Vom erhobenen Schwert zur Kalaschnikow: Das Lindenmuseum in Stuttgart zeigt Teppiche aus Afghanistan, auf denen der Krieg gegen die Sowjetunion als geknüpfte Botschaft aus Kampfhubschraubern, MIGs und Panzern verarbeitet wurde
Es sind Kriegsteppiche. „Blüten mutieren zu Minen. Aus dem Granatapfel wird eine Bombe mit Zeitzünder“, schreibt Hans Werner Mohm über die Wandlung der Muster. Seine Sammlung afghanischer „Kriegsteppiche“ ist unter dem Motto „Lebensbaum und Kalaschnikow“ im Stuttgarter Lindenmuseum ausgestellt. Kriegsteppiche? Das Teppichknüpfen hat in Afghanistan eine jahrtausendealte Tradition. Teppiche sind das wichtigste Exportgut der Schafzüchter. Heute werden sie meist in den Flüchtlingslagern in Pakistan hergestellt und nicht mehr nur von Frauen wie früher.
Seit dem Krieg mit der Sowjetunion sind Schützenpanzer, Kampfhubschrauber, MIGs, Eierhandgranaten, Pistolen und vor allem die Kalaschnikow neue Motive geworden. Amerikanisches Kriegsgerät wird wohl bald dazukommen. So merkwürdig, irritierend, ja, erschütternd diese Motive auf einem Teppich anmuten, um einen Stilbruch handelt es sich keineswegs.
Seit jeher gehört Krieg bei afghanischen Stämmen „zu den Selbstverständlichkeiten des Daseins“, wie J.W. Frembgen schreibt, und Heldenmut zu den Merkmalen von Männlichkeit. Daher hat es zwischen den Ornamenten immer auch Darstellungen von Kämpfen gegeben, etwa Krieger mit erhobenem Säbel auf Löwen und Elefanten. Über ein allgemeines Bilderverbot stehe im Koran nämlich nichts, erklärt mir Johannes Kalter, Orient-Referent und Kurator der Ausstellung, es gelte nur im engeren religiösen Bereich. „Offizielle Vertreter des Islam tolerieren Bildteppiche, wenn sie auf dem Boden liegen und mit Füßen getreten werden“, formuliert es Frembgen. Weil auch die „Kalaschnikow-Teppiche“ in dieser Tradition stehen, werden sie innerhalb der großen Afghanistansammlung des Museums und nicht als Sonderschau gezeigt.
Andererseits handelt es sich doch um eine neue Form der Volkskunst, weil die Teppiche nicht nur die eigenen Taten heroisieren, sondern die erdrückende Übermacht der Feinde – hier die ehemalige Sowjetunion – der Weltöffentlichkeit vor Augen führen: Eine Moschee wird von einer Rotte von Kettenfahrzeugen eingekreist; „Ali, der Löwe Allahs“, der den Mut der Mudschaheddin symbolisiert, steht einer Übermacht von Panzern und Hubschraubern gegenüber. Bilden die Panzer zunächst die Bordüre, rücken sie bald als Hauptmotiv in die Mitte, um schließlich die ganze Fläche eines Teppichs zu bedecken. Es sind Bilder wider das Vergessen, Verarbeitung eines Traumas, visualisierte Geschichte. Wo die Kalaschnikow als übergroßes Motiv dominiert, werden die Teppiche zu Bekenntnissen des Widerstands, und wo sie Antikriegsplakate zur Vorlage haben, zu pathetisch wirkenden Anklagen. Aus Dekoration wird Botschaft.
Ein Teppich, wer denkt da an Bomben? Mit dem Teppich, dem Inbegriff gastfreundlicher Wohnlichkeit – man wird ja üblicherweise gebeten, zum Tee auf ihm Platz zu nehmen – kommt der Krieg ins Haus auch des Westmenschen, der solch einen Kriegsteppich erwirbt. Die um 1980 noch etwa 500 bis 2.000 Mark teuren Teppiche, Produkte einer Arbeit von sechs bis zwölf Monaten, wurden zuerst von sowjetischen Offizieren, von wohlhabenden Afghanen im pakistanischen Exil und Journalisten, dann von Afghanistanliebhabern in Europa und den USA gekauft. Ein Teppich ist ein langlebiges Gut, und so wird der Besitzer jahrelang auf Eierhandgranaten sitzen. Auch der Krieg in Afghanistan dauert ja jahrelang.
Statt zeitloser Muster, die die Augen zu Ruhe und Kontemplation einladen, gibt es nun Kriegsgerät, dessen Dröhnen, Krachen, Peitschen sich der Vorstellung aufdrängt. Der Krieg, der in die Häuser und Zelte der Afghanen einbricht, ist nun – als Vorstellung – auch in Moskau, Berlin oder Chicago präsent. Hat man nicht die dicke Haut eines Frontsoldaten, sind die Souvenirs durchaus subversiv. Besonders dann, wenn die Kriegsgeräte mit dem Motiv der Teekanne und der Wasserkanne konfrontiert sind, den Symbolen der Gastfreundschaft, oder dem Lebensbaum.
Es ist das stille, repetitive Nebeneinander von Kriegs- und Friedensmustern, das ästhetisch und möglicherweise moralisch eher überzeugt als das dramatische Motiv einer schreienden Mutter mit Kind, die ihre Hand einer Bombe entgegenstreckt. Die dargestellten Kriegsgeräte sind meist in die traditionellen Muster integriert, als seien auch sie schon Tradition. Und das ist ja die Wahrheit. Ein Teppich ist eine Textur, ein in langer Arbeit sorgsam geknüpftes Gewebe.
Der Schuss, den man sich zu den Kriegsgerätschaften denkt, ist das genaue Gegenteil: Er zerreißt jeden Zusammenhang. Die ruhige lange Arbeit des Webens, der krachende, kurze Schuss, dieser Gegensatz ist es, der unmittelbar ergreift. Das gewaltdrohende Muster auf einem weichen Tuch: Es ist vergleichbar mit einem Kampfflugzeug, das an einem schönen Sommertag über einer grünen Wiese auftaucht, auf der man mit den Kindern Picknick macht.