasser gucken. Pereira hat gewiss darüber lächeln müssen, wenn er sich im Kühlen ein wenig ausruhte. Weil es im Juli heiß war, könnte der Doktor sich über die kleine Trinkwasserfontäne geneigt haben, die auf dem Plätzchen vor der Kathedrale steht. Eine Frau füllt gerade geschickt eine Plastikflasche, indem sie den senkrechten Wasserstrahl mit einem Finger zur Seite drückt.
Ich gehe dann an der Kathedrale vorbei die Rua Rosa hinauf. Bald zweigt linkerhand wieder die Rua da Saudade ab. Es regnet. Einige Häuserfassaden sind hier gekachelt, wie öfter gerade in den ärmeren Vierteln Lissabons, das für seine Azulejos berühmt ist. Die Kacheln sind nicht nur schön, sondern halten auch den Regen ab. Da ist das Haus Nr. 12, baufällig, aber bewohnt. Wäsche flattert vorm Fenster. Dann passiere ich eine mit Wellblech überdachte Ausgrabungsstelle; man hat hier, steht auf einem Schild, ein römisches Theater gefunden. Die folgenden Gebäude wurden irgendwann abgerissen. Pereiras Haus existiert nicht. Seine Adresse aufzuspüren, ist ebenso naiv, als wollte ich Marcello Mastroianni hinfort mit Doktor Pereira ansprechen. Ich weiß.
An Nachbarhäusern aber kann man ablesen, wie es ausgesehen haben könnte. Es hätte vier Stockwerke gehabt, ein Mezzanin mit eingerechnet. Die Fenster wären in ein breites Rechteck aus Travertin gefasst gewesen, und im 1. Stock hätte es winzige, niedrig vergitterte Balkons gehabt, auf die der Doktor hätte heraustreten können, um abends die Brise vom Atlantik zu genießen.
Das Gebiet wird saniert. Ein Mann mit einer Atemmaske schleift den Putz von der Rückseite alter Kacheln, die in der Werkstatt zu Tableaus zusammengelegt werden. Ich schaue durch eines der halb offenen Tore, aus denen afrikanische Arbeiter Schutt tragen, und sehe – wie Peireira von seinem Balkon – den schimmernden Atlantik, aber nein: den Tejo, der hier an seiner Mündung schon so breit ist, dass man denken könnte, er sei das Meer.
Die sehr steile, schwarz gepflasterte Rua Saudade führt zum Kastell hinauf. Weil Pereira dick geworden war, musste er öfters stehen bleiben. Er hatte zu hohen Blutdruck und Atemnot. Ich gehe bis zu den Andenkenläden und dann die Rua Saudade wieder zurück. Etwas oberhalb der Kathedrale befinden sich zwei staatliche Gebäude, das Centro de Etudos Judiciarios und ein anderes mit schwer vergitterten Fenstern, in dessen Eingang ein Beamter steht. Die Kaserne, von der Tabucchi spricht? Eine Tafel weist auf die PIDE hin, die mit Hilfe der Gestapo organisierte Geheimpolizei, die ihr Hauptquartier an der Rua Cardoso hatte, in einem Gebäudekomplex, der heute verfällt; die Fenster hängen schräg in den Angeln und sind zerbrochen.
Wenn Pereira in sein Büro am oberen Ende der Altstadt fuhr, wird er die legendäre Straßenbahn 28 genommen haben, die heute eine Touristenattraktion ist. Die Wagen, die die steilen, engen Straßen hin-auf- und hinabzockeln, sind winzig und überfüllt. Jungs hängen aus den Fenstern, die in die Baixa, die Unterstadt, wollen. Pereira hätte, eine kleine Mappe in der Hand, auf der hinteren Plattform gestanden. Er war kein Mensch, der sich in die Mitte setzte.

Die Polizeijeeps, die Pereira an jenem Tag unter den Arkaden des Terreiro do Paco gesehen hatte, standen wohl an der linken Seite des breiten, durch das Prunkportal geteilten Schlosses, in dem heute die Justizbehörden untergebracht sind. Er hatte sich an der Praca da Alegria mit Monteiro Rossi, einem Philosophiestudenten, verabredet, den er als Praktikanten einstellen wollte, damit er – im voraus – Nachrufe auf berühmte Schriftsteller schriebe. Denn Pereira musste, wie gesagt, dauernd an den Tod denken.
Doch kann ein Kulturredakteur es sich angesichts von Zensur und Bespitzelung leisten, einen Nachruf auf Garcia Lorca zu akzeptieren? „Nicht Garcia Lorca, bitte nicht, in seinem Leben und seinem Werk gibt es zu viele Dinge, die sich nicht für eine Zeitung wie die Lisboa eignen, ich hätte Ihnen gern Bernanos und Mauriac vorgeschlagen“, wird Pereira höflich zu Rossi sagen, denn diese französischen Autoren sind einwandfreie Katholiken, wohingegen der Student sich bald als das heraus stellt, was Garcia Lorca in Pereiras Augen ist: ein Umstürzler.
Kandelaber hängen von der Decke der Arkaden. Von dort konnten die Sicherheitskräfte die ganze, zum Tejo sich öffnende Praca do Comercio kontrollieren und auf Befehl dort hin rasen, wo ein Spitzel die Spur einer Menschenansammlung gemeldet hatte. Auf dem Platz fanden zu Zeiten der Inquisition, die in Portugal erst 1820 aufgelöst wurde, die Ketzerverbrennungen statt. Rechts in den Arkaden liegt das Café Martinho da Arcada, wo Fernando Pessoa Stammgast war.

Ich suche nun den anderen Ort, an dem der Doktor Pereira an den Tod dachte. Hier ist es, hier müsste es sein. Hier hatte Pereira für sich ganz allein ein Redaktionsbüro, ein trostloses, kleines Zimmer mit einem alten Ventilator, in dem er nicht besucht werden wollte, damit keiner erfuhr, dass die Kulturredaktion der Lisboa nur aus ihm bestand. Es roch dort immer nach Gebratenem, weil Celeste, die Portiersfrau das Essen für ihren Mann warm hielt, der bei der Polizei war.
Es ist die Rua da Fonseca, Hausnummer 66. Die leicht ansteigende Fonseca hat merkwürdigerweise auf jeder Seite zwei Bürgersteige, je einen an der Straße und je einen, durch schmale Rabatten getrennt, an den Häusern. Sie sind wie überall in Lissabon mit gelblich-weißen Steinen gepflastert, die wie Kuhzähne aussehen. Doch es gibt, wie ich sehe, nur eine Nr. 62 und dann eine Nr. 70. Die Häuser sind aus den 30er Jahren, Wohnhäuser. Der Wirt in der Pastelaria Parque gegenüber, einem dürftigen Café mit falschen Marmortischchen sagt, eine Nr. 66 hat es nie gegeben. Gut gemacht, Antonio Tabucchi!
Die moderneren Häuser in dieser Gegend haben heute vor jedem Fenster einen karnickelstallartigen Kasten für die Klimaanlage. Auf der anderen Seite geht die Rua Fonseca etwas schöner weiter. Zarte Robinien neigen sich über tote Straßenbahngleise. Zusammen mit alten Häusern gibt das eine Atmosphäre, in der ich mir Pereira vorstellen kann. Wo könnte nun aber das Café Orquidea sein, Pereiras Stammcafé, in dem Manuel, der Kellner, ihm die politischen Neuigkeiten zuflüsterte, die man nirgends mehr lesen konnte? Bei ihm hat er sich fast täglich ein Kräuteromelette bestellt. Angeblich ist es einen Katzensprung vom Büro entfernt, neben einer jüdischen Fleischerei.

Viele Frauen tragen heute Schals mit Burberrymuster, und da ein warmer Nieselregen fällt, tragen einige auch Schirme und Hüte mit Burberrymuster. Alte Frauen verkaufen an den U-Bahnausgängen Schirme, denn mit Regen hat wohl kein Passant mehr gerechnet. Auf dem Stadtplan ist am Lago do Rato ein Davidstern eingezeichnet. Dort ist eine Synagoge. Die jüdische Fleischerei wird also nicht weit davon gewesen sein. Die Synagoge befindet sich in einem Hinterhaus, das man durch das Gittertor sieht. Der Tankwart am ehemaligen Mercado do Rato, in dem jetzt Opel Corsa angeboten werden, hat sie mir gezeigt. Der Mercado do Rato, eine Eisenkonstruktion aus dem 19. Jahrhundert – dies könnte der von Tabucchi erwähnte Markt des Viertels gewesen sein. Die Guarda Nacional Republicana hatte dort seinerzeit zwei Polizeiwagen postiert, denn ein sozialistischer Fuhrmann aus dem Alentejo war auf seinem Karren massakriert worden, und alle seine Melonen waren mit Blut bespritzt.
Das einzige Café, in dem der Doktor gesessen haben könnte, heißt „Pastelaria 1800“. Warum hat Pereira in jenem Café immer nur Kräuteromelette bestellt, immer dasselbe? Ich weiß es, seitdem ich in der Casa do Alentejo gegessen habe, einem schaurigen, in allen Reiseführern angepriesenen Clubhaus, in dem im Halbdunkel alte Männer auf elephantesken grünen Sesseln dösen. Aus Resignation, glaube ich, hat Pereira immer Kräuteromelette gegessen. Doch resigniert war er nicht nur über die portugiesische Esskultur, sondern über das Leben überhaupt. Er hatte es satt.

Die Merces-Kirche, in welcher Pereira einmal im Monat Pater Antonio besuchte, um sich ein wenig auszusprechen oder zu beichten, ist schwer zu finden. Man betritt die Igreija Paroquial nossa Senhora das Merces durch einen Hintereingang, jenen, den auch Pereira genommen hat. Er befand sich dann in einem mit blau-weißen Azulejo-Tableaus gekachelten Raum, dessen Tonnengewölbe ebenfalls gekachelt ist. Es handelt sich für Azlejo-Liebhaber um eine Sehenswürdigkeit. Hier war es, wo der Pater zu dem einsamen Pereira sagte: „In welcher Welt lebst du denn, du, der du in einer Zeitung arbeitest, hör mal, Pereira, informier dich doch ein wenig.“ Denn Pereira, der früher einmal Reporter gewesen war, zog es in diesen Zeiten vor, nichts zu wissen. Ausländische Zeitungen gab es nicht mehr.

Die dunkelgelbe Straßenbeleuchtung wirkt weich. Es sieht irgendwie alteuropäisch aus. Auf jeder Straßenlaterne thront ein goldenes Segelschiff, das Wahrzeichen der Stadt Lissabon. Als Pereira – es war neun Uhr abends, und er hatte sein graues Jackett an – auf der mit Papiergirlanden geschmückten Praca da Alegria Menschen sah, die ein grünes Tuch um den Hals trugen, blieb er entsetzt stehen. Es waren Parteigänger Salazars. Und er dachte, dass Monteiro Rossi, jener Philosophiestudent, mit dem er sich hier treffen wollte, womöglich einer der ihren war.
Es gab kleine Tischchen damals auf dem Platz und einen Kellner. Heute stehen hier an einem Springbrunnen zwei große Palmen. Und eine Polizeistation ist hier, vor der drei Streifenwagen parken. Ein junger Polizist mit Sonnenbrille scheint zu beobachten, dass ich den „Platz der Freude“ fotografiere. Und die Polizeistation.
Die im Roman erzeugte Atmosphäre durchwebt die aktuellen Eindrücke. Diese sind im Wortsinne nicht ungetrübt, wenn ich plötzlich die karabinerbewehrten Polizisten Salazars dort sehe, wo sie Pereira stehen sah. Zwischen den Passanten aus der Jetztzeit glaube ich, hier und da, zum Beispiel auf jener Bank dort drüben, nach der Mode von 1938 gekleidete Personen zu bemerken, die schöne revolutionäre Marta vielleicht, die Pereira für Rossis Freundin hielt, und deren volles, kupferfarbenes Haar über ihre Schultern fiel. Später wird sie die Haare abgeschnitten haben, blondgefärbt sein und sehr schmal geworden.

Als der unschlüssige Pereira den Pater Antonio noch einmal in der Merces-Kirche aufsuchte, um ihn zu fragen, wie er sich als Christ verhalten solle, ohne sich der Häresie schuldig zu machen, blickte der Beichtvater ihn – so schien es ihm – fast ärgerlich an: „Hör zu, Pereira“, sagte er, „die Situation ist ernst, und jeder muss seine eigenen Entscheidungen treffen.“ Es war ein paar Tage nach der Zerstörung Guernicas durch deutsche Bomber. Und Pereira entschied sich dann bald.
Ich treffe im Vorraum der so schön gekachelten Kirche den Gemeindepfarrer, einen für einen Portugiesen recht großen Mann mit einem festen Gesicht. So könnte Pater Antonio ausgesehen haben. Ich sage dem Priester, während ich meinen Fotoapparat einpacke, seine Kirche sei nicht nur wegen der Kacheln bekannt. Und als er mich fragend anschaut, sage ich auf italienisch: „Sie kommt in einem sehr guten Buch vor. Der Autor ist Italiener, Antonio Tabucchi.“ Und weil in der portugiesischen Sprache viele Silben schwer verständlich zusammengezogen werden, sage ich langsam betonend: „An-to-nio Ta-bu-cchi.“
„Ich kenne ihn“, antwortet mir der Pater auf italienisch, „Tabucchi war ein paar mal hier, und wir haben über Pessoa gesprochen. Sie kennen Pessoa, unseren großen portugiesischen Dichter?“