Jochem Hendricks
Frankfurt Westhausen, 20. Mai 2021
Liebe Ursula Schwippert,
sehr geehrte Familie,
liebe Kolleginnen,
liebe Freunde von Burkhard Brunn,
es ist mir eine Ehre, im Namen dieser Freunde einige Abschiedsworte für Burkhard Brunn zu sprechen, eine Totenrede zu halten, wie man das früher so treffend nannte. Zu sagen gibt es viel über ihn, aber es heute zu seinem Abschied tun zu müssen, ist schwer, und es bedarf einiger Contenance angesichts seines Formats, seiner immer gefassten Haltung und Form und seiner inneren Stärke. Vor ein paar Jahren in Berlin trafen wir bei der Eröffnung einer Ausstellung von Charlotte Posenenske bei Konrad Fischer einen bekannten Kurator, es war der Tag der Beerdigung seiner Frau, als er seinen gewohnten Rundgang durch die Galerien absolvierte. Das hat Burkhard Brunn tief beeindruckt, diese Haltung auch vor dem Tod hat er sehr bewundert. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, ihn in seinem Sinn in die Erde zu bringen.
Burkhard Brunn beurteilte Männer nach ihren Frauen. Das war ausdrücklich sein Hinweis, warum auch wir uns persönlich näher kommen konnten. Über die Betrachtung seiner zwei Ehe- und Lebensfrauen kann man sich allerdings auch ihm selbst nähern. Diese beiden starken Frauen, die er jede auf ihre Art sehr liebte, verbinden nämlich die beiden Aussenposten seiner Sphäre: Die Kunst und die Soziologie, die hier für das Gesellschaftliche stehen soll, also das Transzendierend-Ideelle und das Gesellschaftlich-Analytische, das Ideal-Visionäre und das politisch Handlungsfähige. Die Kunst als das Darüber-hinaus, das Über-alle- Maßen, das Zuvor-nicht-Vorstellbare, Überraschende und die Grenzen- Verschiebende und die Soziologie als das analytisch-kritische und politische Regulans des sittlichen Zusammenlebens. Darüber konnte man wunderbar mit Burkhard Brunn diskutieren, er hatte immer einen überraschenden Blick und erhellend nüchterne Argumente und Analysen von großer Überzeugungskraft. Natürlich gehören beide Seiten zusammen, Kunst und Soziologie und sind, sofern man sich vom Doktrinären fern hält, Verbündete im Geiste und korrespondieren miteinander. In personifizierter Form können wir so auch Burkhard Brunns Zusammenspiel mit Charlotte Posenenske und Ursula Schwippert betrachten. Hier die radikale Künstlerin, die ein neuartiges Vokabular bis in Grenznähe dekliniert und sich nach einem scharfen Schnitt von dieser Grenze aus schließlich in Richtung des Gesellschaftlich-Politischen bewegt. Sie wollte in der Kunst keine Kompromisse machen, die sie für unfruchtbar hielt. Und all das, seit der Zeit ihrer Liebe gegen Ende ihres Künstlertums, im Verbund mit ihrem Kompagnero Burkhard Brunn.
Dort Ursula Schwippert auf der politischen Seite als gewerkschaftlich organisierte Betriebsrätin, eine Frau der Tat und engagiert in der Durchsetzung von Gerechtigkeit und ökonomischer Teilhabe. In diese Arbeit ist ihr Mann täglich eingebunden, mindestens als ihr Diskussionspartner und Ratgeber. Ansonsten ziehen die Beiden durch die Ausstellungen und Museen dieser Welt.
In der hier aufgespannten Gemengelage von Kunst und Kultur hinüber zur Analyse und Gestaltung von Gesellschaft und Politik, mäanderte Burkhard Brunn leidenschaftlich sein Leben lang. Allerdings ohne die Sphären zu vermischen. Er wusste zu genau, dass das Gute und Richtige nicht in die Welt kommt, weil man es fordert und Moral und Idealismus politisch angewendet gerne autoritär werden und im Gulag enden. Darüber haben wir oft diskutiert. Seine wunderbare Definition des Politischen sei hier zitiert: „Unter „politisch“ verstanden Charlotte und ich in einer Zeit, als alles Handeln als politisch galt, andere argumentativ davon zu überzeugen, die Welt nach rationalen und ethisch begründeten Kriterien zu verändern oder zu erhalten.“ Das berührt einen zentralen Begriff von Burkhard Brunns persönlicher Haltung, die Freiheit, die nicht zuletzt immer auch seine eigene war. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihm sagen wollte, wie er die Dinge machen sollte. Ein „Das war schon immer so“ gab es bei ihm nicht. Die Freiheit der Kunst war für ihn ihre wesentliche Kraft und ihre entscheidende Qualität. Das ist auch aktuell wieder ein sehr brisantes, stark diskutiertes Thema.
An dieser Stelle müssen natürlich auch einige Worte über Burkhard Brunns Verdienste um Charlotte Posenenske gesagt werden, auch wenn allen Anwesenden hinlänglich bekannt ist, dass die Welt ihm Charlotte Posenenske verdankt. Man kann seine Verdienste um ihren Weltruhm durchaus als seine bedeutendste Lebensleistung bezeichnen, ohne Irgendjemandem oder einer seiner vielen anderen Aktivitäten zu Nahe zu treten. Er selbst sah das auch so. Er war zuerst der Retter ihres Werkes, dann der unermüdliche Initiator ihrer Rückkehr in die Öffentlichkeit, dazu befähigt, andere mitzureissen und in der Sache zu kollaborieren, ihre Ideen lebendig zu halten und fortzuführen und zusammen mit einer wachsenden Zahl an enthusiastischen Mitstreitern die Welle in Gang zu setzen, die dann, wie wir wissen, zur weltweiten Woge wurde und die internationale Bedeutung ihres Werkes und ihrer Ideen der Kunst des 20. Jahrhunderts einzuschreiben. Wie viele andere seiner Freunde haben auch wir uns über die Begeisterung für ihr Werk kennengelernt. Es war im Jahr 1999, als die erste Übersichtsausstellung in Frankfurt in der Galerie ak stattfand, mit der ich damals selbst zusammenarbeitete und in der mir die Augen übergingen. Ich schrieb dann einen Text in Form eines offenen Briefes an den Kurator Konstantin Adamopoulos und an Burkhard Brunn, über welchen Kanal er veröffentlicht wurde, weiß ich nicht mehr, aber es war dieser Text, der unser Verhältnis begründete, das mit der Zeit auch vertrauter wurde, auch in einem tieferen Sinn freundschaftlich und im letzten Jahr im von ihm gewünschten Du kulminierte, das mir nie recht von den Lippen ging.
Burkhard Brunns öffentliches Bild ist heute klar dominiert von seiner überragenden Rolle als dynamischer Verwalter des Nachlasses von Charlotte Posenenske. Zu seiner Persönlichkeit gehört aber auch ein breites Spektrum an Interessen und intellektuellen Jagdgründen, die er mit grossem Humor und einer Leichtigkeit durchstreifte, die seinem Ruf als strenger Mann ein Lachen aufsetzte. Das äusserte sich im Wesentlichen in seiner Arbeit als Autor und als Kurator von Ausstellungen. Er war ja lange Zeit als Journalist tätig und schrieb thematisch breit gefächerte Aufsätze zu teilweise bizarren Themen, die sich bei der Lektüre als frappierend lebensnah und erkenntnisreich erweisen. Man denke nur an seine brillanten Texte zum Phänomen des Innen und Aussen unseres Körpers, funkelnde kurze Prosastücke etwa über die Mücke oder über die Zunge. Und er hatte eine diabolische Freude daran, sprachlich mit seinen Lieblingsfeinden abzurechnen wie z. B. mit der Zunft der Jäger. Auch hier übrigens, als Autor, verbindet er wieder das Soziologische mit dem Artistischen. Nicht zuletzt sind da aber auch seine grundlegenden Forschungen und Texte zu Casanova, dessen Bewunderung uns vom ersten Tag an verband.
In seiner Tätigkeit als Kurator thematischer Ausstellungen, die er mit der ihm eigenen Verve betrieb, versammelte er von ihm hoch geschätzte Künstlerinnen in wechselnder Besetzung zu Ausstellungen, denen er jeweils ein eigenwilliges Thema unterlegte, das ihn an der Kunst besonders interessierte und seinen eigenen Kunstbegriff verdeutlichte. Denken wir an die Phänomene der Bewegung oder des Schattens, denen typisch Brunnsche Denkfiguren zugrunde liegen, um die er kürzlich noch Ausstellungen kuratierte und die untergründig mit dem zuvor genannten Problem des Innen und Aussen korrespondieren. Die Konstante all dieser Ausstellungen war das Werk von Charlotte Posenenske, von der sein Kunstbegriff massgeblich geprägt war. Auf dieser Grundlage führte Burkhard Brunn, Initiator, Theoretiker und Fels im Zentrum, diese eher disparaten Künstlergruppen durch namhafte Galerien. Der Erfolg bestätigte sein Konzept, das Programm funktionierte, und das war eine grosse Befriedigung und ein grosses Glück für ihn. Wie auch für die Künstler.
Dieser vitale, starke Mann, der unter uns gerne „The Rock“ genannt wurde, der täglich seine Flasche Riesling trank und nie umfiel, auch wenn es zwei wurden, er ist nun doch umgefallen. Der einzige Kontinentaleuropäer, der, in unserem gemeinsamen Hotel in Southampton, zum Frühstück „Kippers with poached eggs“ geniessen konnte (das sind geräucherte, saure Heringe mit pochierten Eiern!), der streitbar war in jeder Sache, die ihn etwas anging, und das waren nicht wenige, unnachgiebig wenn er nicht überzeugt war und der auch hart sein konnte, wenn sein scharfer Verstand Widerstand leistete, der aber persönlich sehr liebenswürdig und charmant sein konnte, immer freigiebig, seine Grosszügigkeit ist legendär! und mit großer Freude an der Freude der Anderen. Wie bei unserem jährlichen Austernessen, zusammen immer 50 Stück und jede mit Genuss. Wir haben oft gestritten, wie es sicherlich die meisten hier getan haben, und manchmal war es wirklich schmerzhaft. Aber mit wem sollen wir in Zukunft so streiten? Wer brennt so für seine Sache und ist ihr auch intellektuell und emotional gewachsen? Da ist jetzt nicht nur die Leerstelle des kümmernden Freundes sondern auch die des streitbaren Gefechtes, das es doch genau ist, was uns weiter bringt. Auch wenn es anstrengt.
Nun ist das Unvorstellbare also doch passiert, er ist nicht mehr da. Auch wenn ich immer noch seine klare, durchdringende Stimme im Ohr habe, wie die Anwesenden hier sicherlich auch. Er hatte in den letzten Jahren ja bereits einige Fahrten auf dem Styx erlebt und im Verlauf schwerer Erkrankungen das Dunkle der anderen Seite berührt. Aber er kam jedes Mal zurück mit seinem starken Willen und wurde nicht etwa leidend, sondern liebte das Leben nur umso mehr. Er kam zurück, weil er noch Aufgaben hatte, es gab immer so viel zu tun, so viele Pläne, so viel Interessantes und Lebenswertes, um das er sich kümmern musste. Wir haben alle davon gezehrt. Leider kam er diesmal nicht mehr zurück, es war einmal zu viel der Grenze, das Andere, das wir nicht kennen, war stärker. Er wusste Bescheid und hat es nicht nur mit Fassung getragen, mit derselben Haltung, die ihn sein Leben lang die Form wahren ließ, sondern er akzeptierte den Tod ebenso wie er das Leben liebte. Das sind sprachlich eher Floskeln, aber Burkhard Brunn hat sie gefüllt und uns mit der Stilsicherheit noch seines Sterbens gezeigt, dass es eben doch mehr ist, vorbildlich möchte ich fast sagen, wenn man denn vorbildlich sterben kann, jedenfalls können wir auch das von ihm lernen. Wohl dem, dem es gelingt!
Das Formale ist nämlich keine Formalie, sondern es ist verbunden mit Haltung, mit Anstand und Moral, mit einem gelingenden Lebensentwurf, egal wie viel davon dann eingelöst wird, mit der Botschaft, dass das Leben mit seinem unumgänglichen Ende eine schwierige und oft genug auch schwere Angelegenheit ist, aber doch schön und lebenswert und besonders für die Gedankenvollen eine erfüllende Aufgabe, bei der uns unsere vielen Zweifel und Fragen nach Sinn und Wahrheit, ja auch nur nach dem Richtigen und Falschen bewegen und befeuern. So wie ihn.
Ich möchte diese Totenrede mit einer frühen Erinnerung von Burkhard Brunn schließen, die er mir vor Jahren einmal schrieb, als ich auf der Lahn unterwegs war. Eine Fantasie über seine innige Verbundenheit mit der Erde, die er liebte und die ihn heute aufnimmt: „An die Lahn habe ich eine schöne Erinnerung: vor vielen, vielen Jahren, sagen wir etwa 65, habe ich mich mit geschlossenen Augen den Fluss hinuntertreiben lassen, die Arme um einen großen Ball geschlungen. Es war ein wunderbares Schweben. Ich war ganz entrückt. Kommen Sie heil Nachhaus.“
Danke für Alles, Burkhard Brunn, und kommen Sie gut Nachhaus!