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Architektin Marie-Theres Deutsch über den Portikus-Umzug, eine Freistatt und Rennräder
Schon wieder ein anderes Rad? Neulich war’s noch ein Rennrad. "Das ist mir heute morgen geklaut worden", sagt Marie-Theres Deutsch, "es ist das sechzehnte Mal. Morgen hole ich mir ein Neues vom Flohmarkt." Dass dies an der Gegend liegen könnte, in der sie arbeitet und wohnt, diesen Gedanken lehnt sie ab. Denn das Bahnhofsviertel ist ihr Viertel, das lebendigste Quartier der Stadt. Wir sitzen mitten in einem gelungenen Projekt der Architektin, in der "Strandperle", direkt am Eisernen Steg, unter Platanen mit Blick auf die Türme von Little Big City.
Das Mainufer beschäftigt sie seit langem. Warum? "Der Fluss hat eine andere Zeit", sagt sie. Eine andere als die ökonomische Zeit, welche die Stadt regiert. Ihr großer Wurf war der Portikus. Ob der so etwas wie ihr Baby sei? Naja, Baby. Jedenfalls ärgert es sie, dass er nun verlegt werden soll. Wie kam die Idee mit dem provokanten Container hinter Säulen zustande? "Wir wussten, dass Kasper König in die Stadt kommt und etwas sucht. Als wir mit dem Auto an der alten Stadtbibliothek vorbeifuhren, habe ich gerufen: ,Das ist es!‘ ,Was?‘ hat Manfred Stumpf gefragt. ,Der Ort, wo man das machen kann.‘"
Also kam der Container hin, der später so berühmt werden sollte. An der Idee "haben viele daran herumgedacht", sagt sie. "Aber wessen Idee war es?" frage ich, ist der Kunstcontainer doch gegenüber prätentiösen Museumsneubauten eine geradezu programmatische Lösung. "Ich glaube, das war ich", sagt Marie-Theres Deutsch.
Bescheidenheit nennt sie als die oberste Richtlinie ihrer Arbeit. Sie versuche von innen nach außen zu bauen, nicht umgekehrt. Sie glaubt schon, dass Männer eher dazu neigen, so zu bauen, dass es etwas hermacht. Von außen nach innen. Sie macht dazu eine Geste: Klotzen. Würde sie, wenn sie den Auftrag bekäme, auch Hochhäuser bauen? Klar würde sie das. Es komme darauf an, wie man das macht. Ein Architekt könne sich gar nicht leisten, so was abzulehnen. Gibt es einen Architekten, den sie besonders schätzt? Ohne Zögern sagt sie: "Elsässer". Das ist der Architekt der wunderbaren Großmarkthalle.
Der alte Portikus werde ja wohl auf der Maininsel an der Alten Brücke einen neuen Ort bekommen. Der Kollege, der das mache, sagt sie, werde schon dafür sorgen, dass es spektakulär werde. Sie selber hat einen anderen Ort ausgeguckt und vorgeschlagen: den alten Frankensteiner Hof, ein marodes städtisches Gebäude, in dem zurzeit ein Teil der Kunstbiennale Manifesta untergebracht ist, mit mehr als 500 Quadratmetern.
Als ich sie danach frage, ob für sie das Bauen auch eine moralische Dimension habe, nennt sie das Projekt "Weser 5", das sie zusammen mit dem Künstler Manfred Stumpf und Gerald Hintze, dem neuen Leiter des Diakoniezentrums in der Weserstraße 5, in Angriff genommen hat. Der Zufluchtsort der Obdachlosen im Bahnhofsviertel soll eine neue Gestalt bekommen.
Deutschs Idee ist es, den Gedanken der Freistatt, des mittelalterlichen Schutzraums vor der Kirche, in dem Hilfsbedürftige Zuflucht fanden, wieder zu beleben. "Freistatt" soll der Hof zwischen der Weißfrauenkirche und der Diakoniestation werden. Direkt nebenan gibt es einen Betsaal der Muslime. Ob sie auch die Muslime einbeziehen wolle? "Es gibt da eine Tür", sagt sie und lacht, was sie überhaupt gern tut; ihre Augen funkeln vor Vergnügen, "beide Seiten haben einen Schlüssel." Sie hätte nichts gegen ein Minarett mit einem Muezzin, "aber die trauen sich nicht".
Marie-Theres Deutsch stammt aus Trier, hat am Frankfurter Städel bei Günther Bock und Cook studiert. Die rebellischen Jahre hat sie in Frankfurt nicht miterlebt, aber später in der Sponti-Szene alles nachgeholt, was man in Trier nicht so kannte, wo man Marx nicht liest, sondern bei Marx einkauft ("Übergrößen"). Fühlt sie sich als Künstlerin? "Künstlerisch", das sei für Architekten kein gutes Beiwort. Sie macht eine locker drehende Handbewegung (Firlefanz?). Dann schwingt sie sich aufs Rad und saust zu einer Podiumsdiskussion über "Event City".