Spiegelfassaden

Bewährte Undurchsichtigkeit

Wer in Frankfurts enger City aus dem Fenster schaut, blickt oft auf Spiegelfassaden. Man erinnert sich, dass die moderne Architektur seit den 20er Jahren offene Bauformen propagierte: das bedeutete Transparenz, Öffentlichkeit, Glas.
Licht ist das Symbol der Aufklärung, Transparenz ein Sinnbild der Demokratie, das Zugänglichkeit für jeden signalisiert – und nicht nur für den Blick. Öffentlichkeit hieß zumindest: die draußen sollten durch gläserne Fassaden in die Gebäude hineinsehen, die drinnen hinaussehen können.
Der alte, meist durch eine Treppe betonte exklusive Gegensatz von Innen und Außen, der so lange ein Parameter der Architektur gewesen war, sollte aufgehoben sein. Universitätsbaumeister Ferdinand Kramer zum Beispiel ließ nach dem Kriege aus dem alten Universitätsgebäude das neo-barocke Portal herausreißen, einen jener repräsentativen und einschüchternden Eingänge sogenannter öffentlicher Bauten. Er ersetzte das düstere Portal unter dem Protestgeschrei der konservativen Professorenschaft durch einen breiten, hellen Eingang aus Glas.
Tempi passati. Zwar ist heute der "gläserne Mensch" erwünscht, durchsichtige Konzerngebäude aber keineswegs. Sollte man sich von Außenstehenden in die Karten schauen lassen?
Spiegel-Fassaden lösen das Problem. Die drinnen sehen, was sich draußen tut – durchaus auch mit den schärfsten Objektiven –, der Blick der Außenstehenden wird dagegen im Wortsinne zurück geworfen. Man sieht sich selbst. Man sieht die Umwelt: Bäume, Häuser, Wolken.
Die Spiegelei hat seit dem Barock Tradition, doch nur im Innern des Gebäudes – wie etwa in Versailles, wo die Kavaliere und ihre Damen sich nicht nur selber in den Spiegelwänden bewundern, sondern auch einander hinterrücks beobachten konnten. Aber Außenspiegel?
Ein spiegelnder Büroturm stellt sich nicht als das dar, was er ist, sondern als Außenwelt, hinter welcher er zurücktritt, so als sei er selber gar nicht vorhanden: eine Camouflage. Das Finanzwesen passt sich wie ein Chamäleon der Umwelt an – scheinbar.
Die wechselseitige Spiegelung mehrerer Spiegelfassaden ergäbe die desorientierende Wirkung eines Spiegelkabinetts. Die Identität des Gebäudes verschwände ganz.
Freilich ist das Zurücktreten der Identität nicht als Bescheidenheit zu verstehen. Es sind ja nicht Einfamilienhäuser, sondern Türme, deren Fassaden verspiegelt sind und das Sonnenlicht gleißend zurückwerfen. An manchen Sommerabenden, an denen Little Big City schon im Dämmer liegt, werfen die Zwillingstürme der Deutschen Bank – einem Leuchtfeuer ähnlich – ein blendendes Licht über das Westend bis in den Taunus hinauf. Die allmählich verglühenden Turmspitzen erscheinen – im Unterschied zu den irdischen Steinfassaden – erhaben schön und entrückt, wie nicht von dieser Welt. Die DZ-Bank erreicht solchen Wirkung auch nicht mit ihrem halben Heiligenschein.