Die Wächter im Museum
Muss ein Museumswärter immer stehen wie der stocksteife uniformierte Wachmann im Museum von Kansas City? Immer wieder wird der 60-jährige müde Mann mit dem eingezogenen Mund von den Besuchern gefragt, wo es zur Toilette geht. Aber er antwortet nicht, denn er ist Kunst; Duane Hanson, der vor kurzem verstorbene sozialkritische Naturalist, hat ihn als Gipsabguss eines Modells vollkommen lebensecht mitten unter die Leute ins Museum gestellt.
Oder erwartet man, dass ein Museumswärter mehr von Kunst versteht als man selbst und höflich lächelnd davon erzählt? Solch ein Museumswärter würde diesen Job machen, weil er dabei Zeit zum Grübeln hat. Denn eigentlich wäre er natürlich Dichter wie gewisse Kellner in Paris oder gewisse Taxifahrer in New York? Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) spricht man noch von Axel Zamorani aus Italien, der den Leuten so lange Ilya Kabakovs russische Installationen erklärt hat, bis er schließlich selber aussah wie Ilya Kabakov.
Der erste Museumswärter, den ich im "Triangolo", dem Restaurant im MMK, an einem Cafétischchen treffe, ist ein freundlicher älterer Herr. Er ist 1986 aus Rumänien gekommen, Bukarest. Er ist Rentner. Und was, bitte, hatte er früher für einen Beruf? Alexandru Mihai sagt, er war Bildhauer und Keramiker und Lehrer an einer Kunstschule. Er arbeitet gern in Marmor, Figuren und Porträts. Doch, abstrakt auch. Darf Kunst auch hässlich sein? Herr Mihai überlegt. Es ist die Realität, sagt er. Und wie arbeitet er? "Ich versuche, es schön zu machen."
Deutsch hat er erst hier im Museum gelernt, durch den Kontakt mit den Leuten. Aber wie kommt man in Kontakt mit den Besuchern? Die fragen. Sie wollen einen besonderen Künstler sehen und haben manchmal wenig Zeit. Und schimpfen die Leute auch über die Kunst? "Ja, ja, bei Araki. Sie sagen, das ist eine Schweinerei. Ich sage dann, sie sollen doch zu einer Führung kommen. Da sind Fachleute."
Wie wird man Museumswärter? Herrn Mihais Sohn, der hier Kunstgeschichte studiert, hatte vor zehn Jahren gehört, dass das neue MMK Mitarbeiter sucht. Da hat Mihai sich gemeldet und ist geblieben. Er steht jeden Tag an der Treppe zum Foyer, lässt sich die Eintrittskarten zeigen und drückt dabei heimlich auf den Knopf eines kleinen, einer Uhr ähnlichen Maschinchens, das er verdeckt in der Hand hält: den Zähler. In einem Büchlein führt er die Statistik. Im Durchschnitt kommen 300 Besucher pro Tag. Und wenn niemand da ist, hat man da Zeit zum Grübeln? "Ja", sagt er, "die Gedanken sind frei."
Er mag Brancusi. Der ist Rumäne (er spricht den Namen rumänisch aus: Brankusch). Und Andy Warhol mag er. Dessen Mutter ist in Rumänien geboren. "Das sind so Verbindungen, die man hat." Aber natürlich mag er auch andere Künstler. Zum Beispiel Balkenhol. "Die Leute kommen ins Museum und fragen gleich: "Wo sind die Pinguine?" Und sie wollen die Tiere oft auch streicheln. Das Anfassen muss er aber gleich verbieten. Er sagt dann: "Bitte nicht berühren." Und wenn die Kinder fragen, warum nicht? Sagt er: "Ihr seid hier in einem Museum." Und wenn die Kinder fragen, na und? Dann sagt er: "Die Kunstwerke sind auch für andere da."
Zum Beispiel für die Japaner. Die werden im Museum von allen "tuticki" genannt." Tuticki? Ja, einmal hätten zwei Japaner tu ticki haben wollen, erzählt er, two tickets. Jetzt sagen die Museumswärter: "Da kommen drei tuticki." Manchmal kommt auch die Dame mit dem Hündchen in der Tasche. Dürfen auch Hunde ins Museum? Nein, natürlich nicht. Nur Christa Näher, sie hat eine Sondererlaubnis für ihren Rehpinscher. Sie ist eine Künstlerin. Und woran erkennt man eine Künstlerin? Sehen Künstler anders aus? "Sie haben einen anderen Blick", sagt Herr Mihai.
Christa Leonardi trägt an einer Halskette einen sehr auffälligen Schmuck, eine Art Kissen aus Silber, das, sagt sie, aussehe wie Franz Josef Strauss. Das stimmt. Ich sage ihr, dass manche Stiefmütterchen wie Karl Marx aussehen. Das ist ihr auch schon aufgefallen. Frau Leonardi ist gelernte Goldschmiedin und hat eine kleine Werkstatt. Im MMK ist sie fest angestellt, eine Woche Arbeit, eine Woche frei, eine halbe Stelle, das sei für sie ideal.
Frau Leonardi sitzt vorn am Tresen, verkauft die Eintrittskarten und gibt Informationen. Da kann man schon Sachen erleben, sagt sie. Zum Beispiel neulich der Amerikaner, der wissen wollte, wo das Ros-child-home ist. Du liebe Güte, was soll das heißen? Ros-child-home. Vielleicht ein Kinderheim? Mit Hilfe eines Kollegen hat sie dann herausgekriegt, dass der Mann das Rothschild Palais gesucht hat.
Frau Leonardi macht Tai-chi, Schattenboxen. Frühmorgens im Park wie die Chinesen? Genau, im Park bei Ginnheim, wo sie wohnt. Mit einem Säbel. Gar nicht so unnütz für ihren Beruf. Kommt zum Beispiel ein Mann, ganz normal mit Frau, aber auch mit einem Revolver im Gürtel. "Den müssen Sie an der Garderobe abgeben", hat sie zu ihm gesagt. "Kein Problem", erwiderte er und gab das Ding ab. Natürlich hat man auch Leute, die gehen schnurstraks an die Kasse und sagen, die Araki-Ausstellung ist ja pervers. Das ganze Museum ist pervers. Auch Sie sind eine Perverse! Wieso ich? Weil Sie hier arbeiten! Und dann blättern sie seelenruhig den Katalog mit den nackten, gefesselten Frauen durch.
Christa Leonardi hat sich schon immer für Kunst interessiert. Sie geht auch bei den Führungen mit. Unter den vielen Künstlern des Hauses mag sie On Kawara besonders gern. Die frühen Zeichnungen nach der Katastrophe von Hiroshima. Sie liebt seine reduzierten Arbeiten. Das Konzeptuelle. Die Datumsbilder, sind die nicht ein bisschen unsinnlich? Oh, nein! Jedes Grau sei anders. Und handwerklich sei er perfekt. "Er ist so ordentlich. Mich fasziniert alles, was sehr ordentlich ist." Warum denn das? "Weil ich selbst so chaotisch bin."
Und die Künstler, treten die nicht manchmal als Stars auf wie die barocken Malerfürsten Lüpertz, Baselitz, Immendorf? "So welche haben wir hier nicht", sagt Frau Leonardi. Die Künstler, die sie hier erlebe, die seien ganz normal. Bill Viola zum Beispiel, auch On Kawara. Einige Künstler seien so bescheiden, dass sie zur eigenen Eröffnung Eintritt bezahlen wollten. Andererseits habe es mal einen Besucher gegeben, der die Spendenbox zu knacken versuchte. "Was machen Sie denn da?", hat sie gefragt. "Ich will das Geld rausholen", entgegnete er und verließ das Museum, um einen Schraubenschlüssel zu besorgen. Frau Leonardi zeigte ihm dann, dass der Schlüssel viel zu groß war. "Er passt nicht", sagte sie. "Sehen Sie?" Ja, sagte der Mann, er passt nicht, und ging.
Manchmal rufe eine Frau an, die wissen wolle, wann Museumsdirektor Ammann eine Führung mache. Dann komme sie mit dem Zug aus dem Schwarzwald angereist. Jedes Mal. Sechs Stunden unterwegs, um sich eine Führung von Herrn Ammann anzuhören. Und sie sei nicht die einzige. Andere kämen von Baden-Baden oder Stuttgart. Oder die Frau, die vom Flugplatz direkt ins Museum geeilt sei und den Namen ihres Hotels vergessen hatte. Aber es sei eins mit dem Anfangsbuchstaben H. Nun, besser lässt sich die Attraktivität des MMK kaum beschreiben. Erst das Museum, dann das Hotel!
Nein, er war kein Offizier in der ägyptischen Armee, nein, er hat auch keine Nahkampfausbildung, wie man munkelt. Hussein Mobarak hat zu Hause Verwaltungswissenschaften studiert und ist dann freiwillig zur Armee gegangen. Dort war er in einer Informationsabteilung. Zuletzt war er im Sicherheitsdienst eines Strandhotels. Somit versteht er etwas von Bewachungssystemen. Jetzt besorgt er unter anderem den Schließdienst und die Verteilung des Aufsichtspersonals im MMK.
Er geht davon aus, dass die Menschen, die ein Museum besuchen, wissen, dass Kunst etwas Wertvolles ist und sich entsprechend verhalten. "Besonders die älteren Leute wissen, was Kunst ist." Er macht gern lange Ohren, wenn sich die Leute über Kunst unterhalten und freut sich, wenn die nächsten über dasselbe Objekt etwas ganz anderes sagen. Verschiedene Meinungen findet er spannend. Leute, die ins Museum gehen, sind für ihn eine besondere Sorte Mensch. "Aber es gibt viele Sorten."
Kunst interessiert ihn, weil es sein Job ist, sie zu bewachen. Und wenn ein Verrückter kommt und mit einem Messer die Bilder aufschlitzen will? "Das geht nicht. Wir sind ja dazu da, um das zu verhindern." Das sagt er überlegen lächelnd mit solcher Sicherheit, dass man sofort glaubt, im MMK ist es unmöglich, ein Bild aufzuschlitzen. Gibt es bei den "Szenenwechseln", wo ja immer viele Leute kommen, Probleme? "Nein, keine Probleme. Es funktioniert alles." Es werde nur mehr Aufsichtspersonal eingesetzt. Und in der "Nacht der Museen", als zwischen 19 Uhr und drei Uhr morgens 8.000 Menschen im Haus waren? Da waren 30 Aufseher im Einsatz. "Wir hatten alles im Griff. Wenn man freundlich ist und lächelt, akzeptieren auch die Angetrunkenen, was man sagt." Hat er mal was Merkwürdiges erlebt im Museum? "Nein, alles fast normal."
In Temeschvar, der Hauptstadt von Banat, einer Provinz Rumäniens, wird Deutsch gesprochen. Maria Maurer stammt von Donauschwaben ab, zu Hause haben sie schwäbisch geredet, und sie hat eine deutsche Schule besucht. 1985 hat sie ihren Bauernhof mit Feldern, Kühen und Pferden verlassen und in Frankfurt acht Jahre lang als Putzfrau gearbeitet. "Ich wollte keine Sozialhilfe haben", sagt sie. Vor sieben Jahren fing sie im MMK an. Eine ganz andere Arbeit als Putzen, als körperliche Arbeit, die sie gewöhnt war. "Am Abend bin ich jetzt richtig müde." Auch voller Eindrücke: Einmal hat sie in einem dunklen Raum aufgepasst, in dem es nur ein blaues Licht gab. Die Leute mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen und erschraken, als sie auf einmal Maria Maurer gegenüberstanden. "Sind Sie auch Kunst?" hat jemand gefragt.
Wenn kein Besucher da ist, kann man sich auch mal setzen. Eine junge Kollegin hat zu ihr gesagt: Wie lange Sie stehen können. Für die jungen Leute ist das Stehen schwer. Maria Maurer ist zwar schon 72, aber eine Schwäbin aus dem Banat. "Der Schwabe ist hart", sagt sie gern. Zehn Stunden Dienst am Mittwoch allerdings, wo der Eintritt frei ist, das ist schon was. Gefällt es ihr in Frankfurt? "Natürlich, man gewöhnt sich an alles."
Florentina Mihai weiß, dass sie einen sehr schönen Vornamen hat, aber er ist in Rumänien nicht ungewöhnlich. Sie hat Deutsch als kleines Mädchen in der deutschen Nonnenschule zum Heiligen Joseph gelernt. Ihre Eltern sind aus Siebenbürgen. Sie konnte als Lehrerin, Landschaftsmalerin und Keramikerin in Bukarest, wo sie mit ihrem Mann ein Atelier hatte, ganz gut leben. "Wir sind nicht aus materiellen Gründen hier", betont sie. So hat sie zum Beispiel den Botschafterfrauen, die nichts zu tun hatten, das Malen beigebracht. Sie hatten immer ein volles Haus. Aber ein volles Haus sei in Bukarest gefährlich gewesen. Sie wurde dann zu Ausstellungen nach Nürnberg und München eingeladen. Seit 1984 ist sie in Deutschland geblieben. Sie hat versucht, an einer Grundschule Lehrerin zu werden. Aber ihr Deutsch reichte dann doch noch nicht aus.
Seit 1991 ist sie im MMK, von Anfang an also. Ihr Mann und sie fühlen sich hier zu Hause. Es sei ein bisschen so wie damals in ihrem Atelier. Sicher: So was wie das Schlafzimmer von Claes Oldenburg sei für sie nach dem sozialistischen Realismus des Ostens schon eine neue Welt. "Man muss es akzeptieren", sagt sie. Als Künstlerin hat sie natürlich im Museum ihre Favoriten. Die blauen Bilder von Ives Klein, die würde sie kaufen, wenn sie Geld hätte. Solch ein Blau! Und begeistert ist sie von James Turrell, der im Museum einen dunklen Raum hat, in dem man ein schwaches Licht erst nach langer Zeit wahrnehmen kann. "Eine Transzendenz. Ich habe vergessen, wo ich bin."
Allerdings – und ihre Augen blitzen – könne sie auch ihre Stimme heben. Bei der sensationellen Modenschau von Chanel im Museum hat sie einen italienischen Journalisten, der auf den Tisch von Katharina Fritsch’s "Tischgesellschaft" steigen wollte, um Claudia Schiffer besser fotografieren zu können, am Jackett nach unten gezogen. Da habe der zu ihr gesagt: Ich bring dich um! Und sie: Probiers mal! Da die rumänische und die italienische Sprache gewisse Ähnlichkeit aufweisen, haben sie sich verstanden, und sie haben dann zusammen gelacht.
Und dann ist da noch die Geschichte, als sie das Museum vor den Hooligans beschützt hat, die eines Sonntags, am 12. Juli 1998, die Deutschlandfahne und Bierdosen schwingend, im Museum erschienen waren. "He! Kunst ist okay!" schrien sie und gaben, als die Aufsicht zusammeneilte, ihren Biervorrat an der Garderobe ab. Erst standen sie verdutzt vor den vielen Holzpinguinen. Dann versuchten sie, sich auf Oldenburgs Sofa zu setzen, was Frau Mihai verbot, weil es ja kein Sofa, sondern Kunst ist. "Zeigen Sie mal Ihre Augen!" befahl sie schließlich dem Anführer, der auch prompt die Sonnenbrille hochschob. "Nein, Sie sind nicht gewalttätig", hat sie da gesagt, "Sie sind romantisch und sentimental!" Und in Wirklichkeit waren es ja auch gar keine Hooligans, sondern Redakteure der "Titanic."
Einmal musste Florentina Mihai übrigens einem Besucher erklären, wie Herr Amman denn so ist. "Er blitzt und donnert", hat sie geantwortet. Zeus zu Hause eben. So ist das im MMK.