Es tut mir (nicht) leid
Das Wort "Entschuldigung" auf einem Steinsockel vor der Frankfurter Universitätsbibliothek ist doch mal was anderes als "Bullenschweine!", "Kapitalistensäue!", "Sie haben Heike umgelegt!" oder "Olga kommt gut", "Ich liebe dich, Andy!". Es unterscheidet sich aber auch von Fäusten, die wie sowjetische Tanks aus dem bunten Graffiti-Gezack drohend auf dich zurasen.
Kein Aufschrei erboster Kämpfer, keine Powergeste ungeliebter Teenies, keine überlebensgroße Botschaft aus der Intimsphäre, sondern im Gegenteil: "Entschuldigung". Bitte um Vergebung. Für was? Was hat der Typ getan? Woher soll ich das wissen.
Nein, der Witzbold entschuldigt sich nicht für etwas, das wir nicht wissen können, sondern dafür, daß er auf den Sockel "Entschuldigung" geschrieben hat. Das Sprayen selber ist die Tat, für die er sich entschuldigt. Von "Selbstbezüglichkeit" sprechen die Kunsttheoretiker, wenn ein Bild ausschließlich auf sich selbst verweist und nicht darstellend oder symbolisierend auf etwas, das außerhalb seines Rahmens liegt.
So bleibt das Kunstwerk ganz bei sich, es dient nicht zur Illustration von etwas anderem, es ist autonom.
Ähnlich selbstbezüglich ist das Graffito "Entschuldigung", aber eben nicht ganz. Denn anders als das autonome Bild redet "Entschuldigung!" den Lesenden an und tritt als Sprechakt, der immer etwas außerhalb seiner selbst bedeutet, ausdrücklich aus der Geschlossenheit des Selbstbezugs hinaus.
"Entschuldigung!" schafft einen Kontakt, indem es das Publikum zu einer Handlung auffordert, zur Entschuldigung des hingeschmierten Wortes "Entschuldigung" nämlich. Ich kann mich nun entscheiden, ob ich die verbotene Tat verzeihe oder nicht. Doch, ich verzeihe großzügig, denn die Sache ist, nun ja, geistreich eben. Etwas Seltenes.
Der Witz der "Botschaft" besteht nicht nur in ihrer Selbstbezüglichkeit, sondern in der Vorsätzlichkeit der Entschuldigung. Wer begeht schon eine Tat, um sich für sie entschuldigen zu können? Man entschuldigt sich nachträglich und nicht dadurch, daß man die Tat begeht.
Gewiß, es gibt Leute, die aus der Entschuldigung eine Lebenshaltung machen: Tut mir leid, daß ich geboren bin, denn bei jeder Handlung lade ich Schuld auf mich und wenn ich nicht handle, leider auch. Das wäre das Gegenteil von Graffiti-Power. Aber zu denen gehört unser Sprayer nicht. Denn das Entschuldigen macht dieser heilen Seele Spaß.