Etwas tun für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Die Aktivitäten der Banktochter „la Caixa“ / Rodin-Ausstellung auf Mallorca
PALMA. An einem windigen Abend drängen die Besucher zu Hunderten ins ehemalige Gran Hotel von Palma de Mallorca. Eröffnet wird die Ausstellung Auguste Rodin und seine Beziehung zu Spanien. Links vom Portal sieht man hinter den breiten, säulenflankierten Fenstern die Kellner an der kreisrunden Bar hantieren, wo sich später die Ausstellungsbesucher erfrischen werden, rechts vom Portal befindet sich die beste Kunstbuchhandlung Palmas. Dort kauft man den – leider nur katalanisch und mallorquinisch verfaßten – Katalog.
Das im Jahre 1903 errichtete Gebäude an der Placa del Mercat, das erste moderne, architektonisch anspruchsvolle Hotel Mallorcas, wurde 1991 Sitz der Fundacio la Caixa, einer Stiftung der Caixa d'Estalvis i Pensions de Barcelona, einer der größten Banken Spaniens. Sie ließ das Gebäude 1992 bis ins Detail der stuckverzierten Fassade wiederherstellen. Das mit großen Oberlichtern versehene Foyer, durch die man die Wolken ziehen sieht, ist ein Innenhof, um den vier mit einem Geländer gesäumte Stockwerke liegen: die Büro-, Bibliotheks- und oberen Ausstellungsräume der Fundacio.
Im Foyer trifft der Besucher auf den Großen Schatten, jene unter dem Eindruck von Michelangelos Sklaven geschaffene Bronze eines erschlaffenden, im Niedersinken begriffenen Mannes, der – verdreifacht – das Höllentor im Pariser Musee Rodin krönt. "Laßt jede Hoffnung, die ihr mich durchschreitet", lautet die Torinschrift in Dantes Göttlicher Komödie. Die Gestalt eines wie schlaftrunken stolpernden, aus dem Naturzustand langsam erwachenden und zu Bewußtsein kommenden Jünglings, das sogenannte Eherne Zeitalter – in Rodins OEuvre ein Schlüsselwerk -, steht im Zentrum des ersten Ausstellungsraumes. Die labilen Haltungen des Erwachens und des Dahinsinkens deuten beide auf die Schwelle hin, die es zu überschreiten gilt.
Die unsichere Haltung kennzeichnet auch die dritte Großplastik: Eva, die Arme schamvoll und abwehrend vor der Brust verschränkt. Die Skulptur erinnert an Michelangelos Vertreibung aus dem Paradies (Sixtina). Die vierte große Skulptur ist die des nackten Jean de Fiennes, einer der sechs edlen Bürger von Calais, die, barfuß, barhäuptig und Stricke um den Hals, dem englischen König die Schlüssel auslieferten und, damit er die Stadt und ihre Einwohner verschone, auch ihr Leben. Daß der Belagerer ihnen das Leben ließ, erklärt die Chronique de France so: "Er hörte auf seine Gemahlin, weil sie sehr schwanger war."
Die Ausstellung zeigt – noch bis 19. Januar – Jean de Fiennes, der fassungslos die Arme ausbreitet, noch einmal bekleidet zwischen den anderen bürgerlichen Helden, alle als kaum 50 cm hohe Einzelfiguren. Trotz kleiner Formate: ihre Wirkung ist stark. Erinnert sei daran, daß Rodin die Gruppe ohne Sockel aufzustellen gedachte, im 19. Jahrhundert, das zu seinen Heroen aufschauen wollte, eine skandalöse Erfindung (von der heute noch etwa Duane Hanson zehrt, wenn er seine lebensechten Nachbildungen mitten unter die Leute stellt).
Zu sehen sind in Palma viele Kleinplastiken, die psychische Zustände dramatisieren sowie das Verhältnis der Geschlechter, das dem 19. Jahrhundert unüberbrückbar schien. Das Pathos befremdet heute. Die Zeichnungen von Tänzerinnen, die in "gewagten" Stellungen posieren, schockierten einst die Bürger; Harry Graf Kessler mußte als Weimarer Museumschef demissionieren, als er sie auszustellen wagte. Unglaublich lebendig sind die Köpfe von Mahler, Baudelaire, Madame Morla-Vecuna und das leidzerfurchte Gesicht eines Arbeiters, des berühmten Mannes mit der gebrochenen Nase. Die meisten Leihgaben entstammen dem Musee Rodin, Paris. Rodins Verhältnis zu Spanien – der Untertitel der Ausstellung – wird dokumentiert anhand seiner Spanienreise im Jahre 1905. Sein Malerfreund Zuloaga konnte ihn dort allerdings nur mühsam für Velasquez und El Greco interessieren.
Wer kann eine solch aufwendige Ausstellung finanzieren? Das Erstaunliche, Besondere, Vorbildliche an der 1991 aus der Fusion zweier Banken hervorgegangenen Fundacio la Caixa ist ihr breites Engagement für das Gemeinwohl. Aus Profiten der Bank richtet sie, als Stiftung eine eigenständige Institution, nicht nur Ausstellungen wie diese aus, sondern engagiert sich in umfassender Weise auch sozial: 1995 mit einer Aufklärungskampagne gegen Aids an 5000 Schulen, also 70 % der Schulen Spaniens. Dazu finanziert sie Forschungs- und Hilfsprogramme. Außerdem Aktivitäten, die das Herausfallen der alten Menschen aus der Gesellschaft verhindern sollen. La Caixa hat in Barcelona, Madrid und Palma Zentren und arbeitet in vielen anderen Städten und Dörfern des Landes: nicht hier und da und hin und wieder, sondern flächendeckend und kontinuierlich.
Wie sehr die Leute von la Caixa in Zusammenhängen denken, zeigt etwa das Projekt Das Salz des Lebens (1995). Salz, eine so fraglos gewordene alltägliche Substanz, wird unter wissenschaftlichen, gesundheitlichen, politischen, ökonomischen, kulturellen, künstlerischen, religiösen und geographischen Gesichtspunkten untersucht. Auf ähnliche Weise geht la Caixa das Thema "Wasser" an. Ein anderes Programm richtet sich auf die Erhaltung der historischen Städte und der Umwelt (das „Erbe“). Die Fundacio organisiert und finanziert des weiteren Konzerte, Fotoausstellungen, wissenschaftliche Seminare, Vorträge, Preise, Stipendien und unterhält Spezialbibliotheken. Stolz kann sie berichten, daß 1995 fast sieben Millionen Menschen ihre Dienste in Anspruch nahmen.
Schon lange denken Soziologen über die Agonie der Gesellschaft und die Diskrepanz zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut nach. Die Kassen der Kommunen sind leer, die der Banken sind voll. Selbstredend kauft la Caixa auch junge Kunst. Aber sie tut noch weit mehr für den gefährdeten Zusammenhalt der Gesellschaft.